In einer Veröffentlichung in The Lancet vom 11. März weisen Dr.Lei Fang, Universitätshospital Basel und Kollegen darauf hin, dass es bei Patienten mit Diabetes Typ I und Typ II oder Bluthochdruck, die mit ACE-hemmenden Substanzen oder Sartanen behandelt werden, im Falle einer CoVID-19-Infektion häufig zu besonders schweren Krankheitsverläufen kommt [1]. Dadurch entstand bei vielen Ärzte eine große Verunsicherung.
Die Autoren der Lancet-Studie bieten als Erklärung dafür an, dass diese Therapien zu einer Hochregulierung von ACE2 (siehe unten) führen, wodurch die Zellen dieser Patienten den Coronaviren den Zugang erleichtern.
Als Gegenmaßnahme schlagen die Autoren eine Verwendung von Kalziumkanal-blockierenden Antihypertensiva vor, mit der Begründung, dass diese laut ihrer eigenen Literaturrecherche nicht mit einer Zunahme von ACE2 in Verbindung gebracht werden.
Die European Society of Cardiology (ESC) hat dagegen aktuell ein Statement veröffentlicht – als Antwort auf die Verunsicherung durch diese Hypothese. Demnach rät sie Ärzten und Patienten dringend davon ab, bestehende Behandlungen mit ACE-Hemmern oder Sartanen im Hinblick auf diese klinisch nicht bewiesenen Hypothesen abzubrechen.
Die Erklärung hat der Chef des Council für Bluthochdruck bei der ESC, Professor Giovanni de Simone, im Auftrag einer Expertengruppe unterschrieben. Darin heißt es außerdem bezüglich der theoretischen Schutzeffekte gegen Lungenkomplikationen bei COVID-10-Patienten, dass die Daten bisher nur Tierversuchen entstammen und nicht Studien an Patienten. „Spekulationen über die Sicherheit einer Therapie mit ACE-Hemmern und Sartanen bei COVID-19 haben keine solide wissenschaftliche Basis oder Evidenz“, schreibt das ESC-Panel.
Wissenschaftlicher Hintergrund
Patienten mit Herzkreislauferkrankungen, Bluthochdruck und Diabetes sind häufiger von schweren Verläufen der COVID-19 betroffen. Auf der Suche nach Erklärungen könnte die Hypothese einen Ansatz bieten, dass Coronaviren über Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE2) in menschliche Körperzellen eindringen.
ACE2 ist ein Enzym aus dem blutdruckregelnden Renin-Angiotensin-System, das in die Membranen der Epithelzellen der Atemwege, von Lungenparenchym, aber auch Blutgefäßen, Darm, Nieren und anderen Geweben vorhanden ist.
SARS-CoV-2, der Erreger der Erkrankung COVID-19, ist ein weiterer Vertreter der SARS-Viren, die bei Fledermäusen, Dromedaren und anderen Tieren vorkommen, aber in Ausnahmefällen auch auf Menschen übergehen. Bereits vor 15 Jahren wurde beschrieben, dass ein human aktives SARS-CoV über das membranintegrierte Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE2) in humane Lungenzellen gelangen kann. In China startet jetzt eine Pilotstudie mit einem genetisch veränderten ACE2-Enzym, die auf diesen Ergebnissen aufbaut (siehe unten).
Eine aktuelle Studie von vergangener Woche in Science beschreibt die Struktur des Glykoproteins, mit dem SARS-CoV-2 an die Wirtszellen andockt [2]. In biophysikalischen Laborexperimenten konnten die Autoren um Daniel Wrapp zeigen, dass das neue SARS-CoV-2 eine 10 Mal höhere Bindungsaffinität zu ACE-2 hat als SARS-CoV. Mit 3 bekannten Antikörpern, die an das Spike-Protein auf der Oberfläche des früheren Coronavirus binden, konnten sie bei dem neuen Coronavirus keine Bindung nachweisen.
Das Enzym ACE2 hat eine andere Wirkung als das bekanntere Enzym ACE, das das Hormon Angiotensin I in das Hormon Angiotensin II umsetzt, welches physiologisch hauptsächlich eine Blutdrucksteigerung bewirkt. ACE2 bewirkt innerhalb des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Regelsystems (RAAS) wiederum den Abbau von Angiotensin II. Bindet das Coronavirus an ACE2, verliert das Enzym seine Wirkung und der resultierende Überschuss an Angiotensin II schädigt das betroffene Gewebe.
Erklärung für Multiorganversagen?
Vor allem aber nutzt das Virus das membranständige ACE2, um ins Innere der Zellen zu gelangen und dort seine massenhafte Replikation zu starten, erläutert Prof. Dr. Josef Penninger, University of British Columbia, Kanada. Er forschte bereits im Jahr 2003 an einem Virus, das das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS) verursachte. Schon dieses Virus, das in Deutschland nur wenige Krankheitsfälle verursachte, war ein Coronavirus (SARS-CoV), das von Tieren auf Menschen übergegangen war, dann aber auch von Mensch zu Mensch übertragen wurde. Allerdings wurden damals in Deutschland keine solchen Übertragungen dokumentiert.
Penninger, damals in Wien, fand mit seinen Kollegen heraus, dass das Corona-Virus im ersten Schritt durch seine Bindung an ACE2 in die Zellen der Atemwege und des Lungenparenchyms eindringt und dort die Replikation seiner RNA und die Produktion seiner weiteren Bausteine beginnt.
Durch den folgenden Befall weiterer Zellen setzen die proliferierenden Viren lungenschädigende Prozesse in Gang. Auch viele Zellen anderer Organe wie Nieren, Darm und Gefäßen ermöglichen dem Coronavirus den Zugang über ACE2 in ihren Membranen. Damit erklärt Penninger das Multiorganversagen bei einigen der aktuellen vom SARS-CoV2 betroffenen COVID-19 Patienten.
Ansatz für eine Therapie gegen SARS-CoV-2?
In der Zwischenzeit hat das Unternehmen Apeiron, zu dessen Gründern Penninger gehört, eine durch genetische Rekombination veränderte Variante des ACE2 entwickelt. Coronaviren binden ebenso an diese Variante (rACE2), die in gelöster Form zugeführt werden und somit einen Großteil der Viren abfangen kann. Darüber hinaus kann rACE2 freies Angiotensin II spalten und dadurch die schädlichen Auswirkungen eines Angiotensin II-Überschusses verringern, die im schlimmsten Fall zu Lungen- oder Multiorganversagen führen können.
Das Hormon Angiotensin II bindet an zwei verschiedene Rezeptoren, AT1 und AT2. Die schädlichen Folgen wie dauerhafte Vasokonstriktion, Lungenödeme und Gewebeläsionen entstehen hauptsächlich durch die Bindung an AT1. Die Bindung an AT2 bedingt dagegen Vasodilatation und positive kardiovaskuläre Effekte.
In einem Interview mit der Deutschen Apothekerzeitung (DAZ) erklärt Penninger, dass Sartane auch vor Lungenversagen schützen könnten. Denn in seinen Experimenten verhindern Sartane selektiv die Bindung von Angiotensin II an den AT1-Rezeptor. Wurde durch andere Substanzen selektiv der AT2-Rezeptor gebunden, verschlechterte sich laut Penninger der Lungenzustand.
Pilotstudie mit 24 Patienten wird in China gestartet
Mit dem therapeutisch nutzbaren rekombinante rACE2 hat Penninger in Tierversuchen neben der Virustitration erreicht, dass durch die Spaltung der Angiotensin-II-Moleküle deren schädlichen Effekte durch die Bindung an AT1 entfallen.
Nach weiteren positiven Erfahrungen in Phase-1-Studien mit diesem Wirkstoff (in diesem Zusammenhang APN01 genannt) beginnt zurzeit eine randomisierte unverblindete Phase-2-Pilotstudie in Wuhan, China, mit 24 Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung. Sollte diese und geplante Phase-3-Studien um Erfolg führen, erwartet Penninger trotzdem, dass für eine weltweite Therapie dieses neuen Coronavirus nicht nur einer, sondern mehrere verschiedene Behandlungsansätze und ein Impfstoff notwendig sein werden.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: ACE-Hemmer und Sartane absetzen wegen hypothetischen Komplikationen durch SARS-CoV-2? Die ESC sagt Nein! - Medscape - 16. Mär 2020.
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