Zwischen Hoffnung und Hype: Was Experten zum Rummel um Hydroxychloroquin bei COVID-19 sagen

Aude Lecrubier

Interessenkonflikte

20. März 2020

Die Pharmafirma Bayer plant, das alte Malariapräparat Chloroquin gegen SARS-CoV-2 einzusetzen, berichtet das Manager Magazin . Demnach gibt es Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium (BGM), aber auch mit US-Behörden. Klinische Studien dazu existieren bislang nicht, aber umso mehr Erwartungen.

Laut der Welt hat die Bundesregierung „größere Mengen“ des Wirkstoffs erworben. Könnte das alte Malaria-Generikum Hydroxychloroquin, das auch zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen eingesetzt wird, eine wesentliche Behandlung für COVID-19 sein?

Umstrittene Hypothesen aus Frankreich

Die Theorie, dass Hydroxychloroquin oder Chloroquin Effekte bei SARS-CoV-2-Infektionen hat, geht unter anderem auf Prof. Dr. Didier Raoult von der IHU Méditerranée Infection in Marseille zurück. Er ist dafür von vielen Wissenschaftlern kritisiert worden. Doch Raoult kommunizierte auf YouTube positive Ergebnisse aus einer nicht randomisierten, unverblindeten Studie mit 24 Patienten.

Basis waren In-vitro-Ergebnisse eines chinesischen Teams unter der Leitung von Xueting Yao vom 3. Krankenhaus der Universität Peking, China, die am 9. März von der Zeitschrift Clinical Infectious Diseases online veröffentlicht worden sind. Die Daten wurden jedoch von der wissenschaftlichen Community als unzureichend bewertet.

Darüber hinaus ist Chloroquin nicht unter den 4 Behandlungsoptionen aufgeführt, die im Rahmen einer kürzlich gestarteten europäischen klinischen Studie unter der Leitung des INSERM untersucht werden. Die Studie umfasst 3.200 Krankenhauspatienten, darunter 800 französische.

Erste Auswertung der Marseille-Studie veröffentlicht

Wie geht es weiter? Die chinesischen In-vitro-Ergebnisse haben Forscher aus Marseille motiviert, eine klinische Studie zu starten. Jetzt wurden Ergebnisse einer Zwischenauswertung mit 26 Patienten veröffentlicht. Es wurden jedoch nur Daten von 20 Patienten ausgewertet; 6 mussten auf die Intensivstation verlegt werden (was zum Abbruch der Behandlung geführt hat). Dort starb ein Studienteilnehmer.

Alle Teilnehmer erhielten 10 Tage lang 200 mg/Tag Hydroxychloroquin. Bei 6 von ihnen kam Azithromycin hinzu, um bakteriellen Superinfektion vorzubeugen. Dies geschah unter EKG-Kontrolle, weil beide Pharmaka die die QT-Strecke verlängern können. Als Vergleichsgruppe dienten 16 Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion, aber ohne das Behandlungsregime. Die Studie war nicht randomisiert.

  • Nach 3 Tagen konnte man bei 10 der 20 Patienten (50 %) keine Viren mehr nachweisen. In der Kontrollgruppe traf das nur auf 1 von 16 Patienten (6,3 %) zu.

  • Nach 10 Tagen waren in der Therapiegruppe 14 von 20 Patienten (70,0 %) virusfrei – verglichen mit 2 von 16 Patienten (12,5 %) in der Kontrollgruppe.

Details zum klinischen Verlauf der Erkrankung machen die Autoren jedoch nicht.

Studie spaltet die infektiologische Community

Die Bekanntgabe der Ergebnisse dieser kleinen Studie entzweit die medizinische Community. Prof. Dr. Gilles Pialoux, ein Spezialist für Infektionskrankheiten am Tenon-Krankenhaus, Paris, äußert sich zurückhaltend. Gegenüber der französischen Ausgabe von Medscape sagt er: „Die Idee ist interessant, aber wir brauchen große, randomisierte, kontrollierte Studien. Wir sollten diese Art von Informationen nicht auf YouTube kommunizieren, sie sind nicht aussagekräftig.“

 
Die Idee ist interessant, aber wir brauchen große, randomisierte, kontrollierte Studien. Prof. Dr. Gilles Pialoux
 

Und er gibt zu bedenken: „Vergessen Sie nicht, dass diese Medikamenten-Kombination nicht in die INSERM-Studie aufgenommen wurde, weil es interessantere Wege gibt, wie z.B. Remedesivir oder Kaletra (Lopinavir/Retonavir). Wir müssen uns davor hüten, die Geschichte mit Ciclosporin bei HIV zu wiederholen.“

Prof. Dr. Christian Perronne, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten des Universitätsklinikums Raymond Poincaré, Garches, ist optimistischer: „Ich glaube wirklich an Hydroxychloroquin. Es ist ein Medikament, das ich ziemlich faszinierend finde und das seit Jahrzehnten verwendet wird. Eine in vitro-Studie und eine chinesische Studie mit 100 Patienten haben positive Ergebnisse erbracht, die zeigten, dass Hydroxychloroquin die Viruslast reduziert und die Symptome weniger lange anhalten und nicht so schwerwiegend sind. Dies könnte die Zahl der Infizierten reduzieren, was ich aus epidemiologischer Sicht interessant finde.“

 
Wir müssen uns davor hüten, die Geschichte mit Cyclosporin bei HIV zu wiederholen. Prof. Dr. Gilles Pialoux
 

Der Experte ergänzt: „Ich denke, aus ethischer Sicht sollten wir es [Hydroxychloroquin] allen Patienten mit schwerer Krankheit empfehlen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, überwacht werden und kurz behandelt werden, wobei auf Arzneimittelwechselwirkungen zu achten ist, insbesondere auf Arzneimittel, die das QT-Intervall verlängern. Bei höheren Dosen ist es möglich, dass die Patienten Schmerzen oder Fieber haben, aber es scheint (…), dass die Behandlung bei niedrigeren Dosen wirksam ist. In jedem Fall sind die unerwünschten Wirkungen dieses Wirkstoffs nicht gefährlich.“

Zu den unerwünschten Wirkungen erklärt Prof. Dr. Thomas Papo vom Bichat-Krankenhaus der Universität Paris: „Hydroxychloroquin (…), das von Didier Raoult als antivirales Mittel gepriesen wird, wird seit Jahrzehnten bei Zehntausenden von Patienten eingesetzt, so dass wir über ein riesiges Follow-up und viele Daten verfügen. Dieses Medikament ist bemerkenswert gut verträglich, und wir geben es allen Patienten mit Lupus (zum Beispiel), auch schwangeren Frauen. Die Hauptkomplikation (renale Toxizität) ist selten und hält nicht länger als 5 Jahre an.“

 
Ich glaube wirklich an Hydroxychloroquin. Prof. Dr. Christian Perronne
 

Am Ende des französischen Ministerrats vom Dienstag diskutierte die Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye die von Raoult veröffentlichten Ergebnisse. „Die klinische Studie in Marseille ist ein vielversprechender Anfang; wir bauen sie aus, weil die Wissenschaft eine Validierung und Wiederholbarkeit der Ergebnisse erfordert, um sagen zu können, ob es funktioniert oder nicht.“ Weitere Tests würden im Krankenhaus von Lille durchgeführt, um die Ergebnisse von Raoult zu bestätigen oder zu widerlegen.

Therapieversuche besser als Nichtstun

Chloroquin wird derzeit in einer Reihe von klinischen Studien auch in anderen Kliniken und in anderen Ländern wie z.B. China untersucht. Einer der Forscher, der Chloroquin bei Patienten einsetzt, ist Dr. Alexandre Bleibtreu, Internist am Krankenhaus Pitié Salpêtrière in Paris, der zunächst nicht von den in vitro-Daten überzeugt war, aber seine Meinung nach den Ergebnissen der von Raoult durchgeführten Studie geändert hat.

 
… zwischen dem Nichtstun und der Neubewertung der Medikamente auf der Grundlage ihrer Nebenwirkungen, Wechselwirkungen usw. probieren wir Dinge aus. Dr. Alexandre Bleibtreu
 

Er erklärt, dass das Präparat inzwischen bei fast allen (etwa 50) seiner Krankenhauspatienten eingesetzt werde, mit Ausnahme derjenigen, die es ablehnten oder Kontraindikationen hätten. „Ich habe von den Ergebnissen gehört, was meine Meinung geändert hat. Wir haben das Protokoll von Marseille befolgt, und es gibt sicherlich noch andere, die es anwenden werden. Es ist nicht die offensichtlichste Behandlung; sie funktioniert in vitro, aber wir hatten keine Daten in vivo.“

Bleibtreu argumentiert: „Das Ziel ist nicht, Recht zu haben, sondern dass unsere Patienten gesund werden. Keine Behandlung ist magisch und die Veröffentlichung der Ergebnisse wirft Fragen auf, aber zwischen dem Nichtstun und der Neubewertung der Medikamente auf der Grundlage ihrer Nebenwirkungen, Wechselwirkungen usw. probieren wir Dinge aus.“

Wissenschaftliche Begründung der Therapie

Im Vereinigten Königreich erklärte Prof. Dr. Robin May von der Universität Birmingham datz, dass es eine wissenschaftliche Begründung für den Einsatz von Hydroxychloroquin zur Behandlung von COVID-19 gebe, die auf seiner Wirkungsweise bei Malaria beruhe.

Wie er in einer Erklärung des Science Media Centre erläutert, ist Chloroquin eine schwache Base, was zur Neutralisierung von Säuren beitrage. So werde das Milieu weniger geeignet für den Malariaparasiten, wenn er in die roten Blutkörperchen eindringe.

Obwohl der Wirkmechanismus gegen COVID-19 nicht bekannt ist, vermutet May, dass die Coronaviren wie viele Viren über Endozytose in die Wirtszellen gelangen, wo sie zunächst in ein intrazelluläres Kompartiment aufgenommen werden, das typischerweise sauer sei.

May: „Chloroquin könnte den Säuregrad dieses Kompartiments mindern, was die Fähigkeit der Viren, in die Wirtszelle zu gelangen und sich zu replizieren, beeinträchtigen kann.“

„Eine andere Möglichkeit ist, dass Chloroquin die Fähigkeit des Virus, sich überhaupt an die Außenseite einer Wirtszelle zu binden, verändert“, spekuliert er und fügt hinzu, dass das Medikament „subtile Auswirkungen auf eine Vielzahl von Immunzellen hat ... und es kann sein, dass eine dieser Wirkungen die Fähigkeit des Körpers, COVID-19 abzuwehren, stimuliert.“

Entscheidend sei auch, dass das Medikament „billig und relativ einfach herzustellen“ sei und daher leicht in klinische Studien und schließlich in die Behandlung aufgenommen werden könne.

Die EMA bleibt skeptisch

In einer Meldung machte die EMA klar, forschende Hersteller mit allen verfügbaren Regulierungsinstrumenten zu unterstützen, um die Entwicklung wirksamer Maßnahmen zur Bekämpfung und Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 voranzutreiben und zu beschleunigen. Dennoch fordert sie, großen randomisierten kontrollierten Studien Vorrang einzuräumen, da diese „höchstwahrscheinlich die schlüssigen Beweise liefern, die für eine rasche Entwicklung und Zulassung potenzieller Behandlungen von COVID-19 erforderlich sind“.

Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus  www.medscape.com  übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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