Auch Patienten mit progressiver Verschlechterung der Nierenfunktion profitieren von einer Therapie mit Angiotensin-converting-enzyme (ACE)-Hemmern oder Angiotensin II-Rezeptorblockern (ARB). In einer retrospektiven Studie zeigte sich, dass das Weiterführen der Behandlung die kardiovaskuläre Mortalitäts- und Ereignisrate senkte, ohne das Risiko eines Nierenversagens signifikant zu erhöhen [1]. Das berichten Dr. Yao Qiao von der Johns Hopkins University Bloomberg School of Public Health, Baltimore, USA, und Kollegen in JAMA Internal Medicine.
Hausärzte setzen Therapie mehrheitlich ab
„Ich bin nicht überrascht – in unserer sowie in anderen nephrologischen Kliniken ist das Weiterführen dieser Behandlung bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz gängige Praxis“, erklärt Prof. Dr. Julia Weinemann-Menke, Leiterin des Schwerpunkts Nephrologie an der Universitätsmedizin Mainz und Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), im Gespräch mit Medscape. Hausärzte, wo Weinemann-Menkes Schätzungen nach 80 bis 90 Prozent der Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion behandelt würden, seien dagegen eher geneigt die Therapie mit ACE-Hemmern oder ARB abzusetzen, wenn sich die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) verschlechtere.
In der Studie, in der Daten von 3.909 Menschen (Durchschnittsalter 74 Jahre) aus einem Patientenregister im US-Staat Pennsylvania untersucht worden sind, lag der Schwellenwert zum Absetzen oder Fortführen der Therapie mit ACE-Hemmern oder ARB bei einer eGFR (estimated GFR) von 30 ml/min/1,73m2. „Bei Patienten mit diesem Wert denke ich nicht einmal eine Sekunde darüber nach, die Therapie abzusetzen, weil ich weiß, dass diese Medikamente nephroprotektiv und kardioprotektiv sind“, stellt Weinemann-Menke klar. Lediglich bei einem akuten Nierenversagen werde die Behandlung mit ACE-Hemmern und ARB gestoppt. Verlaufe die Erkrankung dagegen chronisch, setzte man die Medikamente „sehr gerne ein“.
Häufig setzen Ärzte diese Standard-Medikamente zur Behandlung von Bluthochdruck, chronischer Nierenerkrankung, Herzinsuffizienz und koronarer Herzerkrankung (KHK) bei einer Progression der Nierenerkrankung mit sich verschlechternder GFR ab, weil sie ein Nierenversagen befürchten, erklären die Autoren der retrospektiven Analyse um Qiao. Angesichts der aktuellen Studienlage sei unklar, ob und wann ACE-Hemmer und ARB bei niedriger eGFR abzusetzen seien.
Mortalitätsrate um 40% niedriger
Anhand der Daten von Patienten, die mit ACE-Hemmer oder ARB behandelt wurden, haben Forscher das Fortführen (2.674 Patienten) und das Absetzen der Therapie (1.235 Patienten) innerhalb von 6 Monaten seit dem Absinken der eGFR unter den Schwellenwert von 30 ml/min/1,73m2 gegenübergestellt. Endpunkte waren die Mortalitätsrate und die kardiovaskuläre Eventrate (Tod, Myokardinfarkt, perkutane Koronarintervention oder koronare Bypass-OP) sowie das Auftreten eines Nierenversagens innerhalb des Beobachtungszeitraums von 5 Jahren.
Die Mortalitätsrate innerhalb von durchschnittlich knapp 3 Jahren lag bei Teilnehmern, welche die Therapie fortgeführt hatten, bei 29,4%. Bei denen, die sie abgesetzt hatten, waren es 35,1%. Kardiovaskuläre Ereignisse traten nach dem Fortführen der Therapie bei 34%, nach dem Absetzen des Medikaments bei 40% der Patienten auf. Damit ergab sich im Vergleich ein um fast 40% höheres Mortalitäts- und Ereignisrisiko.
Zwar traten unter ACE-Hemmer und ARB mehr Fälle akuten Nierenversagens auf (7% vs 6,6%), jedoch war die Eventrate nicht signifikant höher als bei denen, die die Behandlung nach dem Absinken der eGFR gestoppt hatten. Gleiches zeigte sich bei Patienten, bei denen die eGFR innerhalb eines Jahres um mehr als 40% abgefallen war.
Randomisierte Studie dauert noch Jahre
Die Erkenntnisse von Quiao und Kollegen seien „hilfreich vor Beendigung der Trial of Angiotensin-Converting Enzyme Inhibitor/Angiotensin Receptor Blocker Withdrawal in Advanced Renal Disease (STOP-ACEi) Studie“, kommentieren Dr. Colette DeJong, Medizinische Fakultät der University of California in San Francisco, USA, und Dr. Richard W. Grant, Redakteur beim JAMA Internal Medicine, in einem Editorial [2].
In diese noch andauernde randomisierte, kontrollierte Studie wurden bislang 410 Patienten aufgenommen. Ergebnisse seien in rund 3 Jahren zu erwarten, schätzt Weinemann-Menke. Anhand dieser Studie sei dann wahrscheinlich auch erkennbar inwiefern das Risiko einer Hyperkaliämie unter dem Fortführen der ACE-Hemmer und ARB steige.
„Eine Hyperkaliämie ist eine Komplikation, die viele Hausärzte befürchten, wenn sie die Therapie bei ihren Patienten mit sinkender GFR absetzen“, erklärt Weinemann-Menke. Patienten mit speziellen Risiken, etwa dem einer Hyperkaliämie, waren in der retrospektiven Analyse ausgeschlossen worden.
Quiao und Kollegen hätten im Vergleich zu STOP-ACEi die 10-fache Patientenanzahl sowie einen klinisch relevanten Endpunkt untersucht, während sich die randomisierte Studie auf die Verschlechterung der eGFR als „Ersatz-Endpunkt“ beschränke, bemerken DeJong und Grant. „Während wir auf die Ergebnisse randomisierter Studien warten, müssen wir trotzdem klinische Entscheidungen treffen“, schreiben sie. Die retrospektive Analyse zeige ganz klar, dass das Fortführen der Therapie bei progressiver Nierenerkrankung nicht zu Schäden führe und die Mortalitätsrate senke.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Verschlechterung der Nierenfunktion: Darum sollten Ärzte ACE-Hemmer oder ARB nicht sofort absetzen - Medscape - 17. Mär 2020.
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