Corona-Pandemie: KBV und GKV ermöglichen AU-Scheine per Telefon – und bekommen Konkurrenz

Christian Beneker

Interessenkonflikte

17. März 2020

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben für Patienten mit „leichten Erkrankungen der oberen Atemwege“ die Möglichkeit eröffnet, „nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Arzt eine Bescheinigung auf Arbeitsunfähigkeit (AU) bis maximal sieben Tage“ zu erhalten [1]. Die Patienten müssen dazu nicht die Arztpraxen aufsuchen.

Die Regelung gilt für Patienten, die keine schweren Symptome haben oder Kriterien des Robert Koch-Instituts (RKI) für einen Verdacht auf eine Infektion mit COVID-19 erfüllen, so der Spitzenverband und die KBV.

 
Gleichzeitig soll das Risiko für eine vermeidbare Ausbreitung von Infektionskrankheiten der oberen Atemwege über die Wartezimmer der Arztpraxen reduziert werden. Dr. Stephan Hofmeister
 

Diese Vereinbarung gelte ab sofort und zunächst für 4 Wochen. Mit diesem Schritt unterstütze die gemeinsame Selbstverwaltung Patienten und Ärzte gleichermaßen, erklärten die beiden Organisationen am 9. März 2020.

„Damit wollen wir die Vertragsarztpraxen und Bürgerinnen und Bürger kurzfristig von Arztbesuchen entlasten, die lediglich der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung dienen“, sagt der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister: „Gleichzeitig soll das Risiko für eine vermeidbare Ausbreitung von Infektionskrankheiten der oberen Atemwege über die Wartezimmer der Arztpraxen reduziert werden.“

Das Angebot für diese AU-Bescheinigungen gilt für Patienten, von deren Zustand sich der Arzt am Telefon überzeugt hat, hieß es. Patienten dagegen mit begründetem Verdacht auf eine Infektion mit dem Corona-Virus sollen weiterhin durch die vorgesehenen Stellen getestet werden, so Hofmeister.

War der Patient schon einmal im Quartal in der Praxis, so wird die AU-Bescheinigung über die Versicherten- beziehungsweise Grundpauschale abgerechnet. „Ist das bei der telefonischen AU-Bescheinigung nicht der Fall, rechnen Ärzte die Gebührenordnungsposition (GOP) 01435 (88 Punkte / 9,67 Euro) ab“, so die KBV. „Für das Porto zur Übersendung des ‚gelben Scheins‘ an den Versicherten ist jeweils die GOP 40122 (0,90 Euro) berechnungsfähig.“

Hausärzteverband begrüßt Initiative

Der Deutsche Hausärzteverband begrüßt die Initiative von KBV und GKV-Spitzenverband. „Die Sicherheit von Ärzten und Praxispersonal hat oberste Priorität“, sagt Christian Schmuck, Sprecher des Hausärzteverbandes zu Medscape. „Wir haben diesen Schritt schon lange gefordert.“

 
Die Sicherheit von Ärzten und Praxispersonal hat oberste Priorität. Christian Schmuck
 

Die Maßnahme ermöglicht es den Hausärzten, auch in der angespannten Lage der Corona-Krise „die vielen kleinen Fälle in der Hausarztpraxis abzuarbeiten“.

Unternehmer kritisiert Initiative

Anders der Unternehmer und Gründer Dr. Can Anray. Er bietet seit vergangenem Jahr über das Portal www.au-schein.de kostenpflichtige Online-Krankschreibungen für 6 Krankheiten, unter anderem Regelschmerzen und Migräne. Nun sind „Covid-19-Risiko“ und „Erkältung/Grippe“ für Patienten mit Verdacht auf Infektion mit dem Corona-Virus und für Patienten mit Erkältung oder Grippe als kostenlose Angebote hinzugekommen.

Anray kritisiert das Angebot von KBV und GKV-SV. „Was sollen die Praxen machen, nachdem sie den AU-Schein ausgefüllt haben? Sollen sie dem Patienten aufwendig ein PDF erstellen und ihm die Krankschreibung mailen? Viele Praxen haben diese Möglichkeit doch gar nicht. Und den AU-Schein dem Patienten mit der Post nachzuschicken, ist doch viel zu umständlich.“

Eine Sprecherin der KBV betont, der gelbe Schein per Telefon sei „nur ein Angebot, das genutzt werden kann, aber nicht muss“.

Werbung oder Wohltat?

Anray indessen setzt auf einen anderen Weg, wenn auch auf einen, den die zuständige Ärztekammer Hamburg möglicherweise rechtlich anfechten will. Für eine Krankschreibung füllt der Nutzer von Anrays Portal online einen Fragebogen über seine Beschwerden aus. Ein Tele-Arzt kann ihn freigeben und das PDF der Krankmeldung dem Nutzer zur Verfügung stellen.

Wenn er „in den letzten 14 Tagen, also während der Inkubationszeit von COVID-19, in einem Risikogebiet war oder Kontakt zu einem Infizierten hatte, erhält er die Krankschreibung für maximal 14 Tage mit dem Vermerk des Grundes“, teilt das Portal in einer Pressemeldung mit. Das Bundesgesundheitsministerium rät in diesen Fällen zur freiwilligen häuslichen Quarantäne – auch ohne Symptome, wie Anrays Portal betont. Zudem können die Patienten regelmäßig angeschrieben und aufgefordert werden, beim Auftreten weiterer Symptome das Gesundheitsamt zu kontaktieren.

 
Wir sehen das Ganze sehr kritisch und prüfen, ob wir berufsrechtlich gegen Ärztinnen und Ärzte vorgehen können, die sich daran beteiligen. Sandra Wilsdorf
 

Zur Eindämmung des Corona-Virus habe das Portal am vergangenen Montag bereits rund 300 Krankschreibungen für Risikopatienten in freiwilliger häuslicher Quarantäne ausgestellt und 500 Scheine für Patienten mit Erkältung und Grippe, berichtet Anray gegenüber Medscape.

Nach Angaben der Hamburger Ärztekammer verstößt das Angebot allerdings gegen § 12 Abs. 2 Satz 3 der Musterberufsordnung (MBO). Darin heißt es, „Ärztinnen und Ärzte dürfen die Sätze nach der GOÄ nicht in unlauterer Weise unterschreiten.“

Außerdem liege laut Ärztekammersprecherin Sandra Wilsdorf ein Verstoß gegen das Heilmittelgesetz (HWG) vor. Denn § 7 HWG verbiete, „Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten“. Die Hamburger Ärztekammer behält sich rechtliche Schritte vor. Wilsdorf: „Wir sehen das Ganze sehr kritisch und prüfen, ob wir berufsrechtlich gegen Ärztinnen und Ärzte vorgehen können, die sich daran beteiligen.“

Anray widerspricht: „Ein Arzt darf doch pro bono arbeiten, vor allem, wenn es um einen wohltätigen Zweck geht, wie die Eindämmung des Corona-Virus“, betont er. „Das macht ‚Ärzte ohne Grenzen‘ doch auch!“ Und wenn das neue Angebot lediglich als Werbeaktion für www.au-schein.de wahrgenommen werde, „dann kann ich nichts dafür“.
 

Kommentar

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