Corona-Krise: Ärzte zwangsrekrutieren und Material beschlagnahmen? Das halten Standesvertreter von harten Maßnahmen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

1. April 2020

Notfallplan Corona in Bayern, Epidemie-Gesetz in Nordrheinwestfalen: Je länger die Corona-Krise dauert, desto härtere Maßnahmen beschließen die Bundesländer. Der Notfallplan Corona schaltet faktisch die Selbstorganisation des Gesundheitssystems aus. Laut Erlass des Innen- und Gesundheitsministeriums werden in allen Landkreisen und kreisfreien Städten Versorgungsärzte eingesetzt. Sie sind dem jeweiligen Landrat bzw. dem Bürgermeister unterstellt.

Und mit dem Epidemie-Gesetz soll es in NRW möglich sein, Ärzte, Pflegepersonal und Rettungskräfte zum Einsatz gegen COVID-19 zu verpflichten. Die Regelungen ermöglichen es Ländern auch, medizinisches Material und Geräte bei Firmen sicherzustellen. Dagegen regt sich jedoch Widerstand.

Kritik von Standesvertretern

Mit deutlichen Worten wenden sich Ärzteverbände gegen Zwangsverpflichtungen. Oppositionspolitiker kritisieren wiederum, das Epidemie-Gesetz greife massiv in Grundrechte von Bürgern und Unternehmen ein.

Grundsätzliches Verständnis äußert die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB). In dem sich weiter zuspitzenden Krisen-Szenario rund um das Coronavirus seien klare Zuständigkeiten und abgestimmte Prozesse von entscheidender Bedeutung, so die KVB. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml betont, dass die Versorgungsärzte ihre Aufgaben möglichst im Konsens mit den Niedergelassenen und den ärztlichen Standesorganisationen erfüllen sollten.

Der Versorgungsarzt ist an die örtliche Katastrophenschutzbehörde angebunden, er soll z. B. Schwerpunktpraxen für die Untersuchung und Behandlung von COVID-19-Patienten einrichten und Personal rekrutieren.

Zwangsrekrutierung Ausdruck des Misstrauens?

„Es ist jetzt nicht an der Zeit, um über Kompetenzen und grundsätzliche Regularien in unserem Gesundheitssystem zu diskutieren. Der derzeitige Katastrophenfall stellt eine absolute Ausnahmesituation dar, die nur mit Bündelung aller Kräfte bewältigt werden kann“, so der Vorstand der KVB, Dr. Wolfgang Krombholz, Dr. Pedro Schmelz und Dr. Claudia Ritter-Rupp.

 
Es ist jetzt nicht an der Zeit, um über Kompetenzen und grundsätzliche Regularien in unserem Gesundheitssystem zu diskutieren. Dr. Wolfgang Krombholz, Dr. Pedro Schmelz und Dr. Claudia Ritter-Rupp
 

Sie stellten aber auch klar, dass sich die Ärzte vor Beginn der Krise mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln eingebracht“ hätten und erinnert an das große Engagement: „Dass man von staatlicher Seite nun statt Freiwilligkeit auf eine Zwangsrekrutierung setzt, ist ein unnötiger Ausdruck des Misstrauens gegenüber der hoch leistungsfähigen und -willigen Ärzteschaft."

Die Vorstände erinnern daran, dass bei der Versorgung mit Masken, Kitteln und Desinfektionsmittels „nach wie vor ein eklatanter Mangel“ herrsche. Die Bundesebene habe seit Tagen und Wochen umfassende Lieferungen angekündigt – die aber seien bislang – etwa bei der KVB in Bayern – nur in sehr kleinen Einzellieferungen – und teilweise mit Mängeln behaftet – eingetroffen.

 
Dass man von staatlicher Seite nun statt Freiwilligkeit auf eine Zwangsrekrutierung setzt, ist ein unnötiger Ausdruck des Misstrauens … Dr. Wolfgang Krombholz, Dr. Pedro Schmelz und Dr. Claudia Ritter-Rupp
 

Ihre Kritik: „Wir warten täglich auf die Lieferungen vom Bund, aber es kommt praktisch nichts an. Es ist zu begrüßen, dass die Bayerische Staatsregierung jetzt die Beschaffung und Verteilung der Schutzmaterialien an Kliniken, Praxen und andere Einrichtungen zentral organisieren will.“

Hartmannbund warnt vor Überbietungswettbewerb an Einschränkungen

Vor einem Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten warnt Dr. Klaus Reinhardt, der Vorsitzende des Hartmannbundes. „Wir dürfen bei allem Respekt vor erkennbarem Handlungsbedarf jetzt nicht jedes Maß verlieren und in einen Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten einsteigen“, sagte Reinhardt.

 
Wir dürfen (…) nicht jedes Maß verlieren und in einen Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten einsteigen. Dr. Klaus Reinhardt
 

Zunächst müsse die Frage beantwortet werden, was genau an „Mehr“ man durch Zwangsmaßnahmen zu erreichen hoffe, was nicht auf kooperativer Grundlage auch gemeinsam in und mit den Strukturen der Selbstverwaltung erreicht werden könne.

Explizit äußerte sich Reinhardt zum Epidemie-Gesetz. Die geplanten Eingriffe seien „auch Ausdruck eines völlig unbegründeten Misstrauens gegenüber maßgeblichen Akteuren der Versorgung“.

Deutliche Worte kamen auch vom Virchowbund: „Die Entmachtung der kassenärztlichen Vereinigung und die Zwangsverpflichtung von Vertragsärzten sind völlig unnötig und demotivierend“, so dessen Vorsitzender Dr. Dirk Heinrich.

 
Die Entmachtung der kassenärztlichen Vereinigung und die Zwangsverpflichtung von Vertragsärzten sind völlig unnötig und demotivierend. Dr. Dirk Heinrich
 

Und Prof. Dr. Hans Martin Hoffmeister, Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten, konstatierte: „Die neuen Maßnahmen einiger Landesregierungen erwecken jetzt den Eindruck, eigenes Versagen durch politischen Aktionismus kaschieren zu wollen.“

Mangel an Schutzkleidung bleibt problematisch

Auch die Freie Ärzteschaft (FÄ) warnt davor, Engagement durch Zwang zu konterkarieren. „Im Laufe der Corona-Pandemie haben sich bereits zahlreiche Freiwillige wie Ärzte aus dem Ruhestand, aus Medizinberufen Ausgestiegene und Medizinstudierende gemeldet, um bei der Bewältigung dieser Krise zu helfen“, erklärte Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ).

Diese Bereitschaft sei enorm und dürfe keinesfalls durch Zwang ersetzt werden, sagte Dietrich. Das Gesetzesvorhaben sei ein „ganz falsches Signal an Ärzte, Pflegepersonal und Öffentlichkeit. Denn es mangelt nicht an deren Motivation, sondern an Schutzausrüstung, besonders auch in den Praxen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte“, betont Dietrich. Die Versäumnisse lägen da bei der Politik und von dort seien Lösungen gefordert.

Dass ein Mangel an Schutzausrüstung nach wie vor besteht, bestätigt auch Christopher Schneider, Sprecher der KV Nordrhein (KVNO), gegenüber Medscape. Er verweist auf die jüngste Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung. Schon am 28. Februar hatten Delegierte darauf hingewiesen, dass Schutzausrüstungen dringend erforderlich sind. „An dieser dringenden Forderung hat sich gerade bei steigenden Patientenzahlen nichts geändert“, bestätigt jetzt Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KVNO.

 
Es mangelt nicht an deren Motivation, sondern an Schutzausrüstung, besonders auch in den Praxen der niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Wieland Dietrich
 

„Seit gut einer Woche erreichen uns Teillieferungen mit unterschiedlichen Waren, die wir in sinnvollen Paketen schnellstmöglich systematisch an unsere Praxen weitergeben“, sagte Bergmann weiter. Er betonte allerdings, dass die bisherigen Lieferungen nicht ansatzweise ausreichten, um die Praxen flächendeckend auszustatten.

Dietrich wies daraufhin, dass chronische Kranke nicht zusätzlich gefährdet werden dürften, weil das medizinische Personal unzureichend geschützt sei.
Der FÄ-Chef erinnerte daran, dass die Politik in den vergangenen Jahren die ärztlichen Ressourcen in den Gesundheitsämtern immer weiter zurück gebaut habe. Das war ein fataler Fehler."

Die Frage sei auch, wer die Verantwortung für Folgeschäden übernehme, wenn etwa niedergelassene Ärzte ohne ausreichenden Schutz zur Behandlung von COVID-19-Patienten verpflichtet würden und dann ihre eigenen Patienten womöglich gefährdeten. „Zwang zerstört die hohe intrinsische Motivation von Ärzten und Pflegepersonal“, so Dietrich. „Und eine Behandlungspflicht ohne Schutz wäre Körperverletzung an den medizinischen Fachberufen - ein absolutes Unding!“

Notstandsgesetze lösen keine Probleme in Kliniken

Vor unverhältnismäßigen und untauglichen gesetzlichen Eingriffen in das Gesundheitswesen im Zuge der Corona-Pandemie warnt der Marburger Bund NRW-RLP. „Wir versuchen händeringend, die jahrzehntelangen Versäumnisse der Gesundheitspolitik aufzufangen. Ärzte und Pflegekräfte im Öffentlichen Gesundheitsdienst und in den Krankenhäusern halten rund um die Uhr ihre Köpfe hin und werden unnötig gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. In dieser bisher nie dagewesenen Situation fehlt uns dringend ausreichendes Schutzmaterial. Es mangelt an Beatmungsgeräten und vor allem fehlen Fachärzte für Intensivmedizin“, schildert Michael Krakau, stellvertretender Vorsitzender des Marburger Bundes NRW/RLP, die Situation in Kliniken. 

 „Anstatt Wertschätzung für unseren Einsatz zum Ausdruck zu bringen, das hohe Engagement der Klinikmitarbeiter zu loben und Sie zu bitten, weiterhin alles Menschenmögliche zu tun, greifen Politiker gerade auf unsinnige Zwangsinstrumente zurück”, so Krakau weiter. Krankenhausmitarbeiter reagierten angesichts der Gesetzespläne massiv empört.

 
Anstatt Wertschätzung für unseren Einsatz zum Ausdruck zu bringen, (…) greifen Politiker gerade auf unsinnige Zwangsinstrumente zurück. Michael Krakau
 

Weit über das Ziel hinaus schießt das Epidemie-Gesetz auch aus Sicht des Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest. „Bevor qua Gesetz Zwangsrekrutierungen von Pflegefachpersonen möglich sind, gibt es eine Bandbreite von Maßnahmen auf freiwilliger Basis, die ausgeschöpft werden müssen“, sagt Martin Dichter, der Vorsitzende des DBfK Nordwest.

Dichter betonte, dass ein Schutz der besonders gefährdeten Menschen nur dann effektiv erfolgen könne, wenn alle Pflegenden ausreichende Schutzmaterialien erhielten. Das sei die entscheidende und prioritäre Aufgabe der Landesregierung in NRW – und nicht die Zwangsrekrutierung von Personal, dem die einfachsten Materialien zum Selbstschutz fehlen.

Der Notfallplan soll in Bayern bis zum 19. April in Kraft bleiben. Nach massiver Kritik wollen sich Landesregierung und Opposition jetzt auf einen gemeinsamen Fahrplan einigen und es kommt zu einer Anhörung und einer zweiten Lesung.

 

Kommentar

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