Pankreaskarzinom: Zielgenauigkeit bei Therapie bringt Patienten ein Jahr mehr als Rundumschlag einer Chemotherapie

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

23. März 2020

Eine Behandlung bei fortgeschrittenem Pankreaskarzinom, die eine individuelle schädliche Veränderung in den Tumorzellen unterdrückt, bringt den Patienten einen deutlichen Zeitgewinn. Sie leben einer Studie zufolge ein ganzes Jahr länger als Patienten mit der nur unspezifisch wirkenden Standard-Chemotherapie.

Bauchspeicheldrüsenkrebs hat eine schlechte Prognose, weil er oft erst spät diagnostiziert wird und zudem effektive Therapien fehlen, schreiben Prof. Dr. Michael Pishvaian von der Universität Texas und seine Kollegen in The Lancet Oncology [1]. Gewöhnlich werden Zytostatika angewandt, die allgemeine Tumoreigenschaften attackieren, abgestimmt höchstens auf dessen Ursprungsort.

Aber selbst bei ein und demselben Organ können sich die eingetretenen Veränderungen von Patient zu Patient unterscheiden, und umgekehrt gibt es auch Übereinstimmungen zwischen Tumoren unterschiedlicher Lokalisation, etwa Brust und Bauchspeicheldrüse. Meist handelt es sich um Mutationen, die Wachstum und Überleben der Krebszellen fördern.

Bei immerhin einem Viertel der Patienten mit Pankreaskarzinom werden Veränderungen gefunden, die sich theoretisch durch eine zielgenaue Therapie – darunter viele Antikörper – zurückdrängen ließen, nicht selten off-label.

Beispiel BRAF-Hemmer: Sie stoppen die Zellteilung

Beispiele für solche Gegenmittel sind PARP-Inhibitoren bei Eierstockkrebs oder Herceptin bei Brustkrebs. Ebenso die BRAF-Hemmer, die vor allem bei Hautkrebs, aber auch bei Haarzell-Leukämie oder – wie in der Studie – beim Pankreaskarzinom eingesetzt werden: Sie richten sich gegen eine ganz bestimmte Mutation im BRAF-Gen, wodurch das BRAF-Protein dauerhaft aktiviert wird. Die Folge: eine unkontrollierte Zellteilung. BRAF-Hemmer binden an das veränderte Protein BRAF und schalten so das Signal zur Vermehrung ab.

Was nutzen nun derartige Ansätze im Vergleich zur Standard-Chemotherapie? Das hat die Arbeitsgruppe um Pishvaian erstmals für fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs bestimmt, und zwar in einer retrospektiven Beobachtungsstudie.

Datenquelle war das Know Your Tumour (KYT)-Programm des Pancreatic Cancer Action Network, das kommerziell erhältliche Analysen von Zellbestandteilen anbietet.

Eine gezielte Therapie war eher die Ausnahme

Rund die Hälfte der knapp 2.000 überwiesenen Patienten war getestet worden (1.082 Patienten). Wie schon aus der Literatur bekannt, fanden sich bei gut einem Viertel, nämlich 282 Patienten, molekulare Veränderungen, die einer gezielten Therapie zugänglich waren.

  • 46 Patienten hatten dann tatsächlich eine solche personalisierte Therapie erhalten. Ihre mediane Überlebenszeit ab der Erstdiagnose lag bei 31 Monaten.

  • Für 143 Patienten wäre zwar eine spezielle Therapie in Frage gekommen, wurde jedoch nicht umgesetzt. Mit einer Standard-Chemotherapie betrug ihre mediane Überlebenszeit nur 18 Monate.

  • Nur noch 16 Monate blieben jenen Teilnehmern, für die kein maßgeschneidertes, sondern lediglich das übliche Verfahren existierte.

Omics-Techniken verbessern die Chancen der Patienten

„Obwohl die Zahl der Patienten mit gezielter Therapie in der Studie klein war, sind die Ergebnisse vielversprechend. Keine andere Behandlung hat einen Überlebensvorteil dieser Größenordnung geboten“, betont Pishvaian in einer Lancet-Mitteilung.

 
Obwohl die Zahl der Patienten mit gezielter Therapie in der Studie klein war, sind die Ergebnisse vielversprechend. Prof. Dr. Michael Pishvaian
 

Wie die Forscher erläutern, werden im KYT-Programm individuelle Zellfehler ermittelt, die für Tumorentstehung und -entwicklung ursächlich sind (Driver-Mutationen). Dazu dienen die sogenannten Omics-Technologien von Genomik, Transkriptomik und Proteomik, das sind Hochdurchsatz-Methoden zur Bestimmung aller Gene, RNA-Moleküle und Proteine einer Zelle. Wichtig bei diesem multi-omischen Profiling ist besonders die Genomsequenzierung.

Die krankheitsrelevanten Veränderungen werden dann auf ihr Potenzial als Angriffspunkte für Medikamente oder als prädiktive Biomarker fürs Therapieansprechen geprüft.

Personalisierte Onkologie beruht auf Präzisionsverfahren

Ein Pendant zum KYT in den USA ist in Deutschland das Präzisionsonkologie-Programm des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, wie die Homepage informiert. Das Heidelberger Zentrum für Personalisierte Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum hat das Ziel, neue Erkenntnisse schnell in die klinische Anwendung zu bringen.

 
Die Studie liefert die ziemlich enttäuschende Bestätigung, dass die Zahl der Patienten mit zielgerichteter Therapie tatsächlich gering ist. Prof. Dr. Jörg Kleeff
 

In seinem Kommentar verweist Prof. Dr. Jörg Kleeff von der Universität Halle darauf, wie sehr Ideal und Realität noch auseinanderklaffen [2]: „Die Studie liefert die ziemlich enttäuschende Bestätigung, dass die Zahl der Patienten mit zielgerichteter Therapie tatsächlich gering ist.“ Denn letztlich kamen ja nur 46 – also 2% – von knapp 2.000 überwiesenen Patienten in den Vorzug einer solchen Behandlung.

Zugang zu gezielten Therapien müsste erleichtert werden

Nicht von ungefähr bekräftigt Dr. Lynn Matrisian, Mitverfasserin der Studie und wissenschaftliche Leiterin des Pancreatic Cancer Action Network, in der Lancet-Mitteilung: „Künftige Anstrengungen sollten sich darauf konzentrieren, die Hindernisse für molekulare Tests zu beseitigen, damit mehr Menschen von der personalisierten Krebsbehandlung profitieren.“

 
Künftige Anstrengungen sollten sich darauf konzentrieren, die Hindernisse für molekulare Tests zu beseitigen, damit mehr Menschen von der personalisierten Krebsbehandlung profitieren. Dr. Lynn Matrisian
 

Zu klären bleibt nach Kleeffs Worten weiterhin, wie die Behandlung am besten genutzt wird, etwa ob in Kombination mit herkömmlichen Zytostatika und zu welchem Zeitpunkt. Falls zum Beispiel ein First-line-Modus geplant ist, müssten Biopsie, Sequenzierung und sonstige Bioanalysen sehr rasch erfolgen.

Europa ist Spitzenreiter bei Neuerkrankungen

Die Publikation ist Teil einer gemeinsamen Serie der Zeitschriften The Lancet Oncology, The Lancet Gastroenterology & Hepatology und EBioMedicine zum Thema Pankreaskarzinom.

Ein weiterer Beitrag widmet sich der Epidemiologie: Demnach gehört diese Krebsart zu jenen, die am häufigsten letal verlaufen: Weniger als ein Zehntel der Patienten lebt nach der Diagnose länger als 5 Jahre. Im Jahr 2018 wurden weltweit rund 460.000 Neuerkrankungen registriert.

Mit 7,7 pro 100.000 Einwohnern ist die Inzidenz in Europa am höchsten, dicht gefolgt von Nordamerika, am niedrigsten liegt sie in Ostafrika mit nur 1,5 pro 100.000. Einige Risikofaktoren wurden identifiziert, darunter Rauchen, Diabetes, Übergewicht, Ernährung mit viel rotem Fleisch, frittierten und anderen Nitrosamin-haltigen Produkten, Alkoholmissbrauch, höheres Alter, genetische Faktoren, dunkle Hautfarbe, H.-pylori-Infektion und chronische Pankreatitis.
 

Kommentar

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