Plötzlich den ganzen Tag in der Wohnung zu sitzen, vielleicht noch ganz allein – das ist schon für psychisch gesunde Menschen eine Belastung. Umso härter trifft es Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen: Für sie sind soziale Kontakte oft regelrecht Bestandteil der Therapie, und diese sind nun erschwert. Wie können sie damit umgehen, und was können Ärzte und Therapeuten anbieten?
Schlafzeiten nicht verlängern
„In einer Depression wird alles Negative im Leben vergrößert wahrgenommen und ins Zentrum gerückt, so auch die Sorgen und Ängste wegen des Corona-Virus“, sagt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Lehrstuhlinhaber an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main: „Betroffene können jedoch gegensteuern.“
Wichtig sei, aktiv zu bleiben und das Gespräch mit Freunden und Familie zu suchen. Dabei solle man dann aber nicht nur über das Virus sprechen, sondern auch über andere Themen.
Bedeutsam ist auch der richtige Umgang mit der Nachtruhe – auch ohne Druck, morgens in die Arbeit zu gehen. „Die Schlafzeiten sollten nicht verlängert werden, da dies eher zu einer Zunahme des Erschöpfungsgefühls und der Depressionsschwere führen kann“, betont Hegerl. Hilfreich sei es, sich einen detaillierten Tages- und Wochenplan zu machen.
Als konkrete Unterstützung macht die Deutsche Depressionshilfe das iFightDepression Tool für 6 Wochen auf Anfrage frei zugänglich – normalerweise ist dies nur in Kombination mit einer Behandlung möglich. Das Programm soll Betroffenen mit leichteren Depressionsformen unter anderem dabei helfen, den Tag zu strukturieren und negative Gedankenkreise zu durchbrechen. „Wir wollen Patienten unterstützen, den Alltag in häuslicher Isolation gut zu meistern", so der Psychiater.
Online-Therapie für Patienten in Quarantäne
Die Bundespsychotherapeutenkammer betont, dass Therapien weiter stattfinden könnten, so lange weder Patient noch Psychotherapeut Symptome für eine Atemwegserkrankung zeigten. Zudem müssten ein ausreichender Abstand und die Hygieneregeln eingehalten werden. „Dann ist es aber möglich, weiter Patient*innen in der Praxis zu sehen, zu beraten und zu behandeln“, sagt Kammerpräsident Dr. Dietrich Munz.
Bei Verdachtsfällen könne die Therapie online fortgesetzt werden. Dazu haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen die Begrenzungen der Videobehandlung vorläufig aufgehoben, momentan für das 2. Quartal 2020. „Wir begrüßen diese Entscheidung sehr, weil sie es überhaupt erst ermöglicht, die psychotherapeutische Versorgung auch für Patient*innen, die sich in Quarantäne befinden, sicherzustellen“, so Munz.
Aber was, wenn es dem Patienten so schlecht geht, dass er eine persönliche Behandlung braucht? Therapie im Schutzanzug sei nicht wirklich eine Alternative, sagt Munz: „Es stellt sich die Frage, ob ein Gespräch mit einem/einer Psychotherapeut*in in Alienverkleidung dem/der Patient*in tatsächlich hilft.“ Letztlich blieben nur Video und Telefon. Eine Infektion könnten Psychotherapeuten nicht riskieren, weil das die Versorgung anderer Patienten gefährde.
Plötzlich ist allein die Familie verantwortlich
Auch für Angehörige kann die Coronakrise zur Zerreißprobe werden: „Um ein selbstständiges Leben zu führen, sind für chronisch psychisch kranke Menschen Angebote wie Tagesstätten oder betreutes Wohnen extrem wichtig“, berichtet Dr. Friedrich Leidinger vom Vorstand des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) gegenüber Medscape Deutschland: „Wenn diese stabilisierenden Routinen wegfallen, lastet die Unterstützung plötzlich hauptsächlich auf der Familie.“
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat zwar Verständnis, dass jetzt die Versorgung von Corona-Patienten im Fokus stehe und vielleicht Gruppenangebote aus Präventionsgründen nicht mehr stattfinden könnten. „Aber wir brauchen dann andere Formen der Unterstützung für die Betroffenen und ihre Familien“.
Dazu zählen ambulante Hilfsangebote oder Hotlines, die durchgehend erreichbar sind – denn oft sei die Situation zu Hause gerade am Wochenende problematisch. Der BApK fordert von der Politik daher, die besondere Situation psychisch erkrankter Menschen zu berücksichtigen.
Leidinger bekommt auch erste Rückmeldungen, dass psychiatrische Kliniken wegen SARS CoV-19 keine neuen Patienten mehr aufnehmen. „Aber wenn sich jemand entschließt, in eine Psychiatrie zu gehen, ist das eigentlich auch ein Notfall“, gibt der Experte zu bedenken.
Erfahrungen aus Wuhan: Viele hatten Angstzustände
Wie belastend eine Quarantäne schon für psychisch gesunde Menschen ist, zeigt eine Untersuchung aus Wuhan, über die das deutsch-chinesische Alumnifachnetz (DCHAN) berichtet. Ein DCHAN-Team unterstützte chinesische Experten beim Aufbau einer Hotline während der Quarantäne in Wuhan. Jetzt wurden 2.144 Anrufe im Zeitraum 4. bis 20. Februar 2020 ausgewertet. 47,3% der Menschen berichteten von Angstzuständen, 19,9% von Schlafproblemen und 16,1% von depressiven Symptomen.
Solche Angebote stehen Bürgern hierzulande auch zur Verfügung. Die Deutsche Depressionshilfe verweist auf das bundesweite Info-Telefon Depression, die E-Mail-Beratung für junge Menschen sowie das fachlich moderierte Online-Diskussionsforum Depression. Dort sprechen User Corona zwar an; die Pandemie ist aber nicht das beherrschende Thema. Viele Teilnehmer sprechen eher allgemein über die Folgen. Sie ärgern sich, wenn andere die Vorsichtsmaßnahmen nicht einhalten oder Hamsterkäufe tätigen.
Abgesehen davon sind die Kommentare nicht nur negativ. Manche berichten auch, dass sie in der Krise plötzlich neue Kraft spüren und sich Gedanken um andere machen, denen es noch schlechter geht: „Ja, wir sind depressive Menschen, aber auch wir haben noch ungeahnte Kräfte in uns, schaffen mehr, als wir uns je zugetraut hätten, solch eine Krise bewältigen zu wollen und zu müssen, kann auch Kraft spenden und uns motivieren, nicht nur über unsere Probleme nachzudenken, sondern wieder neue Energie in uns aufzuladen für all die, die uns jetzt brauchen“, so eine Nutzerin. „Depris anti Corona!“
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Diesen Artikel so zitieren: Depressionen und Angst während der Corona-Pandemie: So können Ärzte bzw. Therapeuten ihre Patienten nun unterstützen - Medscape - 27. Mär 2020.
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