In den nächsten Wochen wird bundesweit mit einem starken Anstieg der Zahl an SARS-CoV-2-Infizierten gerechnet, die auch hierzulande zu einer Überlastung von Kliniken und Notaufnahmen führen könnten – inklusive längerer Wartezeit bis zur Diagnostik.
Schwer verlaufende Infektionen gehen in der Regel mit einer Lungenentzündung einher, die üblicherweise mit einer Röntgen-Thorax-Untersuchung oder einem Lungen-CT abgeklärt wird. Eine günstige, strahlungsfreie und nach Ansicht von Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V. (DEGUM) gute Alternative zur initialen Abklärung und Verlaufsbeobachtung könnte ein Lungenultraschall sein [1].
„Ein Point-of Care-Ultraschall der Lunge ist ein sehr wertvolles und effektives Instrument, um den Zustand der Lunge eines Patienten schnell und sicher einzuschätzen“, so Prof. Dr. Josef Menzel aus Ingolstadt, Neupräsident der DEGUM, in einer Pressemitteilung der Fachgesellschaft.
Lungenultraschall schnell verfügbar und sicher
Ein Lungenultraschall werde aktuell sicher nicht zum Goldstandard der COVID-19-Diagnostik, könne aber als Weichensteller sehr hilfreich sein, meint Dr. Alexander Heinzmann aus Reutlingen, Leiter des Arbeitskreises Thoraxsonografie der DEGUM, im Gespräch mit Medscape.
Als wichtige Vorteile im Vergleich zu Röntgen und CT nennt er die schnelle Verfügbarkeit und hohe Sicherheit des Verfahrens. Geeignet für die Lungendiagnostik seien alle Ultraschallsysteme mit normalen Schallköpfen, auch portable Geräte, die direkt am Krankenbett eingesetzt werden können. Dadurch könne das Infektionsrisiko weiterer Klinikmitarbeiter minimiert werden, da eine Verlegung des Corona-Infizierten für die Untersuchung nicht nötig sei.
Noch steht allerdings eine zuverlässige Bewertung des Lungenultraschalls in der COVID-19-Diagnostik im Vergleich zu den Standardverfahren aus. „Per Ultraschall können nur Lungenläsionen detektiert werden, die die Thoraxwand erreicht haben“, räumt Heinzmann ein. Erfahrungen in seiner Klinik mit COVID-19-Patienten und die vieler seiner Kollegen zeigten aber, dass bei den meisten von einer COVID-19-Pneumonie Betroffenen auch periphere Läsionen bestünden. „Wir arbeiten in diesen Fragen eng mit italienischen Kollegen zusammen“, sagte Heinzmann.
Erste wissenschaftliche Daten zum Lungenultraschall bei COVID-19
Eine Arbeitsgruppe aus Rom hat kürzlich die ersten per Lungenultraschall erhobenen Lungenbefunde bei einem 52-jährigen Mann mit Fieber, Husten, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Photophobie veröffentlicht, bei dem Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion bestand. Im Ultraschallbild ergaben sich klare Hinweise auf bilaterale interstitielle-alveoläre Schäden, darunter diffuse Anomalien der Pleuralinie, subpleurale Konsolidierungen, weiße Lungenflächen und dicke irreguläre vertikale Artefakte. Die Blutuntersuchung bestätigte eine Infektion mit neuartigen Coronaviren.
Weitere Daten kommen aus China. Dort hat eine Forschergruppe bei 20 Patienten mit COVID-19-Erkrankungen die Lungenbefunde bei Ultraschall- und CT-Untersuchungen verglichen. Sie berichtet von vielen Übereinstimmungen, vor allem bei Pleuraverdickungen und Konsolidierungen. Als größte Einschränkung heben die chinesischen Forscher hervor: Tiefe Läsionen in der Lunge können per Ultraschall nicht nachgewiesen werden.
Noch zu früh für Lungenultraschall in der Routine?
Zurückhaltend in Bezug auf eine Optimierung der Corona-Diagnostik durch Lungenultraschall äußerte sich im Gespräch mit Medscape Prof. Dr. Felix Herth, Chefarzt der Inneren Medizin, Abteilung Pneumologie, am Universitätsklinikum Heidelberg. Zwar sei ein Lungenultraschall bei Verdacht auf Pneumonie ein etabliertes Verfahren, aber die Stratifizierung der Befunde müsse noch verbessert werden. Dies gelte besonders für die atypische Pneumonie von COVID-19-Patienten, die im Ultraschall schwierig zu beurteilen sei.
Nach Einschätzung des Pneumologen bestehe bei Einsatz eines Lungenultraschalls und negativen Befunden die Gefahr, dass die Patienten gar nicht mehr im CT untersucht würden. Herth: „Häufig werden bei COVID-19-Patienten im CT zentrale Veränderungen im Lungenkern nachgewiesen... der Lungenultraschall zeigt aber nur die Peripherie.“ Ein CT bringe auch prognostische Hinweise, wie zum Beispiel den Befall des Suprapleuralraums.
Das Fazit von Herth: „Ich halte es aufgrund weniger Fallberichte für verfrüht, den diagnostischen Algorithmus bei Verdacht auf COVID-19-Pneumonie zu verändern.“ Am Heidelberger Universitätsklinikum wird derzeit nach seinen Angaben bei schwer erkrankten Corona-Patienten mit einer Sauerstoffsättigung unter 94% konsequent ein CT gemacht. „Sie haben fast alle eine Pneumonie“, berichtet der Experte.
Auch er sieht die Ultraschalldiagnostik bei Corona-Patienten weniger als Ersatz für das CT an, sondern als Überbrückungsmethode zur schnellen Beurteilung des Schweregrades der Erkrankung, eventuell auch zum Screening in der Hausarztpraxis.
Voraussetzung sei eine gute Expertise mit der Ultraschalltechnik in der Lungendiagnostik. Ein weiteres Einsatzgebiet sei die Verlaufskontrolle bei COVID-19-Patienten zur Früherkennung drohender Komplikationen. Lungenveränderungen im Ultraschall könnten darauf hinweisen, dass sich der Zustand bisher stabiler Patienten bald verschlechtere.
Protokoll zur sonografischen Beurteilung von COVID-19 in Arbeit
Wie geht es weiter? In diesen Tagen wollen Heinzmann und rund 20 Kollegen aus Deutschland, Österreich (Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, ÖGUM) und aus der Schweiz (Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, SGUM) auf der Homepage ihrer Fachgesellschaften ein Protokoll für die Lungendiagnostik per Ultraschall veröffentlichen, das zur Beurteilung einer COVID-19-Pneumonie geeignet sei.
Daten von bisher rund 100 untersuchten Corona-Patienten wurden dazu ausgewertet. Hauptkriterien sind die Fragmentierung der Pleura, Konsolidierungen, ein Aerobronchogramm zur Beurteilung von Lufteinschlüssen sowie vertikale Artefakte. Zudem soll als Orientierungshilfe eine Sammlung typischer Bildbefunde veröffentlicht werden.
Wie hilfreich die Initiative der Ultraschall-Experten zur Früherkennung einer COVID-19-Pneumonie und zur Verlaufsbeobachtung von Corona-Infizierten sein können, wird sich womöglich bereits in den nächsten Wochen zeigen.
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Diesen Artikel so zitieren: Bei knappen Ressourcen: Das halten Experten von Lungenultraschall statt CT oder Röntgen zur COVID-19-Diagnostik - Medscape - 3. Apr 2020.
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