Laut Studien zur Evaluation von Screeningprogrammen beträgt die Prävalenz eines Bauchaortenaneurysmas mit einem Durchmesser ≥ 3,0 cm zwischen 3 und 5% bei Männern über 65 Jahren und 0,5 bis 1,5% bei Frauen über 65. Frauen erkranken bis zu den Wechseljahren seltener als Männer an Arteriosklerose, dem wichtigsten Risikofaktor eines Bauchaortenaneurysmas (Abdominal aortic aneurysm, AAA). Kommt es zur Ruptur, sterben rund 80% der Patienten daran.
Ob es auch bei der Therapie Gender-Aspekte gibt, haben Forscher um Niveditta Ramkumar vom Dartmouth Institute for Health Policy & Clinical Practice in Lebanon, New Hampshire, untersucht [1]. Ihr Fazit aus einer Kohorte mit rund 16.000 Patienten: Ärzte behandelten Patientinnen um 65% häufiger mit offenen Eingriffen als Patienten. Bei Frauen war die Mortalität nach endovaskulären Eingriffen (EVAR) um 13% höher als bei Männern.
„Die Ergebnisse überraschen mich nicht; zum Thema sind in den letzten Jahren mehrere Studien veröffentlicht worden“, sagt Prof. Dr. Dittmar Böckler zu Medscape. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie, Universitätsklinikum Heidelberg, sowie Präsident der Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG e.V.).
Böckler: „Frauen haben im allgemeinen kleinere Durchmesser der Arterien, vor allem der Beckenarterien, welche die Zugangsgefäße für die EVAR-Prozedur darstellen. Auch haben die Gefäße bei Frauen natürlicherweise mehr Biegungen und Elongationen (engl. kinking). So erklärt man sich den Anteil an offenen Eingriffen, aber auch schlechtere Ergebnisse nach endovaskuläre AAA-Therapie bei Patientinnen, verglichen mit Männern.“
Der Experte ergänzt: „Wir wissen heute, dass Frauen – unabhängig vom Verfahren – eine schlechtere Langzeitprognose nach Behandlung eines Bauchaortenaneurysmas haben als Männer.“ Der Grund dafür sei unklar. Möglicherweise liege es daran, dass Aneurysmen später diagnostiziert würden. Auch würden protektive Medikamente etwas schlechter wirken.
Welche Therapie für welche Patienten?
Die Wahl des Verfahrens (offen, endovaskuläre oder auch konservativ) orientiere sich an individuellen Gegebenheiten wie z.B. Komorbiditäten, Gefäßanatomie, Aneurysma-Morphologie und Behandlungswunsch, aber nicht am Geschlecht, erklärt Böckler. „Endovaskuläre Verfahren sind seit einigen Jahren die 1. Wahl, falls eine Indikation zur Operation besteht, wenn Patienten anatomisch dafür infrage kommen und wenn sie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben bzw. sie aufgrund sonstiger Risikofaktoren für den offenen Eingriff (abdominelle Voroperationen) nicht geeignet sind.“ Schätzungsweise werden 70 bis 80% aller Patienten in Deutschland derzeit mit endovaskulären Eingriffen behandelt.
„In großen multizentrisch randomisierten Studien sahen wir eine 4-fach reduzierte Mykokardinfarktrate und Sterblichkeit nach endovaskulären versus offenen Eingriffen“, ergänzt der Experte. „Dieser Vorteil zeigt sich aber nur in den ersten 6 Monaten postoperativ, weil endovaskuläre Interventionen weniger invasiver sind. Im weiteren Langzeitverlauf ist die offene Chirurgie aber besser, weil endovaskuläre Operationen häufiger Re-Interventionen erforderlich machen oder weil es vielleicht sogar zu Rupturen nach EVAR kommen kann.“
Sein Fazit: „Man muss gut abwägen, welche Patientin oder welcher Patient für EVAR geeignet ist.“ Offene Verfahren sind eine sehr gute und wichtige Behandlungsalternative und hätten zu Unrecht ein negatives Image in der Öffentlichkeit bekommen. Beide Verfahren sollten mit gleicher Qualität angeboten werden. Die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas schlagen vor, dass in einem Krankenhaus mindestens 30 Eingriffe vor Jahr durchgeführt werden sollten. Mindestmengen gebe es in Deutschland aber nicht, so Böckler.
Wer profitiert von welcher Therapie?
Deutsche und europäische Leitlinien empfehlen, dass die Behandlung bei Frauen mit einem kleineren Durchmesser des Bauchaortenaneurysmas in Betracht gezogen werden sollte als bei Männern, nämlich ab 4,5 cm bei Frauen versus 5,5 cm bei Männern.
Acetylsalicylsäure (ASS), Statine und ACE-Hemmer (Antihypertensiva) werden als Best Medical Treatment (BMT) allen Patienten unabhängig von Geschlecht und Behandlungswahl empfohlen.
Zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas stehen 2 Behandlungsmethoden zur Verfügung:
Bei der offenen Operation, dem älteren und langjährigen Standardverfahren, öffnet der Gefäßchirurg das Abdomen, eröffnet nach Ausklemmung der Aorta das Aneurysma und ersetzt die erkrankte Region mit einer Gefäßprothese.
Bei der endovaskulären Therapie wird über die Leistenarterien endoluminal eine selbstexpandierende Endoprothese unter Röntgenkontrolle platziert.
Die endovaskuläre Therapie hat das Management von Bauchaortenaneurysmen verändert, da Gefäßchirurgen auch Patienten behandeln können, die für die offene Chirurgie nicht infrage kommen. Bei der methodischen Auswahl spielen Gender-Aspekte theoretisch keine Rolle. Ramkumar und Kollegen gingen dieser Frage nach und publizierten die Ergebnisse in JAMA Network Open.
Kohorte mit rund 16.000 Patienten
Ihre Kohortenstudie basiert auf Daten aus der Vascular Quality Initiative, einem nationalen klinischen Register, und auf Daten von Medicare-Versicherten in den USA. Alle Patienten wurden aufgrund eines Bauchaortenaneurysmas zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 30. September 2015 behandelt.
In der Kohorte lagen Daten von 16.386 Patienten vor, darunter 12.757 (77,9%) Männer und 3.629 (22,1%) Frauen. Patientinnen waren älter als Patienten (mittleres Alter 77 versus 65 Jahre), rauchten häufiger (33% versus 28%) und hatten kleinere Aneurysmen (mittlerer Durchmesser, 57 versus 59 mm).
Eine offen-chirurgische Reparatur wurde bei 27% (983 von 3.629) der Frauen im Vergleich zu 18% (2.328 von 12.757) der Männer durchgeführt.
Die 10-Jahres-Überlebensrate nach endovaskulärer Therapie war bei Frauen um 14% niedriger als bei Männern (23% gegenüber 37%). Allerdings waren die Überlebensraten nach offener Reparatur vergleichbar (36% bei Männern gegenüber 32% bei Frauen).
Nach statistischer Korrektur weiterer Risikofaktoren zeigte sich, dass die endovaskulärer Therapie bei Frauen mit einer höheren Sterblichkeitsrate (Hazard Ratio 1,13) assoziiert war. Offene Verfahren standen bei beiden Geschlechtern mit gleichen Risiken in Verbindung (Hazard-Ratio für Frauen und Männer: 0,94).
Einschränkungen der Studie
Die Autoren merken an, dass bei manchen Patienten ihrer Kohorte medizinische Daten fehlten, speziell zum präoperativen Kreatininspiegel und zur familiären Vorgeschichte von Bauchaortenaneurysmen. Darüber hinaus war die Studienpopulation hauptsächlich (93%) weiß, was die Übertragbarkeit von Aussagen auf andere Ethnie einschränkt. Und nicht zuletzt fehlten bei Todesfällen teilweise Ursachen.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Therapie des Bauchaortenaneurysmas: Welche Rolle spielen Gender-Unterschiede bei der Auswahl des OP-Verfahrens? - Medscape - 31. Mär 2020.
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