Aktuelle DGHO-Leitlinie: Was Krebspatienten und ihre Ärzte während der Corona-Krise beachten sollten

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

26. März 2020

Die Warnungen der Experten sind eindringlich: Krebspatienten sind bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 besonders gefährdet, schwer an COVID-19 zu erkranken oder gar zu sterben. Ihnen und auch Patienten mit Erkrankungen des Blutes rät die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) daher in ihrer aktuellen Leitlinie „Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen“, besonders achtsam zu sein – und den Empfehlungen der Gesundheitsbehörden, vor allem denen zur hygienischen Händedesinfektion und zur freiwilligen Isolation, zu folgen [1].

Gleichzeitig dürfe die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus nicht die Bekämpfung einer bereits existierenden, lebensgefährlichen Erkrankung wie Krebs beeinträchtigen, schreiben die Verfasser der Leitlinie, ein Team um Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal von der Klinik für Innere Medizin II (Hämatologie und Internistische Onkologie) des Universitätsklinikums Jena.

Nicht alle Krebspatienten gleichermaßen gefährdet

Viele Krebspatienten sind derzeit verständlicherweise besonders verunsichert. „Wichtig ist zunächst vielleicht zu wissen, dass nicht alle Patienten gleichermaßen gefährdet sind“, sagt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Fachärztin für Hämatologie und Onkologie sowie stellvertretende Leiterin des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin am Campus Virchow Klinikum, im Gespräch mit Medscape.

 
Wichtig ist zunächst vielleicht zu wissen, dass nicht alle Patienten gleichermaßen gefährdet sind. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen
 

„Zu den Risikogruppen gehören insbesondere Krebspatienten mit einem geschwächten Immunsystem“, sagt Scheibenbogen. Geschwächt könne die Körperabwehr aus unterschiedlichen Gründen sein. Zu den wichtigsten Ursachen zählen laut DGHO:

  • die Erkrankung an einer Leukämie oder einem Lymphom,

  • eine CD4-Lymphozytopenie, also die verminderte Anzahl von CD4-Lymphozyten im Blut (< 0,2x109/l),

  • niedrige Immunglobulinwerte,

  • die langfristige Einnahme von Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken, etwa Kortison, sowie

  • eine Transplantation allogener Stammzellen oder andere zelluläre Therapien, z.B. mit CAR-T-Zellen.

„Gefährdet, schwer an COVID-19 zu erkranken, sind natürlich auch Krebspatienten, die weitere der bislang bekannten Risikofaktoren aufweisen“, sagt Scheibenbogen. Zu den wichtigsten Faktoren zählen das Alter (bereits ab 60 Jahren ist das Risiko deutlich erhöht), Bluthochdruck, Rauchen und Übergewicht.

Studien aus China belegen das erhöhte Risiko bei Krebs

Studien zu COVID-19 bei Krebspatienten gibt es bislang naturgemäß nur wenige. Zu den wichtigsten Publikationen, auf die sich auch die Verfasser der neuen Leitlinie beziehen, gehört eine im Fachblatt Lancet Oncology veröffentlichte Arbeit eines chinesischen Teams um Dr. Wenhua Liang vom The First Affiliated Hospital der Guangzhou Medical University [2].

Die Mediziner haben für ihre Studie Daten von 2.007 stationär behandelten COVID-19-Patienten aus 575 chinesischen Krankenhäusern ausgewertet. Ihrer Analyse zufolge litten 18 der Patienten, also etwa 1%, an Krebs. In der chinesischen Gesamtbevölkerung weisen hingegen nur etwa 0,3% der Menschen eine Tumorerkrankung auf.

Die meisten Probanden, nämlich 5 der 18 (28%), waren an Lungenkrebs erkrankt. Ein Viertel der Krebspatienten (4 von 16, bei den anderen beiden Probanden war der Behandlungsstatus nicht bekannt) hatten sich innerhalb des vergangenen Monats einer Chemotherapie und/oder Operation unterziehen müssen. Verglichen mit COVID-19-Patienten ohne Tumorerkrankung waren die Krebspatienten älter. Ihr mittleres Alter lag bei 63,1 Jahren, das der anderen bei 48,7 Jahren. Außerdem fanden sich unter den Krebspatienten mehr aktuelle oder ehemalige Raucher.

Ein Ergebnis ihrer Studie heben Liang und seine Kollegen besonders hervor: Krebspatienten sind stärker als andere gefährdet, schwer an COVID-19 zu erkranken. Wie sie ermittelt haben, mussten 39% (7 von 18) auf einer Intensivstation behandelt werden, während es unter allen COVID-19-Patienten nur 8% (124 von 1.572) waren. Unter den Krebspatienten waren diejenigen am stärksten gefährdet, die im Monat zuvor eine Chemotherapie und/oder Operation erhalten hatten. 75% von ihnen (3 von 4) benötigten eine intensivmedizinische Versorgung, bei den anderen waren es 43% (6 von 14).

Viele der an Covid-19 erkrankten Probanden litten an Lungenkrebs

Dass gerade für Krebspatienten das Risiko, sich mit Sars-CoV-2 anzustecken und daran zu erkranken, höher ist als das der Gesamtbevölkerung, zeigt auch eine jetzt im Fachblatt JAMA Oncology veröffentlichte Studie eines Teams um Dr. Jing Yu vom Zhongnan Hospital der Wuhan University [3]. Die Mediziner analysierten Daten von 1.524 Patienten, die wegen ihrer Krebserkrankung zwischen dem 30. Dezember 2019 und dem 17. Februar 2020 im Zhongnan Hospital behandelt worden waren.

Wie die Wissenschaftler berichten, waren 12 ihrer Probanden (0,79%) mit Sars-CoV-2 infiziert, während die Infektionsrate in der Stadt Wuhan im gleichen Zeitraum bei 0,37% lag. 3 der Infizierten (25%) erkrankten an COVID-19, 1 Patient musste deswegen auf die Intensivstation verlegt werden. 8 der 12 Infizierten (66,7%) waren älter als 60 Jahre. 7 (58,3%) litten an einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). 5 (41,7%) befanden sich in einer Chemo- oder Radiotherapie.

Verschiebung der Therapie meist trotzdem nicht ratsam

Da – wie vor allem die Ergebnisse von Liang und seinem Team nahelegen – gerade Krebsbehandlungen eine Infektion mit Sars-CoV-2 zu begünstigen scheinen, stellt sich für viele Ärzte und ihre Patienten derzeit die Frage, ob es nicht besser wäre, eine geplante Therapie zu verschieben. Laut DGHO ist das allerdings in der Regel nicht der Fall.

„Bei den meisten akut an Krebs erkrankten Patienten ist der Nutzen einer sinnvollen und geplanten Therapie größer als das Risiko einer möglichen Infektion mit Coronaviren“, sagt auch die Charité-Medizinerin Scheibenbogen. Lediglich bei Patienten mit einer chronischen und gut unter Kontrolle gehaltenen Krebserkrankung könne man im Einzelfall darüber nachdenken, eine geplante Therapie um ein paar Wochen oder Monate zu verschieben – bis die erste Corona-Welle hoffentlich vorbeigezogen sei.

 
Bei den meisten akut an Krebs erkrankten Patienten ist der Nutzen einer sinnvollen und geplanten Therapie größer als das Risiko einer möglichen Infektion mit Coronaviren. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen
 

„Es gibt bei Krebs manchmal Erkrankungssituationen, in denen kein schnelles Handeln erforderlich ist“, wird Prof. Dr. Michael Baumann, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, in einer Pressemitteilung des DKFZ zitiert. In anderen Fällen sei eine dringende Behandlung geboten, um die Heilungschancen nicht zu gefährden. Und in wieder anderen Fällen müsse die Behandlung aufgrund einer besonderen Infektionsgefährdung der Patienten individuell angepasst werden. „Pauschale Empfehlungen lassen sich daher nicht geben“, so Baumann.

Kriterien für die Therapie-Entscheidung

Um im Einzelfall die Entscheidung für oder gegen eine Therapie besser treffen zu können, hat die DGHO in ihrer Leitlinie einige wichtige Kriterien aufgeführt. So sollte eine geplante Behandlung vor allem dann nicht verschoben werden, wenn:

  • das Therapieziel kurativ ist,

  • die Krebserkrankung aktiv oder lebensbedrohlich ist,

  • das Rezidivrisiko hoch ist,

  • die Therapie nicht immunsuppressiv ist,

  • keine erhöhte Ansteckungsgefahr für Sars-CoV-2 besteht und

  • der Patient keine weiteren allgemeine oder Corona-spezifische Risikofaktoren aufweist.

Generell gelte, dass zum jetzigen Zeitpunkt in den meisten Fällen die effektive Behandlung der Krebserkrankung für das Überleben der Patienten wichtiger sei als übertriebene Vorsichtsmaßnahmen im Sinne unnötiger Unterbrechungen oder Verschiebungen, betont die DGHO.

Zudem sei das Infektionsrisiko bei Patienten, deren Erkrankung durch eine bestimmte Therapie kontrolliert sei, generell geringer als bei Patienten, die nicht effektiv behandelt seien.

Darüber hinaus könne ein unnötiges Absetzen gut eingestellter Medikamente Patienten durch unerwünschte Ereignisse gefährden – wie es unter anderem für das Rebound-Phänomen nach dem Absetzen von Ruxolitinib beschrieben worden sei, so die Fachgesellschaft.

Auch die generelle Gesundheit muss gestärkt werden

Etwas anders sieht es der DGHO zufolge bei Krebspatienten mit nachgewiesener SARS-CoV-2 Infektion aus: Bei ihnen sollten alle getroffenen Maßnahmen wie eine Unterbrechung der Therapie so lange anhalten, bis die Patienten keine virusbedingten Symptome mehr hätten und nachgewiesen negativ seien.

„Da vor allem Menschen mit Begleiterkrankungen schwere Verläufe einer Sars-CoV-2 Infektion haben, ist es zudem sinnvoll, auf eine gute generelle Gesundheit der Krebspatienten zu achten“ ergänzt Scheibenbogen. So sehe es auch die aktuelle Leitlinie vor.

Demnach sollten Ärzte unbedingt auf einen ausreichenden Ernährungsstatus ihrer Patienten achten und eine Tumorkachexie sowie mögliche Mangelzustände (insbesondere Vitamin-D- und Eisenmangel) behandeln. Zudem sollten sie, unter anderem als Pneumonieprophylaxe, für eine ausreichende Mobilität ihrer Patienten sorgen, auch mithilfe von Physio- und Atemtherapie.

 

Kommentar

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