COVID-19: Was voraussichtlich auf die Intensivstationen zukommt – und wie sie sich vorbereiten können

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. April 2020

COVID-19 breitet sich weltweit aus. Wie sich Intensivstationen (ITS) auf die Pandemie vorbereiten sollten, hat jetzt ein Team von internationalen Wissenschaftlern untersucht. Der Review ist in Lancet Respiratory Medicine erschienen [1]. In ihrer Arbeit stützen sich die Wissenschaftler auf die Erfahrungen asiatischer Intensivmediziner und Berichte über an COVID-19 erkrankte Patienten.

„Selbst wenn SARS-CoV-2 nur einen kleinen Teil der 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde infiziert, werden viele Tausende kritisch erkranken und auf Intensivstationen versorgt werden müssen“, schreiben Studienautor Prof. Dr. Jason Phua vom Alexandra Hospital in Singapur und Kollegen.

„Wir müssen uns auf diesen potenziell überwältigenden Anstieg der Patientenzahlen einstellen und die Arbeitsabläufe im Vorfeld optimieren, um eine schnelle Diagnose, ein klinisches Management und Infektionsprävention zu gewährleisten.“

Das sei nicht nur für die Patienten mit COVID-19 von Bedeutung, sondern ebenso für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Patienten, die dem Risiko einer nosokomialen Übertragung ausgesetzt sind, betonen die Autoren.

 
Wir müssen uns auf diesen potenziell überwältigenden Anstieg der Patientenzahlen einstellen und die Arbeitsabläufe im Vorfeld optimieren. Prof. Dr. Jason Phua
 

Im Umgang mit schwerkranken COVID-19-Patienten ist das Management des akuten Lungenversagens (ARDS) von zentraler Bedeutung. Notwendig sei eine deutliche Erhöhung der Intensivbetten, wobei der Schwerpunkt nicht nur auf der Infrastruktur und der Versorgung, sondern auch auf dem Personalmanagement liege.

Phua und Kollegen haben in ihrer Arbeit auch die Rolle verschiedener medikamentöser Therapien (u.a. mit Remdesivir, Lopinavir-Ritonavir, Chloroquin, Immunglobulinen, Blutplasma von Rekonvaleszenten, Tocilizumab und Favipiravir) aufgegriffen und die vorliegende Evidenz bewertet. Als derzeit aussichtsreichster Kandidat gilt Remdesivir.

Anfang April hatte die Europäische Arzneimittelagentur EMA das Virostatikum als Alternative für schwerkranke Patienten mit COVID-19 empfohlen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat derzeit 3 klinische Studien mit Remdesivir bei COVID-19 genehmigt. Alle einbezogenen Patienten sind moderat bis schwer erkrankt und werden stationär behandelt.

Herausforderungen im klinischen Management

Weil die Prädiktion des Krankheitsverlaufs von COVID-19 schwierig ist, empfehlen Phua und Kollegen, die Forschung zur Entwicklung und Validierung von Prognose-Instrumenten und Biomarkern zu forcieren. Da die klinischen Merkmale unspezifisch sind, sollte für diagnostische Tests ein niedrigerer Schwellenwert angenommen und im Zweifelsfall die Probeentnahme – bevorzugt aus den tieferen Atemwegen – wiederholt werden.

Phua und Kollegen empfehlen, beim Management des ARDS wegen der Aerosolbildung bei der Beatmung Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und Patienten möglichst in Einzelzimmern unterzubringen. Generell sollte früher eine Intubation erwogen werden. Weil die ECMO extrem ressourcenintensiv sei, müsse ihr Nutzen abgewogen werden.

Patienten mit COVID-19 entwickeln häufig eine myokardiale Dysfunktion, deshalb sollten Flüssigkeiten bei Hypovolämie mit Vorsicht verabreicht werden. Eine myokardiale Beteiligung sollte frühzeitig durch Troponin-Bestimmung und Echokardiographie geprüft werden.

Weil eine bakterielle Pneumonie und eine durch eine Influenza verursachte Pneumonie nur schwer von COVID-19 zu unterscheiden sind, sollte der Einsatz von Breitbandantibiotika und Neuraminidase-Hemmern erwogen werden. Werden die Mittel eingesetzt, sollte eine schnelle Deeskalation erfolgen. Nutzen und Risiken von systemischen Kortikosteroiden sind unklar, weshalb man den routinemäßigen Gebrauch vermeiden sollte.

Transporte aus der ITS z.B. zu CT-Scans bergen das Risiko der Virusübertragung. Besser ist deshalb die Verwendung von Ultraschall am Behandlungsort.

Patienten gelten erst nach der klinischen Genesung und nach 2 negativen PCR-Tests innerhalb von 24 Stunden als geheilt. Bei neuartigen und experimentellen Therapien, für die keine starke Evidenz vorliegt, sei es sinnvoll, Patienten in klinische Studien einzuschreiben.

Infektionsprävention, Infrastruktur, Kapazität und Personalausstattung

Der Mangel an medizinischen Masken und Beatmungsgeräten besteht weltweit. Die Autoren empfehlen deshalb die Wiederverwendung von Masken und ihren Einsatz auch über die Haltbarkeitsdauer hinaus. Bei den N95-Atemschutzmasken sollte regelmäßig geprüft werden, ob sie dicht sitzen.

Weil eine Selbstkontamination häufig bei der Entfernung der persönlichen Schutzausrüstung erfolgt, sollte das An- und Ablegen trainiert werden. Infektiöse Tröpfchen auf Mobiltelefonen und Geräten können nosokomiale Übertragungen verursachen. Deshalb sollten Oberflächen dekontaminiert und Mobiltelefone in Einwegbeutel verpackt werden. SARS-CoV-2 könnte auch fäkal übertragen werden. Daher sollte die sofortige und ordnungsgemäße Entsorgung von verschmutzten Gegenständen geübt werden.

Besuche auf der ITS stellen ein Infektionsrisiko für die Besucher dar. Deshalb sollten sie eingeschränkt oder verboten werden. Zur Kommunikation sollten Videokonferenzen eingesetzt werden.

Sind keine Isolierräume verfügbar, sollten ausreichend belüftete Einzelräume erwogen werden. Kohortenfälle können in geteilten Zimmern mit auseinander liegenden Betten untergebracht werden.

Da die Zahl kritisch kranker Patienten schnell steigen kann, sollte national und regional der Bedarf für die Intensivpflege modelliert werden. Überlegt werden sollte, ob eine Erhöhung der Intensivkapazität möglich ist und wenn ja, wie diese aussehen soll (z.B. außerhalb der ITS, auf anderen Stationen, in anderen Gebäuden u.ä). Elektive Operationen sollten verschoben werden. Weil Beatmungsgeräte Mangelware sind, sollten transportable Geräte, Operationssäle und Geräte aus Militäreinrichtungen in Betracht gezogen werden.

Für die Aufstockung des Personals sollten Pläne erstellt und eine angemessene Ausbildung (z.B. mit standardisierten Kurzkursen) angeboten werden. Weil das Infektionsrisiko von Ärzten, Pflege- und Rettungskräften hoch ist, sollte die Trennung der Teams und körperliche Distanzierung erwogen werden.

Maßnahmen zur Infektionsprävention, klare Kommunikation, Begrenzung der Schichtzeiten und die Bereitstellung von Ruhezonen beruhigen und unterstützen die psychische Gesundheit. Die Autoren raten auch dazu, eine Triage-Richtlinie zu etablieren.

Um die Forschung zu SARS-CoV-2 und COVID-19 zu beschleunigen, empfehlen Phua und Kollegen vorab genehmigte Forschungspläne anzupassen und die Zusammenarbeit internationaler Forschungsnetzwerke und Plattformen zu forcieren. Aus Sicht der Autoren bietet die Zusammenarbeit auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene die besten Überlebenschancen für schwerkranke Menschen.

 

Kommentar

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