Psychedelische Substanzen haben sich in neuen Untersuchungen als vielversprechend zur Therapie psychiatrischer Erkrankungen erwiesen. Das gilt vor allem für die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), aber auch für Depressionen und Angststörungen.
Eine Literaturübersicht zu klinischen Studien stützt Hinweise, dass sich eine chronische PTBS mit 3,4-Methylen-Dioxy-N-MethAmphetamin (MDMA), allgemein unter dem Szene-Namen „Ecstasy“ bekannt, wirksam behandeln lässt.
Der Review bestätigt außerdem, dass Psilocybin, ein Inhaltsstoff mancher Pilzarten, Angstzustände bei Krebspatienten sowie Depressionen signifikant mildert.
Aussichtsreiche, wenn auch erst vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich auch das Halluzinogen LSD (Lysergsäurediethylamid) und ein Pflanzensud namens Ayahuasca zur Therapie psychiatrischer Störungen eignen könnten.
Psilocybin könnte einen ganz neuen Behandlungsansatz für einige Formen der Depression bieten, so der führende Autor des Reviews, Prof. Dr. William M. McDonald, der an der Universität Atlanta als Psychiater, Verhaltenswissenschaftler und Spezialist für Depressionen in höherem Lebensalter tätig ist.
Die Therapien in den klinischen Studien, die sein Team zusammengestellt habe, „verhalfen den Patienten nicht bloß zu einer Besserung, sondern zu einem anhaltenden Wohlbefinden“, betonte McDonald im Gespräch mit Medscape.
„Was mich sehr beeindruckt hat, ist der Umstand, dass diese Substanzen das Potenzial haben, neue Therapieoptionen zu bieten, weil sie auf ganz innovativen Mechanismen basieren“, sagte er mit Blick auf MDMA und Psilocybin. Die Ergebnisse wurden online im American Journal of Psychiatry veröffentlicht [1].
14 klinische Studien analysiert
Die Wissenschaftler analysierten die Resultate von 14 aussagekräftigen klinischen Studien zur Wirksamkeit von MDMA, Psilocybin, LSD und Ayahuasca für eine Reihe von Störungen. Dazu gehörten Stimmungs- und Angststörungen, Störungen durch Stress und psychische Traumata, Substanzmissbrauch und Suchterkrankungen. In einigen Studien wurden Psychedelika auch in der Palliativbehandlung am Lebensende geprüft.
Als besonders positiv erwiesen sich die Ergebnisse für die Anwendung von MDMA bei PTBS und von Psilocybin bei Depressionen.
MDMA gegen posttraumatische Belastungsstörungen
In einer Studie von 2011 zur MDMA-gestützten Psychotherapie erhielten 23 Teilnehmer mit chronischer PTBS 2 Sitzungen Psychotherapie, entweder mit dem Wirkstoff oder mit Placebo.
Die Forscher erfassten die Punktwerte der Teilnehmer auf der Clinician-Administered PTSD Scale (CAPS), einer oft genutzten Methode zur PTBS-Bestimmung. Ein Score von 50 oder mehr zeigt therapieresistente PTBS-Symptome an. Zu Beginn waren die mittleren Werte in beiden Gruppen ähnlich hoch, und zwar 79,6 mit Placebo und 79,2 mit MDMA.
3 bis 5 Tage nach der ersten experimentellen Psychotherapie-Sitzung betrugen die CAPS-Werte 74,1 für die Placebo-Gruppe, während sie in der MDMA-Gruppe auf 37,8 gesunken waren. 3 bis 5 Tage nach der zweiten Sitzung lagen die Werte bei 66,8 in der Placebo-Gruppe, in der MDMA-Gruppe dagegen nur noch bei 29,3.
Volle 2 Monate nach der zweiten Sitzung waren die CAPS-Werte weiter gefallen. Allerdings waren sie mit Placebo immer noch doppelt so hoch (59,1) wie mit MDMA (25,5, p=0,013).
Darüber hinaus erfüllte ein signifikant größerer Teil der Patienten mit MDMA (10 von 12) als jener mit Placebo (2 von 8) die Kriterien für ein grundsätzliches Ansprechen. Die Forscher boten daraufhin allen Teilnehmern mit Placebo die Möglichkeit einer Behandlung mit dem Verum, worauf 7 von 8 diese Option annahmen. Bei allen 7 zeigte sich ein klinisch signifikantes Ansprechen 4 bis 6 Wochen nach 2 MDMA-gestützten Sitzungen.
Kurzzeitige Behandlung, langfristige Effekte bei PTBS durch MDMA
Im Jahr 2018 untersuchten dieselben Wissenschaftler Feuerwehrleute, Polizeibeamte, Militärangehörige und Veteranen, alle mit der Diagnose einer therapieresistenten PTBS. Randomisiert erhielten die 26 Teilnehmer niedrige, mittlere oder hohe MDMA-Dosierungen bei 2 Psychotherapie-Sitzungen im Abstand von einem Monat.
Ergebnis: Bei Patienten mit mittleren und hohen Dosierungen gingen die PTBS-Symptome signifikant stärker zurück als in der Gruppe mit niedriger Dosierung. Bei 6 von 7 Teilnehmern mit mittlerer Dosierung und bei 7 von 12 Teilnehmern in der Hochdosisgruppe kam es zu einer kompletten Remission der PTBS-Symptome. Mit niedriger Dosierung dagegen kamen nur 2 von 7 Teilnehmern in Remission.
Der Hauptautor des Reviews, Prof. Dr. Collin Reiff, Psychiater an der Universität und der NYU Military Family Clinic in New York, ist spezialisiert auf die Therapie von Suchterkrankungen und von psychischen Traumata – und behandelt dabei Militärveterane mit PTBS. Die Zahl der PTBS-Patienten, die eine Psychotherapie abbrechen, sei hoch, und oft hätten die Medikamente zur Behandlung der Störung bei ihnen signifikante Nebenwirkungen, berichtete Reiff im Gespräch mit Medscape.
„Den Daten zufolge, die ich ausgewertet habe, scheint MDMA eine bessere Therapieoption zu sein“, vermutet Reiff. Ein entscheidender Vorteil bestehe offenbar darin, dass MDMA schon mit wenigen Anwendungen eine Besserung erreicht. Und er fügte hinzu: „Die Patienten müssen die Substanzen also weder für Monate oder Jahre noch gar lebenslang einnehmen.“
Psilocybin gegen Angststörungen und Suchterkrankungen
Der Review zeigte auch positive Resultate für die Anwendung von Psilocybin gegen Depressionen.
Eine Studie aus dem Jahr 2016 ermittelte die Effektivität einer hohen Dosis Psilocybin in Kombination mit Psychotherapie bei Krebspatienten mit Angstzuständen und Depressionen. Zwei Drittel der 29 Teilnehmer hatten Karzinome in den fortgeschrittenen Stadien 2 bis 4.
Nach der Behandlung zeigte sich bei Patienten mit Psilocybin eine signifikante Reduktion (mehr als 50%) in gängigen Skalen für Depressionen und Ängste. Bei Patienten mit Placebo dagegen hatten die Symptome nicht anhaltend nachgelassen. Nach einem Wechsel auf Psilocybin jedoch trat eine signifikante Besserung ein.
Ungefähr 6 Monate nach der Behandlung waren die Punktwerte für Depressionen und Ängste bei 60% bis 80% der Teilnehmer immer noch um wenigstens 50% niedriger als vor der Therapie.
„Die Vorstellung, Patienten zu haben, denen es mit einer von Psychedelika gestützten Psychotherapie wochen- bis monatelang gut geht, ist wirklich verlockend“, sagte McDonald.
Die Forscher fanden in klinischen Studien zudem Evidenz dafür, dass Psilocybin bei der Raucherentwöhnung und bei Substanzmissbrauch helfen könnte.
LSD wiederum erwies sich als vielversprechend bei Patienten mit Ängsten im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen, Ayahuasca bei Patienten mit Depressionen.
Neuartige Wirkmechanismen
Einige Studien nutzten die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), um festzustellen, wie das Gehirn auf die psychedelischen Substanzen reagiert. McDonald wies darauf hin, dass diese und andere Messungen zum Wirkprinzip der Substanzen besonders aufschlussreich seien.
„Diese Verbindungen wirken nach ganz neuartigen Mechanismen“, erläuterte er. „Darin unterscheiden sie sich grundlegend von einigen derzeit verwendeten Antidepressiva. Infolgedessen eröffnet sich ein völlig neues Forschungsgebiet.“
Die US Food and Drug Administration (FDA) hat die überzeugenden Ergebnisse zum Gebrauch von MDMA und Psilocybin bei bestimmten Störungen bereits zur Kenntnis genommen. 2017 wertete die Behörde MDMA als „Durchbruchtherapie“ bei PTSD, und 2018 stufte sie Psilocybin als „Durchbruchtherapie“ gegen therapieresistente Depressionen ein. Mit diesen Bezeichnungen räumt die FDA den beiden Substanzen einen Vorrang im Genehmigungsprozess ein.
Der Review liste zwar eindeutig vielversprechende Ergebnisse für Psychedelika bei manchen Störungen auf, doch seien noch mehr Untersuchungen nötig, bevor die Substanzen für die klinische Praxis verfügbar seien, wie McDonald und Reiff betonten. „Es gibt in der Forschung noch viel zu tun. Wir sind noch weit entfernt, das Missbrauchspotenzial dieser Substanzen zu verstehen“, warnt McDonald.
„Was uns klar geworden ist, als wir die Forschung für das Review gesichtet haben: Hier liegt unbestreitbar ein Potenzial. Jetzt müssen wir uns bemühen, das Wissen über diese Wirkstoffe und ihre Möglichkeiten möglichst rasch zu vertiefen“, forderte McDonald.
„Hochinteressante“ Forschung
In seinem Kommentar für Medscape sagte der Psychiater Prof. Dr. Matthew Johnson von der Johns Hopkins Universität in Baltimore, der Review festige die Chancen, die sich durch eine Vielzahl von Forschungsansätzen zu psychedelischen Substanzen bei bestimmten psychiatrischen Störungen ergeben hätten.
Er halte das Ausmaß und die Dauer der Effekte in klinischen Studien, die in dieser Publikation zusammengefasst seien, für hochinteressant. „Es ist wirklich erstaunlich, dass Patienten eine Substanz nur einmal oder nur einige wenige Male zu nehmen brauchen, natürlich unter strikter ärztlicher Überwachung … und dann lassen sich 6 Monate oder sogar ein Jahr später noch starke Effekte und eine klinische Besserung beobachten“, sagte Johnson.
Er betonte jedoch, dass die fortlaufenden Untersuchungen der Psychedelika nur in Forschungseinrichtungen erfolgen sollte. „Es handelt sich um Verbindungen oder vielmehr um Werkzeuge mit großer Durchschlagskraft“, so Johnson. „Ob sie nutzen oder Schaden anrichten, hängt stark vom Kontext ab. Wir wissen durchaus, dass diese Wirkstoffe manchmal Schäden verursachen.
Johnson merkte weiterhin an, dass Wissenschaftler bestrebt sein müssten, in künftige Studien einen breiteren Querschnitt der Bevölkerung einzubeziehen. Minderheiten oder Menschen mit niedrigem Einkommen seien bisher in vielen Studien unterrepräsentiert.
Wenn fortschrittlichere Forschung weiterhin Belege für die Wirksamkeit erbringe und außerdem die Sicherheit bei adäquatem Gebrauch nachweise, könnten die Substanzen nach seiner Einschätzung in vielleicht 5 Jahren für einige psychiatrische Indikationen verfügbar sein, prognostizierte Johnson.
„Die Ergebnisse sind wirklich spannend. Wenn sie sich als stichhaltig erweisen, könnten sie einen Paradigmenwechsel in der Behandlung psychischer Erkrankungen einleiten.“
Dieser Artikel wurde von Dr. Angela Speth aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Also doch? LSD, Ecstasy und Psilocybin sollen effektiv und anhaltend gegen Angst, psychische Traumata und Depression wirken - Medscape - 23. Mär 2020.
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