Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, hat laut einer britischen Beobachtungsstudie ein um ca. 45% höheres Unfallrisiko als beispielsweise Autofahrer. Allerdings könnte dieser Nachteil durch andere gesundheitliche Vorteile aufgewogen werden. In derselben Studie war die Wahrscheinlichkeit für Krebserkrankungen, Herzkreislauferkrankungen und Todesfälle bei den Radpendlern insgesamt geringer. Zu den Ergebnissen kommen Dr. Claire Welsh von der University of Glasgow und Kollegen im BMJ [1].

Prof. Dr. Michael J. Raschke
„Vor allem die Tatsache, dass deutlich weniger Tumordiagnosen erstmalig gestellt wurden, hat mich überrascht“, erklärt Prof. Dr. Michael J. Raschke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie. „Die Population scheint trotz des höheren Unfallrisikos gesünder zu sein, als diejenigen, die mit dem Auto pendeln.”
Fahrradfahren fördert die Gesundheit, trotz des Unfallrisikos
Welsh und Kollegen hatten für ihre Studie Daten der UK Biobank-Kohorte genutzt. Sie sammelten Krankenhaus- und Todesdaten für die Teilnehmer und werteten diese Informationen aus. Insgesamt 230.000 Personen aus unterschiedlichen Orten innerhalb Großbritanniens hatten Details zu ihrem täglichen Arbeitsweg angegeben. 2,5% von ihnen fuhren ausschließlich mit dem Rad zur Arbeit, und weitere 6% nutzten das Fahrrad zusätzlich zu anderen Verkehrsmitteln. Mehr als 75% kamen körperlich inaktiv mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit.
Das Ergebnis der prospektiven Kohortenstudie: Radpendler kamen häufiger als andere Pendler mit leichten oder schwereren Verletzungen ins Krankenhaus. Wer eine längere Strecke mit dem Fahrrad zu bewältigen hatte, dessen Unfallrisiko lag deutlich höher als das der Kurzstreckenpendler.
Im Gegensatz dazu zeigte sich bei den Fahrradpendlern ein niedrigeres Erkrankungsrisiko. Zusammengefasst berechneten die Wissenschaftler folgende Assoziation: Würden 1.000 Personen zehn Jahre lang zur Arbeit radeln statt das Auto zu nehmen, dann wäre mit 26 zusätzlichen Krankenhausaufenthalten wegen Verletzungen zu rechnen. Bei 3 davon würde es sich um schwere Verletzungen mit einem Krankenhausaufenthalt von mehr als 1 Woche handeln. Als positive Auswirkungen berechnete Welshs Team 15 Krebsdiagnosen, 4 kardiovaskuläre Ereignisse und 3 Todesfälle weniger.
Ihre Empfehlung: Notwendig seien konkrete Maßnahmen, um das Unfallrisiko zu senken. Dann könne man Menschen leichter von den gesundheitlichen Vorteilen des Radfahrens überzeugen.
Auch Raschke ist vom Benefit des Radfahrens überzeugt: „Ich bin ein klarer Befürworter dieser Form der Mobilität, das ist ja auch ökologisch sinnvoll und nachhaltig, und wenn sie einigermaßen defensiv Fahrrad fahren, können sie mehrere Jahre hintereinander unfallfrei bleiben.”
Riskantes Radeln in Deutschland
Bundesweit pendeln nach den Daten des Mikrozensus 2016 9 Prozent der befragten Berufstätigen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Während die Zahl der Verkehrstoten seit Jahren zurückgeht, kommen allerdings immer mehr Fahrradfahrer im Straßenverkehr ums Leben. Das wird auch mit einem steigenden Prozentsatz der Radfahrer am Verkehrsaufkommen in Verbindung gebracht. Besonders E-Bikes scheinen einen erheblichen Anteil an den schweren Unfällen zu haben.
„Auch bei mir in der Klinik sehen wir deutlich mehr Fahrradunfälle, und auch schwerere Unfälle“, erklärt Raschke. „Eine zunehmende Entität sind die älteren Radfahrer, die durch die zunehmende Elektromobilität schnelle Geschwindigkeiten erreichen, die sie dann schwerer kontrollieren können.“
Während auch 2019 die Zahl der getöteten Fahrradfahrer zwischen Januar und November um 1,2% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist, kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 3,2% weniger Radfahrer bei Unfällen zu Schaden als noch im Vorjahr.
Wird das Unfallrisiko überschätzt?
Allerdings ist unklar, welcher Anteil der Unfälle tatsächlich auf Arbeitswege entfällt. Die Glasgower Wissenschaftler vermuten, dass das Risiko überschätzt werden könnte, wenn aus der Freizeitbereich mit einbezogen werden. Auch der Münsteraner Unfallchirurg Raschke sieht dort große Risiken: „Schwere Unfälle treten beispielsweise nachts auf, unter Alkoholeinfluss. Die Schutzreflexe sind dann aufgehoben, so dass solche Unfälle sehr schwere Verletzungen nach sich ziehen können. Andere schwere Unfälle sind Sportunfälle, etwa mit dem Rennrad, wo eben auch hohe Geschwindigkeiten erreicht werden.”
In einem Editorial [2] fordert Dr. Anne Lusk aus Boston bessere und sicherere Radwege, um das Unfallrisiko für Radfahrer zu senken. Infrastruktur und bauliche Veränderungen seien wichtiger Faktoren, mit denen sich die Sicherheit beim Radfahren verbessern ließe, erläutert Raschke.
Als weitere Aspekte nennt er das Durchsetzen von Regeln auch unter Radfahrern, oder Maßnahmen für bessere Sichtbarkeit im Straßenverkehr: „Viele Unfälle gerade in der dunklen Jahreszeit passieren auch, weil die Radfahrer von Autos übersehen werden. Da kann man mit relativ einfachen Mitteln, wie gute Beleuchtung und reflektierende Kleidung, eine ganze Menge ausrichten.” Raschke weiter: „Der Helm verhindert keinen Unfall, aber er sorgt dafür, dass Kopfverletzungen zum Teil deutlich weniger dramatisch ausfallen.”
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Diesen Artikel so zitieren: Mehr Unfälle, aber weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs: So profitieren Fahrrad-Pendler gesundheitlich - Medscape - 19. Mär 2020.
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