Frankfurt – Regulatorische T-Zellen bewahren den Körper davor, dass sein Immunsystem eigene Körperzellen angreift. Denn diese Immunzellen helfen, zwischen fremd und körpereigen zu unterschieden. Unterdrückt oder stärkt man sie, erhält das Immunsystem einen Dämpfer oder einen Kick – beides kann therapeutisch relevant sein.
Entdeckt hat diese spezifischen T-Zellen der japanische Arzt Prof. Dr. Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka. Dafür erhielt er kürzlich den mit 120.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2020 – wegen der Corona-Pandemie allerdings nicht während eines Festaktes in der Paulskirche, sondern in kleinem Kreis in Frankfurt [1].

Prof. Dr. Shimon Sakaguchi (© Uwe Dettmar)
„Ohne die von Sakaguchi entdeckten regulatorischen T-Zellen wäre das Immunsystem nicht in der Lage, Fehler bei der Unterscheidung von Freund und Feind mit dem gebotenen Nachdruck zu korrigieren“, begründet der Paul Ehrlich-Stiftungsrat seine Entscheidung zur Preisvergabe. Das Immunsystem brauche Kontrolle, weil Übereifer zu Autoimmunerkrankungen führe, Versagen dagegen Krebswachstum fördern könne. „Sakaguchis Entdeckung hat demnach eine hohe medizinische Relevanz.“
Wie der Körper sein Immunsystem steuert
Der 69-jährige Sakaguchi hat gezeigt, dass regulatorische T-Zellen (Treg) eine Art „Friedenstruppe“ des Immunsystems und für die Selbsttoleranz verantwortlich sind. Vorher konnte man sie lange nicht eindeutig identifizieren – erst dem Japaner gelang es 1995, einen entsprechenden Marker zu finden: CD25, die alpha-Kette des IL2-Rezeptors. Treg sind die einzigen T-Zellen, die dauernd große Mengen dieses Proteins bilden.
Sakaguchi machte aber noch eine weitere Entdeckung: Er zeigte, dass Treg auch das Protein Foxp3 bilden. Über diesen Transkriptionsfaktor fahren regulatorische T-Zellen die Maschinerie hoch, mit der das Immunsystem bei Bedarf gedämpft wird. Patienten mit der seltenen angeborenen Krankheit IPEX-Syndrom fehlt Foxp3 – sie entwickeln daher schon bald nach der Geburt schwere Autoimmunerkrankungen.
Regulatorische T-Zellen als Therapieziel
Damit sind regulatorische T-Zellen ein mögliches Therapieziel: zum einen bei Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem einen „Dämpfer“ braucht, zum anderen bei Krankheiten wie Krebserkrankungen, bei denen das Immunsystem nicht ausreichend gegen Tumorzellen vorgeht.
In einem Tumor können 60 bis 80% der T-Zellen Treg sein, normalerweise sind es nicht mehr als 5%. Krebszellen stellen sich sozusagen unter den „Schutzschirm“ der Treg und entziehen sich damit einem Immunangriff. Für eine entsprechende Therapie müsste die Zahl der Treg im Tumor reduziert oder ihre Wirkung blockiert werden. Sakaguchi forscht daran, wie Treg im Tumor gezielt in konventionelle T-Helfer-Zellen umgewandelt werden können, um so den „Schutzschirm“ zu schwächen – ohne aber die Wirkung der regulatorischen T-Zellen in anderen Körperregionen zu behindern, damit es nicht zu Autoimmunreaktionen kommt.
Für die Behandlung von Allergien, Autoimmunerkrankungen oder Abstoßungsreaktionen müssten die regulatorischen T-Zellen dagegen gestärkt werden, weil das Immunsystem fälschlicherweise gegen körpereigenes Gewebe bzw. gegen Spendergewebe vorgeht. Derzeit gibt es allerdings nur Phase-1- und -2-Studien, in denen die grundsätzliche Wirkung und Sicherheit von Treg untersucht wird: beiTyp-1- Diabetes, Morbus Crohn und Abstoßungsreaktionen.
Nachwuchspreis: Korrekte Weitergabe von Chromosomen am Lebensanfang
Den mit 60.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2020 hat Dr. Judith Reichmann erhalten. Die 35-jährige Wissenschaftlerin wurde für ihre Forschungen zu den Ursachen von Chromosomenstörungen und Fehlgeburten ausgezeichnet. Die Biologin, die am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg arbeitet, hat die dafür verantwortlichen Fehlerquellen bei Mäusen entdeckt.

Dr. Judith Reichmann (© Uwe Dettmar)
Die Bildung der Keimzellen und die erste Zellteilung der befruchteten Eizelle sind fehleranfällig – manchmal stimmt die Zahl der Chromosomen oder Zellkerne nicht, meist münden solche Fehler in eine Fehlgeburt. Bei Mäusen wird das Protein Tex19.1 exprimiert, das die Paarung der Chromosomen indirekt stabilisiert, bis die Meiose beendet ist. Fehlt dieses Protein in der Eizelle, gibt es unter den Nachkommen Embryonen, die zu viele oder zu wenige Chromosomen haben, fand Reichmann heraus.
Tex19.1 sorgt dafür, dass die Embryonen trotz der Unterbrechung der Meiose die korrekte Zahl an Chromosomen erhalten. Bei Mäusen wird die Meiose mehrere Monate, bei Menschen sogar mehrere Jahre unterbrochen: Die Meiose in den Eizellen beginnt bereits während der Embryonalentwicklung im Mutterleib, vollendet wird sie erst bei einem späteren Eisprung nach der Pubertät.
Das Protein Tex19.1 gehört auch zu einem System, das das Genom von Spermien während der Meiose stabilisiert.
Neue Bedeutung des Zwei-Zell-Embryo-Stadiums
Außerdem entdeckte Reichmann mit der Lichtblattmikroskopie, dass sich der mütterliche und väterliche Chromosomensatz bei Mäusen nicht bereits in der befruchteten Eizelle mischen, sondern erst im Zwei-Zell-Embryo. Der Grund dafür: Die beiden Chromosomensätze sind nach Auflösen des mütterlichen und väterlichen Vorkerns in 2 getrennten Spindeln eingebunden, nicht wie bisher vermutet, in einer Spindel. Im Zellkern des Zwei-Zell-Embryos bleiben die beiden Chromosomensätze zunächst noch in unterschiedlichen Hemisphären, bevor sie sich mit jeder weiteren Teilung immer mehr durchmischen.
Auch in menschlichen befruchteten Eizellen scheinen die Chromosomensätze zu Beginn getrennt zu bleiben – ob dies auch an der Bildung zweier Spindeln liegt oder an einem anderen Mechanismus, ist noch offen.
„Judith Reichmann hat gezeigt, wie Mäuse dafür sorgen, dass ihre Nachkommen die korrekte Zahl an Chromosomen und nur einen Zellkern haben“, schreibt der Stiftungsrat in seiner Begründung zur Nachwuchspreisvergabe. „Reichmanns Forschung trägt vielleicht eines Tages dazu bei, dass die Rate an Fehlgeburten bei Frauen reduziert werden kann – vorausgesetzt, die bei Mäusen identifizierten Fehlerquellen gelten auch für die menschliche Fortpflanzung.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Paul-Ehrlich-Preis 2020: Regulatorische T-Zellen als „Wächter“ des Immunsystems – und Ursachen von Chromosomenstörungen - Medscape - 2. Apr 2020.
Kommentar