Der Psychiater und Stressforscher Prof. Dr. Mazda Adli motiviert in diesem Interview Ärzte, ihre Patienten in der Corona-Krise nicht alleinzulassen und erklärt, wie man sich gegen den Kontrollverlust wappnet.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Mazda Adli, Berlin:
Ich heiße Mazda Adli und bin Psychiater. Ich leite die Fliedner Klinik in Berlin und außerdem den Forschungsbereich „Affektive Störungen“ an der Charité, Berlin. Da geht es vor allem um Fragen zum Thema therapieresistente Depression und Stress.
Was sind die häufigsten psychischen Probleme, die durch die Ausgangs-beschränkungen entstehen?
Was wir im Moment erleben, ist eine enorme Veränderung der Alltagsroutinen. Unser berufliches und privates Leben hat sich ganz erheblich verändert, und zwar quasi über Nacht. Das löst bei vielen Menschen Verunsicherung und auch Ängste aus. Bei einigen führt das auch zu sehr starken Ängsten.
Wir erleben zum Beispiel, dass Patienten, die lange stabil waren, jetzt in eine krisenhafte Situation kommen. Die Angst wird sehr stark und dadurch kommt das psychische Gleichgewicht abhanden.
Wir erleben Menschen, die sich mit der sozialen Isolation schwer tun, denen das Alleinsein zu Hause schwer fällt. Gerade in den Großstädten haben wir sehr viel Alleinlebende. Hier in Berlin zum Beispiel lebt ein Drittel der Bevölkerung allein in einem Haushalt. Einsamkeit und Isolation können dann zu sozialem Stress werden, der auch psychisch belastet.
Wie können Ärzte und Psychologen ihre psychisch belasteten Patienten im Moment optimal betreuen?
Menschen werden natürlich jetzt auch in der Pandemie psychisch erkranken. Wir sehen, dass es viele Menschen destabilisiert, wenn sie jetzt mit den vielen Veränderungen des Alltags konfrontiert sind.
Das bedeutet, dass wir Psychiater und Psychotherapeuten verstärkt gefragt sind. Es ist wichtig, dass auch alle Kanäle hin zu uns weit offen sind.
Für uns bedeutet es zum Beispiel, dass wir sehr viele ambulante Behandlungen auf Videotelefonie umstellen und das den Patienten auch aktiv anbieten.
Wir versuchen, Termine nicht ausfallen zu lassen, sondern zum Beispiel durch die neuen elektronischen Möglichkeiten zu kompensieren. Es ist wichtig, dass von unseren Kliniken und Praxen ein sehr klares Signal ausgeht, dass wir alle jederzeit ansprechbar sind.
Gibt es an Ihrer Klinik schon spezielle psychologische Hilfsangebote für Patienten, die unter der Pandemie leiden?
Ja, wir haben alle schon angefangen, unsere ersten Beobachtungen auszuwerten, um spezifische Belastungsmuster in der Bevölkerung zu erkennen. Wir sind allerdings noch am Anfang dieser Beobachtungen.
Es haben auch einige Forschungsprojekte begonnen, um die Situation der psychischen Belastung in der Bevölkerung zu erfassen.
Wir versuchen daraus täglich unsere Schlüsse zu ziehen. Beispielsweise werten wir hier in der Fliedner Klinik täglich aus, was wir jeweils am Tag zuvor erlebt haben. Mit welchen speziellen Fragen direkt zur Pandemie Patienten sich an uns wenden und auf welche Patientengruppe wir unser besonderes Augenmerk zu richten haben.
Wir sehen zum Beispiel, dass es derzeit vor allem Patienten mit fortbestehenden depressiven Erkrankungen oder Angsterkrankungen besonders schwer haben.
Haben Sie Tipps, wie Patienten mit dem Kontrollverlust durch Corona besser umgehen können?
Was wir im Moment erleben ist ja nicht nur eine Pandemie, sondern ist auch eine psychologische Krise, in der sehr viele Ängste entstehen. Diese Ängste werden zusätzlich noch dadurch angetrieben, dass die Situation von vielen Menschen als unvorhersehbar und auch als schlecht kontrollierbar wahrgenommen wird. Viele Menschen erleben also eine Art Kontrollverlust.
Mein Rat dabei ist, dass wir uns einerseits klar machen, dass wir der Situation nicht hilflos ausgesetzt sind, sondern dass wir vielmehr durch die derzeitigen Einschränkungen und Restriktionen gemeinsam viel erreichen. Jeder Einzelne, der sich im Moment an die Regeln des Infektionsschutzes hält, trägt dazu bei, dass sich eine Vielzahl von Menschen nicht bzw. nicht so schnell anstecken.
Wir sind also alle gemeinsam auch Teil eines großen Präventionsprojekts. Wenn man sich das klar macht, wird deutlich, dass jeder Einzelne im Moment etwas beitragen und bewirken kann und dass wir nicht nur ausgeliefert sind.
Das andere, was ich wichtig finde, dass wir auch über die Zeit nach der Corona-Pandemie sprechen, um uns klar zu werden, dass es etwas Vorübergehendes ist, dass diese Zeit vorbei geht. Wenn wir „Land in Sicht“ haben, dann ist es auch leichter mit den momentanen Einschränkungen umzugehen.
Was machen Sie persönlich gegen den Corona-Stress?
Mir hilft es, zwischendurch auch Corona-freie Zeiten einzuhalten. Es ist ja ein Thema, dem man sich durch die enorme Präsenz kaum entziehen kann. In den Nachrichten gibt es kaum ein anderes Thema als die Pandemie.
Deswegen verordne ich mir auch Zeiten, in denen ich mich ganz bewusst in andere Dinge vertiefe, in dem ich z. B. lese, Musik mache, draußen jogge, um den Kopf frei zu bekommen.
Außerdem erlebe ich im Moment, dass sich alte Weggefährten und alte Freunde melden, von denen man vielleicht schon lange nichts mehr gehört hat. Wenn ich mich in meinem Umfeld umhöre, geht es vielen ähnlich. Dem kann ich auch sehr viel abgewinnen und es hilft mir persönlich, mit den Einschränkungen besser klar zu kommen.
Medscape © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Rezepte gegen Corona-Angst: Wie man in der Krise Patienten psychisch stabilisieren kann – ein Psychiater gibt Tipps - Medscape - 21. Apr 2020.
Kommentar