Wenn das Virus die Sinne raubt: Störung von Geruchs- und Geschmackssinn als Marker für COVID-19 – was ein Experte sagt

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

17. April 2020

Auch neurologische Symptome können die Diagnose von COVID-19 bestärken. In einer im JAMA Neurology erschienenen Studie aus Wuhan berichten die Autoren, dass etwa ein Drittel der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 unter Schwindel, Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, aber auch unter Beeinträchtigung des Geschmacks- und Geruchssinns sowie unter Nerven- und Skelett-Muskelschmerzen litten [1].

Dabei traten insbesondere die durch das zentrale Nervensystem bedingten Symptome bei schweren Verläufen von COVID-19 häufiger auf. Die peripher bedingten Symptome schienen allerdings ungeachtet der Verlaufsform spezifischer zu sein.

 
Je mehr Daten veröffentlicht werden, desto wichtiger wird die Neurologie für die zügige Differentialdiagnose von COVID-19. Prof. Dr. Hans Christoph Diener
 

„Diese Studie liefert einen weiteren Baustein für die Relevanz neurologischer Symptome bei der Diagnose von COVID-19“, erläutert Prof. Dr. Hans Christoph Diener, ehemaliger Leiter der Neurologischen Abteilung der Universität Duisburg-Essen, und Neurologie-Blogger bei Medscape. „Je mehr Daten veröffentlicht werden, desto wichtiger wird die Neurologie für die zügige Differentialdiagnose von COVID-19.“

Retrospektiv Daten von 214 Patienten

Dr. Ling Mao und Koautoren analysierten retrospektiv die Daten von 214 Patienten mit labordiagnostisch gesichertem, durch COVID-19 verursachtem Severe Acute Respiratoric Syndrome (SARS), die zwischen dem 16. Januar und 19. Februar 2020 in 3 Spezialzentren der Huazhong Universität in Wuhan, China, behandelt wurden. Bei 36,4% dieser Patienten wurden auch neurologische Symptome dokumentiert.

Die 214 Patienten waren im Schnitt 52,7 Jahre alt und zu 41% männlich. 59% von ihnen litten an eher leichteren, die Übrigen (88 Patienten) an schweren Verläufen der SARS-CoV-2-Infektion. Als schwer zählte dabei die Beatmungspflicht.

Die 88 Patienten mit schweren Verläufen waren im Schnitt 10 Jahre älter und wiesen häufiger Komorbiditäten auf, darunter signifikant öfter Bluthochdruck. Andererseits zeigten sie im Vergleich zu den 126 Patienten mit leichteren Verläufen signifikant seltener die Symptome Fieber (46% vs 73%) und trockenen Husten (34% vs 61%), die als charakteristisch für COVID-19 gelten.

Zentrale neurologische Symptome bei schweren Verläufen häufiger

Neurologische Symptome waren dagegen bei den Patienten mit schweren Verläufen häufiger (45,5% vs 30,2%, p = 0,02), darunter insbesondere solche, die die Gesamtmorbidität stark beeinflussten wie Schlaganfall, Ataxie und starke Bewusstseinseintrübungen.

In einem Editorial zur Studie, heben Prof. Dr. Samuel J. Pleasure und Kollegen, Neurologen der University of California, San Francisco, USA, hervor, dass derartige neurologische Symptome auch auf die allgemein hohe Morbidität älterer Patienten, speziell solche mit vaskulären Risikofaktoren, zurückgeführt werden könnten [2].

Periphere neurologische Symptome spezifischer und früher

Mit 10,5% traten Skelettmuskelschädigungen, verbunden mit signifikant erhöhten Kreatininkinase- und Lactatdehydrogenase-Spiegeln in dem Patientenkollektiv auffallend häufig auf. Bei den 88 Patienten mit schweren Verläufen waren diese mit 19,3% gegenüber den übrigen Patienten signifikant häufiger.

 
Ob sie (Muskelschädigungen) allerdings zur Differentialdiagnose von COVID-19 wertvoll oder eher unspezifisch sind, ist momentan schwer zu beurteilen. Prof. Dr. Hans Christoph Diener
 

Weiterhin beobachteten die Autoren im Zusammenhang mit den Skelettmuskelschädigungen Multiorganversagen, insbesondere der Leber und Nieren, die mit entsprechend veränderten Laborparametern dokumentiert wurden.

„Muskelschädigungen sind ein wichtiges neurologisches Symptom. Ob sie allerdings zur Differentialdiagnose von COVID-19 wertvoll oder eher unspezifisch sind, ist momentan schwer zu beurteilen“, gibt Diener zu bedenken.

Geruchs- und Geschmackssinn bei COVID-19 häufig gestört

Weitere auffällige periphere neurologische Symptome waren starke Beeinträchtigungen des Geschmacks- (5,6%) und Geruchssinns (5,1%), die nicht auf eine Kongestion der Atemwege zurückzuführen waren. Diese wurden bei den leichteren Verläufen häufiger (7,1% bzw. 6,3%) beobachtet als bei den schweren Verläufen.

„Hier ist zu berücksichtigen, dass die Daten retrospektiv ausgewertet wurden“, bemerkt Diener. „Deshalb glaube ich, dass diese einstelligen Prozentzahlen nicht repräsentativ sind.“

Diener weist in diesem Zusammenhang auf eine aktuelle europäische multizentrische Studie hin, in der 86% bzw. 88% von über 400 dazu befragten Patienten mit nachgewiesener COVID-19 mit milderem Verlauf angaben, an starken Beeinträchtigungen ihres Geruchs- bzw. Geschmackssinns zu leiden. Der Unterschied zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen war dabei mit Hilfe der verwendeten speziellen Fragebögen deutlich erkennbar (p = 0,001).

Kommen neue Leitsymptome für COVID-19 aus der Neurologie?

Auffällig war an diesen sensorischen sowie den Skelettmuskelschädigungen, dass diese spezifisch bei Patienten mit COVID-19 auftraten und zudem früh, zur Zeit der Einlieferung ins Krankenhaus oder kurz danach, diagnostiziert wurden. In einigen Fällen traten sie sogar noch früher als die typischen Verdachtssymptome Fieber und trockener Husten auf.

Diese waren mit 61,7% bzw. 50,0% im Patientenkollektiv gar nicht so häufig, insbesondere nicht unter den 88 Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf (45,5% bzw. 34,1%).

Sowohl die Autoren der Studie als auch die Editoren leiten aus diesen Ergebnissen die Empfehlung ab, auch die erwähnten neurologischen Symptome in die differentialdiagnostischen Überlegungen zu COVID-19 einzubeziehen. In manchen Fällen wiesen diese noch eher als die „typischen“ Symptome Fieber und Husten auf diese Erkrankung hin.

 
Die Einschränkung von Geruchs- und/oder Geschmacksempfindung scheint bei wenig kongestiven Patienten eine der zuverlässigsten frühen diagnostischen Werkzeuge der COVID-19 zu sein. Prof. Dr. Hans Christoph Diener
 

„Die Einschränkung von Geruchs- und/oder Geschmacksempfindung scheint bei wenig kongestiven Patienten eine der zuverlässigsten frühen diagnostischen Werkzeuge der COVID-19 zu sein“, schließt sich auch Diener dieser Meinung an: „Das ist durchaus plausibel, da z.B. auch von Herpes-Viren bekannt ist, dass sie über den Riechnerv ins Gehirn gelangen können. Somit könnten sich auch die zentralen neurologischen Symptome erklären. Zudem wurde kürzlich in Japan ein Fall von Meningoenzephalie bei einem 24-jährigen Patienten mit COVID-19 berichtet.“

 

Kommentar

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