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„Auch seelisch Schutzkleidung anlegen“: Tipps vom Notfallmediziner und Peer-Berater gegen Psychostress in der Corona-Krise

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

8. April 2020

Die Pandemie ist für Ärzte und Pflegepersonal auch psychisch eine große Herausforderung. Wie geht man mit den verschiedenen Arten der Belastung am besten um? Dr. Andreas Schießl ist Oberarzt der Anästhesie in der Schön-Klinik München Harlaching und Mitbegründer sowie Vorstand des Vereins PSU Akut. Im Interview erklärt er, auf welche Alarmsignale Kollegen jetzt achten sollten.

Dr. Andreas Schießl

Der Verein bietet kollegiale, psychosoziale Unterstützung bei schwerwiegenden Ereignissen im Arbeitsalltag und hat jetzt eine Corona-Helpline für Bayern eingerichtet. Der Rat des Notfallexperten: „Auch psychisch für den angemessenen Selbstschutz in der Klinik sorgen!“

Medscape: Was belastet Ärzte und Pflegepersonal derzeit am meisten?

Dr. Schießl: Da ist zum einen das enorme Arbeitspensum. Schon vor der Pandemie arbeiteten viele Kollegen am Limit. Nun kommen noch zusätzliche Belastungen hinzu. Das Personal muss Herausforderungen meistern, wie sie die allermeisten noch nie erlebt haben. Möglicherweise sehr viele schwer kranke Patieten, verursacht durch ein Virus, über das noch wenig bekannt ist. Das ruft bei vielen Kollegen Fragen hervor und auch Ängste. Zum Beispiel: Wie hoch ist mein Ansteckungsrisiko? Was ist mit meiner Familie? Da ist ein Ruck der Verunsicherung durch die Kliniken gegangen.

Medscape: Ihren Verein gab es schon lange vor dieser Pandemie. Was war der Anlass für die Gründung im Jahr 2013?

Dr. Schießl: Wir waren eine Gruppe von Ärzten und Pflegekräften aus dem Notfalldienst und haben gemerkt, dass es da einen Bedarf gibt, über besonders belastende Erlebnisse zu sprechen – und zwar mit Menschen, die das genau kennen, weil sie selbst in dem Bereich arbeiten. Feuerwehr und Polizei hatten schon eine solche Peer-Beratung in Bayern, wir aber nicht. Diese Lücke wollten wir schließen. Wobei wir eigentlich bisher keine direkte Beratung angeboten haben, sondern versucht haben, das durch Schulungen dezentral in den Kliniken zu etablieren. Der Bedarf war jetzt aber so akut, dass wir eine direkte Telefonberatung zu SARS CoV-19 für Ärzte, Pflegepersonal und andere im Gesundheitswesen Tätige in Bayern eingerichtet haben.

Medscape: Wie können Sie helfen?

Dr. Schießl: Wir raten, die Situation erstmal zu akzeptieren. Ja, es ist alles neu, viele vertraute Strukturen werden so nicht mehr funktionieren. Wir müssen uns grundlegend umstellen. Es kommt einem schon ein bisschen so vor, als ob man sich auf einen Krieg vorbereitet. Das zu erkennen, kann helfen, weil man dann auch eher akzeptieren kann, wenn viele Dinge eben nicht mehr so reibungslos funktionieren wie sonst.

Medscape: Was sind konkrete Klagen der Kollegen, die Ihren Rat suchen?

Dr. Schießl: Fehlender Selbstschutz ist im Moment ein großes Thema. Manche sind wütend, weil sie das Gefühl haben, ihre Vorgesetzten schützen sie nicht ausreichend. Oder sie vermissen klare Arbeitsanweisungen. In diesen Fällen werben wir dann schon auch mal für Verständnis. Normalerweise soll ein Vorgesetzter Struktur schaffen und Sicherheit vermitteln. Aber das kann er oder sie einfach im Moment oft nicht, weil die Situation auch für das Führungspersonal neu ist. Wenn man dafür Verständnis hat und dies akzeptiert, hilft das. Wobei sich erfreulicherweise gerade sehr viele Vorgesetzte bei uns melden und wissen wollen, was sie tun können.

Medscape: Was können Kliniken tun, um die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter zu begrenzen?

Dr. Schießl: Auch für die psychische Unterstützung braucht es Vorbereitungen, wie bei der medizinischen Versorgung, zum Beispiel einen Krisenstab einzurichten. Alle Mitarbeiter sollten das Gefühl haben, dass sie dort vertreten sind. Denn es sind ja alle in einer Klinik von der Krise betroffen, bis hin zum Reinigungspersonal, das den Schockraum säubert.

Auch für ethische Fragen muss es Verantwortliche geben, damit niemand mit schwierigen Entscheidungen allein gelassen wird. Wenn jemand nur für sich entscheiden muss, wen er noch behandelt und wen nicht, kann ihn das seelisch schwer verletzten.

Medscape: Die Arbeitsbelastung lässt sich aber so schnell nicht verringern, oder?

Dr. Schießl: Dies wird eine enorme Herausforderung bleiben. Aber manche Arbeiten, die sonst das Pflegepersonal macht, können jetzt vielleicht andere übernehmen. Etwa, einen sterbenden Patienten zu begleiten. Da kann man als Klinikleitung versuchen, ob man vielleicht Verstärkung aus psychosomatischen Abteilungen organisieren kann oder Seelsorger einsetzt. Zu wissen, jemand ist bei dem Patienten, entlastet dann auch psychisch die Pflegekraft, die selbst nicht mehr die Zeit für die Begleitung hat.

Medscape: Woran merke ich, dass ich seelisch am Limit bin?

Dr. Schießl: Das kann sich auf sehr unterschiedliche Weise zeigen. Man ist vielleicht extrem gereizt oder zieht sich zurück. Auch, wenn ich innerlich sehr distanziert bin und mich gar nichts mehr berührt, ist das ein Alarmsignal. Jeder Mensch reagiert anders, und es hilft, wenn man die eigenen Marker kennt. Oft merken die Betroffenen das selbst leider gar nicht, weil sie auf Hochtouren arbeiten.

Deshalb raten wir immer, eine Vertrauensperson im Job zu haben, einen Buddy, der einem dann auf die Alarmsignale hinweist, vielleicht mal nachfragt, ob man eigentlich noch gut schläft. Wir bieten zum Beispiel auch Beratung für Angehörige an.

Medscape: Haben Sie derzeit schon viele Anrufe?

Dr. Schießl: Bisher ist es auch bei uns noch ein bisschen die Ruhe vor dem Sturm. Viele Kollegen sind derzeit im Aktiv-Modus und versuchen einfach, alles zu bewältigen. Nach unserer Erfahrung kommt die psychische Erschöpfung zeitversetzt.

Wir bemerken, dass viele Kliniken in ihrer Vorbereitung auch an die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter denken. Das ist eine sehr positive Entwicklung, die hoffentlich auch nach der Krise anhält. Die Zeiten, wo Notfallmedizin nur etwas für harte Kerle war, sind hoffentlich vorbei.

So schützen Sie sich vor seelischer Überforderung

1. Akzeptieren Sie, dass die Lage völlig neu ist und vieles improvisiert werden muss. Sie können versuchen, ihr Bestes zu geben – aber dennoch wird nicht alles so routiniert funktionieren wie sonst.

2. Wenn Sie physische Schutzkleidung anlegen, beispielsweise bei Dienstbeginn, tun Sie das im übertragenen Sinne auch psychisch. Versuchen Sie, eine gewisse innerliche Distanz zu behalten. Sehen Sie auch die positiven Aspekte, die sie über den Tag erleben, z.B. die Kollegialität. Dinge, die vor kurzem nicht denkbar waren, gehen plötzlich. Genießen Sie die Wertschätzung, die viele Ihnen neu schenken. Am Ende der Schicht versuchen Sie für sich passende Rituale zu finden, damit es einfacher fällt Abstand zur Arbeit zu finden und gut in die andere Rolle als Partner, Familienangehöriger usw. zu kommen.

3. Auch wenn Sie sehr gute Arbeit leisten – nicht alle Patienten können gerettet werden. Nicht Sie verlieren dann einen Patienten, sondern er stirbt an der Krankheit. Sie haben alles unternommen, um ihm eine Chance zu geben.

4. Wenn Sie ein Erlebnis nachhaltig belastet, sprechen Sie mit vertrauten Kollegen darüber oder mit belastbaren Freunden. Achten Sie darauf, dass Sie Ihre Partner nicht mit den Geschichten überfordern. In diesen Fällen, suchen Sie weitere Unterstützung, zum Beispiel bei der Helpline (wenn Sie in Bayern wohnen).

 

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