COVID-19 hat auch Folgen für das Herz: Bei einem erheblichen Anteil schwer erkrankter Patienten fanden Dr. Shaobo Shi und seine Kollegen von der Universität Wuhan Myokardschäden, berichten sie in JAMA Cardiology [1].
Diese Komplikation geht mit einer deutlich erhöhten Mortalität einher. Besonders kritisch ist die Infektion offenbar für Menschen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern (ARB) als Therapie.
„Bei einem Fünftel der ins Krankenhaus aufgenommenen COVID-19-Patienten ließen sich Myokardschäden nachweisen. Dadurch haben sie ein unerwartet hohes Risiko, noch dort zu sterben“, schreiben Shi und seine Koautoren. Rund die Hälfte der Studienteilnehmer mit Herzmuskelschäden starb im Krankenhaus. Das war 10 Mal mehr als in einer Vergleichsgruppe ohne kardiale Defekte.
Kohorte mit 416 Patienten untersucht
Wie die Autoren erläutern, gibt es schon seit Ende 2019 Hinweise, etwa durch Labortests, Elektro- und Echokardiographien, dass COVID-19 kardiale Folgen haben kann; Details seien jedoch unklar gewesen.
Um mehr herauszufinden, starteten Kardiologen aus Wuhan eine retrospektive Kohortenstudie mit 416 Patienten, die zwischen dem 20. Januar und 10. Februar 2020 wegen schwerer, labordiagnostisch bestätigter SARS-CoV-2-Infektionen stationär behandelt worden waren.
Bei 82 Patienten (20%) lag eine Myokardschädigung vor, definiert als Wert des hochsensitiven Troponins hs-TNI über der 99. Perzentile. Und bei 14 von ihnen wurde gleichzeitig ein EKG aufgezeichnet. Durchweg zeigten sich für Myokardischämien charakteristische Veränderungen der ST-Segmente, der T- und der Q-Wellen.
Die Herzschädigung war mit ungünstigen Faktoren assoziiert
Im Vergleich zu COVID-19-Patienten ohne solche Befunde waren Infizierte mit Myokardschädigung vielfach im Nachteil:
Sie waren im Mittel älter, nämlich 74 versus 60 Jahre, und hatten häufiger Komorbiditäten, vor allem Hypertonie.
Signifikant höher waren auch Leukozytenzahl und die Werte an C-reaktivem Protein bzw. an Procalcitonin. Shi und sein Team verweisen darauf, dass die Aktivierung oder verstärkte Freisetzung solcher Entzündungsmarker zu Apoptose oder Nekrose von Herzmuskelzellen führen können. Vermehrt waren zudem Proteine, die auf Herzschäden hindeuten: Myohämoglobin, hochsensitives Troponin I, N-terminales pro-B-Typ natriuretisches Peptid, Aspartat-Aminotransferase oder Kreatinin.
Mit Röntgenverfahren waren wesentlich öfter Lungenherde und Milchglas-Trübungen der Lunge zu erkennen (65% versus 4,5%).
Patienten der kardialen Risikogruppe brauchten vermehrt eine nicht-invasive (46% zu 3,9%) oder eine invasive Beatmung (22% versus 4,2%).
Bei ihnen war öfter eine Behandlung mit Antibiotika, Glukokortikoiden oder intravenösen Immunglobulinen notwendig.
Häufiger traten Komplikationen auf, mit einem deutlichen Unterschied von 59% zu 15% vor allem beim ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome). Die akute Atemnot war ein weiterer unabhängiger Risikofaktor für die Mortalität durch COVID-19, mit einer hohen Hazard-Ratio (HR) von fast 8.
Mit 51% versus 4,5% ebenfalls eklatant war die Erhöhung der Mortalität, wobei die Rate umso mehr stieg, je ungünstiger der hs-TNI Wert lag. Nach Bereinigung um Störfaktoren, etwa Alter, Diabetes, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen und vorab bestehende kardiovaskuläre Erkrankungen, ergab sich ein mehr als 4-fach höheres Sterberisiko (HR 4.26) in der Zeit ab Symptombeginn.
Kardiale Vorerkrankungen stärker berücksichtigen
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass bereits bestehende Herz-Kreislauf-Erkrankungen Komplikationen verstärken. So waren in der Gruppe mit Myokardschäden signifikant mehr Hypertonie-Patienten als in der Gruppe ohne Schäden (60% versus 23%), Ähnliches galt mit 30% versus 6% für die koronare Herzkrankheit.
Die akute Entzündung bei COVID-19 könnte die inflammatorische Aktivität von Gefäßplaques anheizen und damit deren Ruptur oder Erosion begünstigen. Das hätte Verengungen bis hin zum Infarkt zur Folge, befürchten die Autoren.
In einem Standpunkt bei JAMA Cardiology bestätigen Dr. Chengzhi Yang von der Universität Beijing und ein Kollege die Bedeutung solcher Vorerkrankungen [1]: „Bei der Durchsicht mehrerer Berichte haben wir festgestellt, dass die häufigste Komorbidität bei Patienten, die wegen COVID-19 in einer Klinik behandelt werden mussten, chronische Herz-Kreislauf-Krankheiten waren.“ Demnach erhöht sich dadurch nicht nur das Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion, sondern – wie bekanntlich bei Pneumonien – auch für kritische Zustände und Tod.
ACE2 – ein Enzym mit Licht- und Schattenseiten
Als Schaltstelle für den Zusammenhang zwischen COVID-19 und Myokardschäden vermuten die Kommentatoren das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2). Diese Amino-Peptidase, welche an der Außenmembran von Zellen sitzt und im Herz häufig vorkommt, hat Licht- und Schattenseiten.
Einerseits schützt sie vor kardiovaskulären Krankheiten. Sie mindert Bluthochdruck, Arrhythmien, Atherosklerose, Myokard-Fibrose und -Hypertrophie. Andererseits ermöglicht sie die Infektion, denn SARS-CoV-2 nutzt – oder vielmehr missbraucht – sie als Eingangstor, indem es sein Spike-Protein mit starker Affinität daran ankoppelt, und zwar um das 10- bis 20-Fache fester als dies SARS-Viren tun. Das erklärt auch, warum sich der jetzt grassierende Corona-Erreger viel leichter von Mensch zu Mensch ausbreitet als SARS.
ACE-Hemmer und ARB erhöhen die Expression des Enzyms oder mindern dessen Verlust. Insofern sei es einleuchtend, dass diese Wirkstoffe das Risiko einer Infektion steigerten, so Yang und sein Kollege.
Sie betonen: „Gerade bei Patienten mit Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und ischämischer Herzkrankheit, die diese Medikamente erhalten, ist Aufmerksamkeit geboten, wenn sie an COVID-19 erkranken oder auch nur Kontakt zu Infizierten hatten.“
Im Zytokinsturm läuft das Immunsystem aus dem Ruder
Als weitere Ursache kommt ein sogenannter Zytokinsturm in Frage, eine lebensgefährliche Entgleisung des Immunsystems mit sich selbst verstärkender Rückkoppelung zwischen Zytokinen und Immunzellen. Wie Kardiologen aus Peking erläutern, münden Proliferation und Aktivierung von Lymphozyten und Makrophagen in systemische Entzündung und Multiorganversagen.
Gestützt wird die Hypothese durch eine Studie, die bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten erhöhte Zytokinspiegel im Plasma fand. Dazu zählten Interleukine, aber auch der der Tumornekrosefaktor (TNF) alpha. Sie schwächen das Kontraktionsvermögen des Herzens signifikant.
Bei Patienten mit Herzinsuffizienz kommt erschwerend hinzu, dass sich die Diagnose von COVID-19 verzögern kann. Dyspnoe und Müdigkeit sind typische Symptome, weshalb zunächst wenig bedacht wird, dass es sich vielleicht auch um Anzeichen der Infektion handeln könnte. Außerdem verstärkt COVID-19 die sowieso schon bestehende Hypoxämie, die entscheidend zur Mortalität beiträgt.
Auch von Arrhythmien könnte COVID-19 häufig begleitet sein. Diesen Verdacht gründen die Forscher auf den Vergleich des jetzigen SARS-CoV-2 mit dem nah verwandten Coronavirus SARS-CoV von 2003: In einer Studie hatten fast alle damit infizierten Teilnehmer vorübergehende Tachy- oder Bradykardien.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: SARS-CoV-2 und das Herz: Warum bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen das Sterberisiko höher ist – was man bislang dazu weiß - Medscape - 14. Apr 2020.
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