Stiche sind besser als Nichtstun: Mit der Akupunktur könne man den Krebspatienten mit Polyneuropathie endlich etwas anbieten, sagt PD Dr. Georgia Schilling und erklärt eine neue, kontrollierte Studie.
Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin Chefärztin der Abteilung für Onkologische Rehabilitation in der Asklepios Nordsee-Klinik Westerland auf Sylt und auch leitende Oberärztin im Asklepios-Tumorzentrum in Hamburg.
Ich bin natürlich immer auf der Suche nach Reha- und Nachsorge-relevanten Themen. Dabei bin ich auf eine sehr interessante Arbeit gestoßen, die ich Ihnen vorstellen möchte.
Sie wurde am 11. März 2020 von Bao et al. aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, in JAMA Network open veröffentlicht. Untersucht wurde der Effekt von Akupunktur versus Schein-Akupunktur auf die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie.
Bislang kaum Interventionsmöglichkeiten
Die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie ist eine der häufigsten und am stärksten beeinträchtigenden Langzeitnebenwirkungen einer neurotoxischen Chemotherapie bzw. Systemtherapie. Sie verschlechtert die Lebensqualität von Langzeitüberlebenden nach Krebserkrankung erheblich. Das wissen wir aus sehr vielen Arbeiten und ich sehe in meiner Reha-Abteilung täglich, wie beeinträchtigt die Patienten tatsächlich sind.
Etwa im Jahr 2014 wurde ein großes Review der ASCO mit Guidelines publiziert, in dem es um Behandlungs- und Prophylaxe-Möglichkeiten ging. Die Arbeit war sehr enttäuschend. Hatte man 30 Seiten durchgelesen, stand fest, dass es nichts gibt, was man empfehlen kann. Allenfalls könnte Duloxetin bei der schmerzhaften Polyneuropathie hilfreich sein.
Nach wie vor sind wir auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, was wir mit den Patienten machen können. Wir brauchen dringend eine gute verträgliche, evidenzbasierte Intervention.
Akupunktur versus Schein-Akupunktur
Die Studie von Bao et al. war randomisiert und dreiarmig (1:1:1) angelegt. Pro Arm waren 25 Patienten vorgesehen. Das hat man knapp geschafft.
Verglichen wurden 8 Wochen Akupunktur versus Schein-Akupunktur versus Standardbehandlung, also keine Intervention. Es ist bitter, wenn die Standardbehandlung in Nichtstun besteht.
Eingeschlossen wurden Patienten mit soliden Tumoren mit einer persistierenden moderaten bis schweren Polyneuropathie – und zwar mit Taubheit, Kribbeln oder Schmerzen ≥ 4 auf einer numerischen Analogskala (NRS) von 0 bis 10. Die Patienten sollten mindestens 3 Monate Chemotherapie erhalten und keine kontinuierliche neuropathische Medikation bekommen haben.
Primärer Endpunkt der Studie war die Schwere der Symptome, beurteilt anhand der NRS nach 8 Wochen. Diese NRS besitzt eine hohe Verlässlichkeit und Validität, obwohl sie ein einfaches Instrument ist.
Zu den Ergebnissen
Die größte absolute Reduktion der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie war nach 8 Wochen im Akupunktur-Arm zu verzeichnen, die geringste im Standard-Arm. Auch im Arm mit Scheinakupunktur – Placeboeffekt – kam es zu einer Symptomreduktion. Nach 12 Wochen sahen die Ergebnisse genauso aus. Nebenwirkungen waren selten und leicht.
Akupunktur hat also einen therapeutischen Nutzen auf die schmerzhafte Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie. Die Symptomatik verbesserte sich signifikant. Daher kann man das Vorgehen m.E. empfehlen.
Schwäche der Studie ist die kleine Fallzahl mit je 25 Teilnehmern in jedem Arm, auch das Follow-Up war sehr kurz.
Wir brauchen also eine weitere Studie mit größeren Fallzahlen, die ebenfalls einen Kontrollarm mit Schein-Akupunktur mitführt, damit man den Placeboeffekt abziehen kann.
Mein Fazit zum derzeitigen Zeitpunkt
Die Nebenwirkungen sind so selten und geringfügig, dass man seinen Patienten durchaus eine Akupunktur empfehlen kann, wenn dazu die Möglichkeit vor Ort besteht.
Das Wichtigste ist, dass wir den Patienten etwas mitgeben können, etwas für sie tun. So bekommen sie das Gefühl, dass wir sie und ihre Beschwerden ernst nehmen.
Versuchen kann man das, so finde ich, auf jeden Fall.
In diesem Sinne – Tschüss.
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Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Endlich wirkt etwas gegen Polyneuropathie nach Chemo: „Akupunktur durchaus zu empfehlen!“ - Medscape - 11. Mai 2020.
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