EMA: Zolgensma bei spinaler Muskelatrophie jetzt auch bei uns – insgesamt 8 neue Zulassungen empfohlen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

30. März 2020

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bei seinem Meeting vom 23. bis 26. März 8 Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, darunter 3 Pharmaka zur Therapie seltener Erkrankungen und 1 Biosimilar [1]. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurden alle Details der Studien vom Expertengremium nur virtuell besprochen.

Zolgensma® bei spinaler Muskelatrophie

Der Ausschuss empfahl eine bedingte Zulassung für Zolgensma® (Onasemnogen abeparvovec) zur Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern mit spinaler Muskelatrophie (SMA). Es handelt sich um eine seltene, oft tödlich verlaufende genetische Erkrankung, die Muskelschwäche und fortschreitenden Bewegungsverlust verursacht. Das Medikament ist bereits in den USA zugelassen und das teuerste Medikament der Welt (wie Medscape berichtete). Der Hersteller Novartis hat 100 Dosen für ein internationales Härtefall-Programm zur Verfügung gestellt. Seit Anfang Februar wird alle 2 Wochen – vielerorts heftig kritisiert – die Gentherapie, die rund 2 Millionen Dollar kostet, für einzelne Patienten verlost. 

Die meisten Patienten mit schwerer SMA überleben bekanntlich ihre frühe Kindheit nicht. Sie können keine ausreichenden Mengen des Survival Motor Neuron-Proteins (SMN) produzieren, das für die normale Funktion und für das Überleben motorischer Neuronen erforderlich ist. Ohne dieses Protein sterben Motoneuronen schließlich ab. Es kommt zu Muskelschwund (Atrophie) und Schwäche.

Das SMN-Protein wird vom Genen SMN1 und SMN2 codiert. Patienten mit spinaler Muskelatrophie fehlt das SMN1-Gen, aber sie haben das SMN2-Gen, das meist für ein „kurzes“ SMN-Protein codiert, das per se nicht richtig funktionieren kann.

Eine einmalige intravenöse Verabreichung von Zolgensma® liefert eine voll funktionsfähige Kopie des menschlichen SMN1-Gens. Es wird erwartet, dass dies die Muskelfunktion, die Bewegung und das Überleben von Kindern mit dieser Krankheit verbessert. Die Behandlung sollte einmalig in geeigneten klinischen Zentren unter der Aufsicht eines erfahrenen Arztes durchgeführt werden.

Die Empfehlung der EMA für eine bedingte Marktzulassung basiert auf vorläufigen Ergebnissen einer abgeschlossenen klinischen Studie und 3 unterstützenden Studien an Patienten mit spinaler Muskelatrophie in verschiedenen Stadien. Dazu gehörten genetisch diagnostizierte und präsymptomatische Patienten.

Die klinische Studie wurde an 22 Patienten durchgeführt, die zum Zeitpunkt der Genersatztherapie weniger als 6 Monate alt waren. Forscher untersuchten, inwieweit sich die Überlebenschancen verbesserten. Hinzu kamen die Kopfkontrolle, Krabbeln, Sitzen, Stehen und Gehen (mit oder ohne Unterstützung) als Endpunkte.

Von den 22 in die Studie aufgenommenen Patienten lebten noch 20 (91%) im Alter von 14 Monaten und benötigten keine permanente Beatmungsunterstützung. Die Erfahrung zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt ohne Therapie nur 25% am Leben sind. 14 Patienten (64%) konnten selbständig sitzen und 1 weiterer Patient (4%) selbständig gehen. Kinder mit einer geringeren motorischen Verschlechterung schienen am meisten von der Behandlung mit Zolgensma® zu profitieren. Die häufigste Nebenwirkung war eine Erhöhung der Leberenzyme (Transaminasen).

Auf Empfehlung des Ausschusses für neuartige Therapien (CAT) rät der CHMP nun zu einer bedingten Zulassung, um die Therapie schneller auf den Markt zu bringen. Weitere Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten werden durch 3 laufende Studien, 1 Langzeitregister und weitere Untersuchungen zum Produkt gesammelt.

Weitere Empfehlungen

  • Der CHMP formulierte eine positive Stellungnahme für Atectura Breezhaler® (Indacaterol / Mometasonfuroat) und Bemrist Breezhaler® (Indacaterol / Mometasonfuroat)® zur Behandlung von Asthma. Indacaterol ist ein Beta-2-Sympathomimetikum. Bei Mometasonfuroat handelt es sich um ein Glukokortikoid.

  • Zudem empfahl der Ausschuss die Erteilung einer Marktzulassung für Fluad Tetra®, einem Grippeimpfstoff auf Basis der Influenza-Oberflächen-Antigene Hämagglutinin und Neuraminidase, die aus 4 verschiedenen Influenza-Virusstämmen (2 A-Subtypen und 2 B-Typen) inaktiviert worden sind.

  • Pretomanid FGK® (Pretomanid) erhielt vom CHMP ein positives Gutachten für die Behandlung von Tuberkulose in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid. Es wird angenommen, dass Pretomanid die Synthese von Zellwandlipiden unter aeroben Bedingungen hemmt, und zwar durch die Bildung reaktiver Stickstoffspezies. Vom Arzneistoff in Form der Kombinationstherapie profitieren vor allem Patienten mit schwer zu behandelnden Infektionen.

  • Der CHMP empfahl die Zulassung von Sarclisa® (Isatuximab) zur Therapie des Multiplen Myeloms. Isatuximab, ein vom Immunglobulin IgG1 abgeleiteter monoklonaler Antikörper, bindet an ein spezifisches extrazelluläres Epitop des CD38-Rezeptors und führt zum Tod von Krebszellen. Sarclisa® verbessert das progressionsfreie Überleben (PFS) um 40,4%.

  • Zeposia® (Ozanimod) erhielt ein positives Gutachten für die Behandlung erwachsener Patienten mit rezidivierender remittierender Multipler Sklerose (RRMS) mit aktiver Erkrankung. Ozanimod wirkt als Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulator, der selektiv an die Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Subtypen 1 und 5 bindet. Dadurch werden weniger Lymphozyten aus lymphoiden Geweben freigesetzt. Der genaue Mechanismus ist noch nicht bekannt. Unter der Therapie verringert sich die entzündliche Aktivität bei MS, gemessen anhand klinischer Merkmale oder anhand der Bildgebung.

  • Das biosimilare Medikament Nepexto® (Etanercept) erhielt eine positive Stellungnahme zur Behandlung von rheumatoider Arthritis, juveniler idiopathischer Arthritis, Psoriasis-Arthritis, axialer Spondylitis (Spondylitis ankylosans, nicht-radiographische axiale Spondyloarthritis), Plaque-Psoriasis und pädiatrischer Plaque-Psoriasis.

  • Der CHMP empfahl eine Ausweitung von Indikationen bei Adcetris®, Cosentyx®, Intelence®, Jorveza®, Kineret® und Ruconest®.

Überprüfung direkter oraler Antikoagulantien (DOAK)

Nach Überprüfung der Ergebnisse einer europäischen Studie mit Real-World-Daten sind keine Änderungen der Anwendungsbedingungen bei Eliquis® (Apixaban), Pradaxa® (Dabigatranetexilat) und Xarelto® (Rivaroxaban) erforderlich. Die Studie bewertete das Risiko schwerer Blutungen der DOAK im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten.

Insgesamt bestätigen die neuen Daten, was man bereits in klinischen Studien beobachtet und in den Produktinformationen der Arzneimittel beschrieben hat. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis bleibt für alle 3 untersuchten DOAK innerhalb der zugelassenen Indikationen positiv. Vergleichbare Ergebnisse wurden in ähnlichen Studien aus Kanada und aus den USA gefunden.

Bei älteren Patienten (> 75 Jahre) wurde ein erhöhtes Blutungsrisiko beobachtet. Weitere Untersuchungen sind erforderlich um herauszufinden, ob zwischen einzelnen DOAK hier Unterschiede bestehen. Die Daten reichten nicht aus, um Dosisänderungen bei dieser Population zu empfehlen.

Überprüfung von Fosfomycin

Der Ausschuss empfahl, Fosfomycin als Infusion nur zur Behandlung schwerer Infektionen einzusetzen, falls andere Antibiotika-Therapien nicht möglich sind oder erfolglos geblieben sind. Oral verabreichte Fosfomycin-Formulierungen können weiterhin zur Behandlung unkomplizierter Blasenentzündungen bei Frauen und heranwachsenden Mädchen eingesetzt werden. Sie eignen sich auch zur Vorbeugung von Infektionen bei Männern vor einer Prostata-Biopsie.

Fosfomycin-Medikamente, die Kindern (unter 12 Jahren) oral verabreicht werden, und intramuskuläre Formulierungen sollten nicht mehr zum Einsatz kommen.

Diese Empfehlungen folgen auf eine Überprüfung der Sicherheit und Wirksamkeit dieser Antibiotika.

Überprüfung von Methocarbamol/Paracetamol

Der CHMP kam zu dem Schluss, dass die Vorteile von Methocarbamol plus Paracetamol zur kurzfristigen Behandlung von schmerzhaften Muskelkrämpfen weiterhin die Risiken überwiegen. Eine Überprüfung wurde initiiert, da jüngste Veröffentlichungen Fragen zur Wirksamkeit der Kombination bei der Behandlung von Rückenschmerzen aufgeworfen hatten.

Nitrosamin-Verunreinigungen – Frist verlängert

In Anbetracht der Herausforderungen, die COVID-19 weltweit an Gesundheitsbehörden und Firmen stellt, hat sich das europäische Netzwerk der Arzneimittelbehörden darauf geeinigt, Fristen für die Risikobewertung von Präparaten zu verlängern. Zulassungsinhaber, die ihre Arzneimittel auf das mögliche Vorhandensein von Nitrosaminen überprüfen, haben nun bis zum 1. Oktober 2020 Zeit, um die Ergebnisse der Risikobewertung der Stufe 1 vorzulegen.

Überprüfung der Studiendaten von Tyverb®

Die Produktinformation für Tyverb® (Lapatinib), einem Brustkrebsmedikament, wird weiterhin darauf hinweisen, dass keine Daten über die Wirksamkeit von Tyverb® plus Aromatasehemmer im Vergleich zu Trastuzumab plus Aromatasehemmer bei Patienten, die zuvor mit Trastuzumab behandelt wurden, vorliegen. Die EMA aktualisierte die Produktinformation für dieses Medikament im April 2019, nachdem Fehler in den Ergebnissen einer Studie mit postmenopausalen Frauen des Genotyps HR+/HER2+ festgestellt worden sind.

Rücknahme von Anträgen

Der Antrag auf Erstzulassung von Doxorubicin-Hydrochlorid Tillomed® (Doxorubicin) wurde zurückgezogen. Dieses Hybridmedikament war ursprünglich für die Behandlung von Brust- und Eierstockkrebs, Multiplen Myelomen und AIDS-bedingten Kaposi-Sarkomen bestimmt.

Außerdem wurden die Anträge auf Erstzulassung von 2 Medikamenten mit dem Wirkstoff Rituximab zurückgezogen. Diese Biosimilars waren für die Behandlung bestimmter Blutkrebs- und Entzündungskrankheiten bestimmt.

 

Kommentar

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