Eine Sprachnachricht via Whats App kolportiert, die Universität Wien hege den Verdacht, Ibuprofen könne den Verlauf von COVID-19 massiv verschlechtern und mache derzeit eine Studie dazu. Die MedUni Wien dementiert umgehend und spricht von Fake News.
Doch auch die WHO rät, bei Verdacht auf COVID-19 besser auf NSAR zu verzichten. Und ein französischer Gesundheitsminister warnt via Twitter vor Ibuprofen. Auch französische Ärzte raten von Ibuprofen ab und empfehlen Paracetamol. Inzwischen (Stand 19. 3. 16.30 Uhr) hat die WHO ihre Warnung zurückgenommen. Man habe Ärzte konsultiert und Studien gesichtet und sei zu dem Schluss gekommen, dass es über die bekannten Nebenwirkungen bei bestimmten Bevölkerungsgruppen hinaus keine Hinweise auf negative Ibuprofen-Konsequenzen bei Covid-19-Patienten gebe. „Auf der Basis der heute vorhandenen Informationen rät die WHO nicht von der Einnahme von Ibuprofen ab".
Was ist nun tatsächlich dran an den Warnungen? Verschlimmert Ibuprofen nun die Lungenerkrankung COVID-19 oder nicht?
Gestern hat sich dazu nun auch die EMA zu Wort gemeldet: „Es gibt derzeit keine wissenschaftlichen Beweise, die einen Zusammenhang zwischen Ibuprofen und einer Verschlechterung von COVID-19 herstellen“, teilt sie mit. „Es gibt also keinen Grund für Patienten, die Ibuprofen nehmen, ihre Behandlung deswegen zu unterbrechen. Dies ist besonders wichtig für Patienten, die Ibuprofen oder andere NSAR aufgrund chronischer Leiden nehmen“, schreibt die EMA.
Eine Korrespondenz im Lancet bringt den Stein ins Rollen
Eine Korrespondenz in Lancet Respiratory Medicine hatte Ibuprofen, aber auch ACE-Hemmer und Sartane mit einem schlechteren Verlauf von COVID-19 in Zusammenhang gebracht. Alle diese Medikamente regulieren – so die Autoren – das Enzym ACE2 hoch. Dies wiederum könnte den Verlauf von COVID-19 ungünstig beeinflussen. Sars-CoV-2 nämlich nutzt den ACE2-Rezeptor als Eintrittspforte in die Wirtszellen. ACE2-Rezeptoren finden sich in Lunge, Herzen, Nieren, im Endothel und im Magen-Darm-Trakt.
In einer Anfang März in Cell veröffentlichten Arbeit wird beschrieben, wie Sars-CoV-2 das virale Spike-Protein nutzt, um über die ACE2-Bindung in die Wirtszelle zu gelangen. Dieser Schritt führt offenbar zur Verschmelzung der viralen und zellulären Membranen, was Infektionen erleichtern könnte.
Zur Rolle von Sartanen und ACE-Hemmern bezog – wie berichtet – umgehend die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) Stellung: „Alle Spekulationen beruhen auf tierexperimentellen Daten oder Experimenten in Zellmodellen. Es gibt zurzeit keine eindeutigen Hinweise dafür, dass die Gabe von ACE-Hemmstoffen oder Sartanen mit einer erhöhten Sterblichkeit oder Anfälligkeit für Lungenkomplikationen nach SARS-CoV-2 assoziiert ist“, stellt sie in einer Pressemitteilung klar.
Und Ibuprofen? Am Dienstag empfahl die WHO tatsächlich, bei Verdacht auf COVID-19 Ibuprofen ohne ärztlichen Rat nicht einzunehmen. Zwar gebe es keine neuen Studien, aus denen hervorgehe, dass Ibuprofen mit höherer Sterblichkeit verbunden sei, so WHO-Sprecher Christian Lindmeier gegenüber dpa. Doch die Experten prüften zurzeit die Lage. „Wir raten, im Verdachtsfall Paracetamol und nicht Ibuprofen einzunehmen“, sagt Lindmeier. Dies beziehe sich ausschließlich auf die Einnahme ohne ärztlichen Rat, betont er.
Deutscher Experte hält Zusammenhang für unwahrscheinlich
Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz rät zur Vorsicht: „Es gibt derzeit keine eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Art von Medikamenten den Krankheitsverlauf verschlimmert. In Einzelfällen wurde beobachtet, dass sie zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. Bewiesen ist dies jedoch nicht. Überprüfungen dazu laufen. Bis zu einem Ergebnis empfehlen wir eine vorsichtige Haltung gegenüber dem Gebrauch von Medikamenten auf der Basis von Ibuprofen.“
Wie auch die EMA weist Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Charité, darauf hin, dass es derzeit dazu keine Daten gibt. Aber er gibt im NDR-podcast Nr. 14 zu bedenken: „Ich glaube, das wüsste man inzwischen, wenn das so wäre.“ Das SARS-Coronavirus 2 sei zwar neu, aber andere Coronaviren und Erkältungsviren kenne man, „und auch da gibt es keinen Hinweis darauf, dass eine Ibuprofen-Einnahme diese Viruserkrankungen verschlechtern würde“.
EMA prüft Ibuprofen und Ketoprofen seit Mai 2019
Seit Mai 2019 prüft der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der EMA die NSAR Ibuprofen und Ketoprofen. Anlass war eine Umfrage der französischen Nationalen Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten (ANSM), die ergeben hatte, dass Windpocken-Infektionen und einige bakterielle Infektionen möglicherweise durch diese Medikamente verschlimmert werden könnten.
Die Produktinformationen vieler NSAR weisen bereits darauf hin, dass ihre entzündungshemmende Wirkung die Symptome einer sich verschlimmernden Infektion verdecken kann. Das PRAC untersucht nun alle verfügbaren Daten, um festzustellen, ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.
Die EMA rät, bei COVID-19 „alle verfügbaren Behandlungsoptionen einschließlich Paracetamol und NSAR in Betracht“ zu ziehen. Jedes Medikament habe seine eigenen Vorteile und Risiken, die sich in den Produktinformationen widerspiegelten und die zusammen mit den nationalen Behandlungsrichtlinien der EU berücksichtigt werden sollten. Die meisten, so die EMA, empfehlen Paracetamol als erste Behandlungsoption bei Fieber oder Schmerzen.
Französische Gesundheitsbehörden warnen vor Ibuprofen
Die französischen Gesundheitsbehörden hatten über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse bei der Anwendung von NSAR wie Ibuprofen bei Patienten mit COVID-19 berichtet. Auch sie empfehlen eine Behandlung mit Paracetamol. Bald darauf twitterte der französische Gesundheitsminister Olivier Véran, dass „die Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten (Ibuprofen, Kortison...) ein verschlimmernder Faktor der [COVID-19]-Infektion sein könnte. Wenn Sie Fieber haben, nehmen Sie Paracetamol. Nehmen Sie bereits entzündungshemmende Medikamente ein, fragen Sie im Zweifelsfall Ihren Arzt um Rat.“
Allerdings reagierten viele Ärzte außerhalb Frankreichs in den sozialen Netzwerken darauf und sagten, es gebe derzeit keine ausreichenden Beweise für eine solche Empfehlung.
Auch das spanische Gesundheitsministerium verwies am Sonntag darauf, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass Ibuprofen (oder andere NSAR) eine Infektion mit COVID-19 verschlimmerten. Britischen Ärzte sind sich ebenfalls darüber weitgehend einig. Gleichwohl teilten sie mit, dass Paracetamol generell die bessere Wahl für Infektionen sei.
Und auch ein US-amerikanischer Experte sagte, dass es keine Evidenz für besondere Risiken für Menschen mit COVID-19 gebe, die über die bereits bekannten Risiken von NSAR bei Infektionen im Allgemeinen hinausgingen.
In einer Erklärung auf seiner Website teilte der Nurofen-Hersteller Reckitt Benckiser mit: „Der angemessene Einsatz von Ibuprofen und Paracetamol wird derzeit noch von den meisten europäischen Gesundheitsbehörden als Teil der symptomatischen Behandlung von COVID-19 empfohlen. Reckitt Benckiser sind keine Hinweise bekannt, dass Ibuprofen das Ergebnis bei Patienten, die an einer COVID-19-Infektion leiden, negativ beeinflusst.“ Das Unternehmen „hat weder neue Sicherheitsinformationen erhalten noch war es an der Auswertung von unerwünschten Ereignissen bezüglich der Anwendung von Ibuprofen bei COVID-19 beteiligt“, fügt es hinzu.
US-Experte warnt vor überstürzten Schlussfolgerungen
Prof. Dr. Gregory Poland, Direktor der Impfstoff-Forschungsgruppe an der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, sagte, dass ohne die Erläuterung irgendwelcher neuer Daten, die die Auswirkungen detailliert aufzeigten, zusätzliche Risiken von NSAR im Zusammenhang mit COVID-19 fraglich seien. Poland sagt Medscape Medical News : „Ich denke, es gibt bei weitem nicht genügend Informationen, um so eine pauschale Aussage wie die [des französischen Gesundheitsministers] zu machen.“
NSAR, die sowohl bei Influenza als auch bei Covid-19 häufig zur Fiebersenkung empfohlen werden, sind bekannt dafür, dass sie potentiell nachteilige Auswirkungen auf Magen und Nieren genau in den Gruppen aufweisen, die als besonders gefährdet für COVID-19 gelten – also ältere Patienten und solche mit Komorbiditäten oder geschwächtem Immunsystem. Diesen Patienten wird Paracetamol ohnehin häufig als Alternative zur Fiebersenkung empfohlen.
„Ich denke, was die Franzosen empfehlen, kommt einer Überbetonung der bekannten Bedenken gleich“, bemerkt Poland. „Mir sind keine veröffentlichten Daten über den Einsatz von NSAR bei COVID-19 bekannt, die über irgendwelche besonderen Risiken berichten“, betont er.
Poland warnte vor überstürzten Schlussfolgerungen in Zeiten, in denen Stress und Panik ungewöhnlich stark verbreitet sind. Er gab einen Bericht eines Kollegen weiter, in dem 4 schwere COVID-19-Fälle von Patienten beschrieben wurden, die NSAR einnahmen – was einen Zusammenhang zwischen NSAR und COVID-19 herzustellen schien. „Doch hier sind Ursache und Wirkung unangemessen miteinander assoziiert worden“, sagt er. „Das ist ein Fehler, den wir häufig sehen – die Leute nehmen eine Kausalität an, die aber meist nicht besteht.“
Französische Ärzte bleiben bei ihrer Einschätzung
In Exklusivinterviews mit Medscape Frankreich nahmen ein Rheumatologe und ein Experte für Infektionskrankheiten Stellung zu den Ratschlägen des Gesundheitsministeriums.
Dr. Francis Berenbaum, Rheumatologe am Pariser Krankenhaus Saint-Antoine, sagt gegenüber Medscape Frankreich, dass bei Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen, die sich in Langzeitbehandlung mit NSAR befinden, die Therapie nicht abgebrochen werden sollte, es sei denn, ein Patient zeige COVID-19-Symptome wie Fieber. Andere Menschen sollten – sofern sie Fieber und COVID-19-Symptome entwickeln – aber keine NSAR nehmen, da dies die Krankheit verschlimmern könne – wobei Berenbaum einräumt, dass dies auch bei mehreren anderen Viruserkrankungen einschließlich Grippe bekannt ist.
Unterdessen sagt Dr. Christian Perronne, Spezialist für Infektionskrankheiten in Garches, Frankreich, gegenüber Medscape Frankreich, dass er den Rat, NSAR bei einer COVID-19-Infektion zu vermeiden, für vernünftig hält.
Perronne sagt, er persönlich habe noch keine Verschlechterung einer COVID-19-Erkrankung mit NSAR gesehen. In Frankreich gebe es aber auch noch nicht genügend Fälle. Aber chinesische Erfahrungen ließen darauf schließen. NSAR seien nicht für Atemwegsinfektionen geeignet, betont er.
Er verwies auf die von der französischen Behörde für Arzneimittelsicherheit (ANSM) im vergangenen Jahr initiierte Untersuchung, die bestätige, dass NSAR den Verlauf schwerer Infektionen verschlimmern könnten. In einer Pressemitteilung vom vergangenen April habe die ANSM auf dieses Risiko hingewiesen. Frankreich hat strengere Beschränkungen für den Verkauf von NSAR als andere Länder. Seit 2020 sind Paracetamol und Ibuprofen im Land nicht mehr rezeptfrei erhältlich.
Paracetamol ist besser, aber nicht unbedingt wegen COVID-19
Britische Experten sind sich einig, dass Paracetamol bei Menschen, die ein Risiko für COVID-19 haben, aus Sicherheitsgründen den NSAR vorzuziehen ist. „Es gibt einen guten Grund, Ibuprofen zu vermeiden, da es Nierenschäden verschlimmern kann, die durch eine schwere Krankheit, einschließlich einer schwer verlaufenden COVID-19-Erkrankung, hervorgerufen werden“, sagt Dr. Rupert Beale, Leiter der Zellbiologie am Francis Crick Institute in London, Großbritannien, gegenüber dem britischen Science Media Center (SMC). Aber er fügt hinzu: „Es gibt derzeit keinen zusätzlichen Grund, es speziell bei COVID-19 zu vermeiden.“
Dr. Tom Wingfield, leitender klinischer Dozent und ehrenamtlicher Beratungsarzt der Liverpool School of Tropical Medicine, Großbritannien, moniert, dass mehr Eindeutigkeit nötig sei, um die Bedeutung der Botschaft des französischen Gesundheitsministeriums bezüglich der Wirkung von NSAR auf COVID-19 beurteilen zu können. „Aus den Kommentaren des französischen Ministers geht nicht klar hervor, ob es sich bei den gegebenen Ratschlägen um allgemeine ‚Good Practice‘-Richtlinien handelt oder ob sie sich speziell auf Daten beziehen, die sich aus Fällen von COVID-19 ergeben. Aber das könnte zu gegebener Zeit klar werden“, sagt Wingfield.
Kortikosteroide und COVID-19
Poland stellt fest, dass das französische Gesundheitsministerium auch von der Verwendung von Kortison bei COVID-19 abrät, was mit den Empfehlungen der WHO und der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) übereinstimmt.
„Kortikosteroide haben zwar einen anderen Wirkmechanismus als NSAR, sind aber antiinflammatorisch und erscheinen daher ideal für den Einsatz bei einer entzündlichen Erkrankung“, erklärt er. „Aber der Grund dafür, von ihrem Einsatz abzuraten, ist die Beobachtung, dass sie bei SARS I nicht nur den klinischen Verlauf nicht verbessert haben, sondern dass sie in der Tat kurz- und mittelfristig negative Auswirkungen auf die Virus-Clearance zu haben scheinen“, sagte Poland.
Experten empfehlen jedoch, dass Patienten, die Kortison oder andere Steroide für chronische Krankheiten einnehmen, diese nicht absetzen sollten, außer auf Anraten ihres Arztes. Ein Rat, dem auch der französische Rheumatologe Berenbaum in seinem Interview mit Medscape Medical News zustimmt.
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Diesen Artikel so zitieren: Frankreich und WHO warnen, EMA und deutsche Experten gelassener – die Argumente in der Diskussion um Ibuprofen bei COVID-19 - Medscape - 19. Mär 2020.
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