Neurodermitis-Prävention: 2 Studien finden keinen Nutzen – warum Eltern trotzdem weiter cremen sollten

Inge Brinkmann

Interessenkonflikte

13. März 2020

Daten aus 2 kleineren Pilotstudien sprachen dafür, dass das regelmäßige Eincremen der Haut von Geburt an bei Kindern mit einem hohen Neurodermitis-Risiko (z.B. wegen atopischer Erkrankungen der Eltern) eine leichte präventive Wirkung hat.

Nun verkünden gleich 2 umfangreiche randomisiert-kontrollierte Studien, dass die frühe Hautpflege vergebens sein könnte. Zumindest waren die Autorengruppen aus Großbritannien bzw. Norwegen und Schweden nicht in der Lage, signifikante Vorteile für die Babys (durch tägliches Eincremen bzw. die regelmäßige Verwendung eines Badezusatzes) zu dokumentieren. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse beider Studien jüngst zeitgleich im Fachmagazin The Lancet  [1,2].

Im Gespräch mit Medscape erklärt PD Dr. Martin Hartmann, Oberarzt an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg, dass er den Eltern von Hochrisiko-Kindern trotzdem weiter empfehlen werde, die – häufig auch sehr trockene – Haut ihrer Babys regelmäßig mit hochwertigen Cremes zu pflegen. „Das entspricht der gängigen Lehrmeinung und das ändert sich auch nicht durch die beiden neuen Studien“, sagt er.

Er gibt zu, dass die Evidenz dieser Vorgehensweise durch die beiden Veröffentlichungen etwas eingeschränkt worden sei. Allerdings empfiehlt er einen eingehenderen Blick auf die Details der Studien. „Beide Studien sind gut konzipiert. Aber diverse Elemente – von der Wahl der Cremes bzw. des Badezusatzes über die Dauer der jeweiligen Anwendungen bis hin zur Compliance der Eltern – könnten die Aussagekraft der Untersuchungen eingeschränkt haben“, sagt er.

Tägliches Cremen gegen Neurodermitis – die BEEP-Studie

Die multizentrische randomisiert-kontrollierte Studie „Barrier Enhancement for Eczema Prevention (BEEP)“, wurde in Großbritannien durchgeführt. Insgesamt 1.394 Neugeborene (53% Jungen, 47% Mädchen) mit einem hohen Allergierisiko (atopische Erkrankungen bei den Eltern) wurden in die Studie aufgenommen und 1:1 randomisiert.

Alle Eltern erhielten eine Beratung zur Standardhautpflege ihrer Kinder. Die Eltern in der Interventionsgruppe wurden zusätzlich instruiert, ihre Babys im ersten Lebensjahr täglich mit einem Emollient bzw. einer rückfettenden Salbe (Diprobase Cream oder DoubleBase Gel) einzucremen.

Als primären Endpunkt legte das Team um Dr. Joanne R. Chalmers von der Nottingham University, Großbritannien, das Vorhandensein einer Neurodermitis im Alter von 2 Jahren fest. Der Endpunkt wurde bewusst spät gewählt. So wollten die Forscher verhindern, dass 1. ekzematöse Hautausschläge, die im ersten Lebensjahr bei vielen Kindern auftreten, die Ergebnisse verfälschen und dass 2. eventuell vorhandene Ekzeme durch die Salbenapplikation verdeckt würden.

„Der fehlende Nutzen war unerwartet“

Die Intervention, so zumindest das Resümee der britischen Autoren, brachte keinen signifikanten Vorteil für die Säuglinge: Bei 23% der Babys in der Interventionsgruppe und bei 25% der Babys in der Kontrollgruppe traten Ekzeme auf (adjustiertes relatives Risiko: 0,95).

„Der in dieser Studie festgestellte fehlende Nutzen von Emollients zur Vorbeugung von Ekzemen war unerwartet, insbesondere angesichts der deutlichen Hinwiese, die zuvor in den veröffentlichten Pilotstudien beobachtet wurden“, schreiben die Autoren zu dem Ausgang ihrer Untersuchung.

 
Der in dieser Studie festgestellte fehlende Nutzen von Emollients zur Vorbeugung von Ekzemen war unerwartet. Dr. Joanne R. Chalmers und Kollegen
 

Als Beleg für eine Nicht-Wirksamkeit möchte Hartmann die Ergebnisse aber nicht werten. Stattdessen gelte es seiner Ansicht nach zu überprüfen, ob man etwa mit hochwertigeren Cremes ein besseres Ergebnis erzielen könnte. Außerdem ist für ihn ungeklärt, ob ein Jahr der Anwendung tatsächlich ausreichend für den präventiven Effekt ist. „Die Studie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet“, meint der Experte.

Kein Nutzen – dafür mehr Risiken?

Überrascht zeigten sich die Studienautoren zudem von einem weiteren Ergebnis: So dokumentierten Chalmers und Mitarbeiter in der Interventionsgruppe etwas häufiger Hautinfektionen als in der Kontrollgruppe (15% vs 11%; adjustierte RR: 1,55). Dies, so mutmaßen zumindest die Autoren, könne darauf hindeuten, dass durch die Anwendung eines Emollients Krankheitserreger besser an der Haut der Kinder hafteten oder dass das natürliche Hautmikrobiom durch die Intervention gestört sei.

 
Die Studie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.  PD Dr. Martin Hartmann
 

Außerdem traten in der Emollient-Gruppe etwas häufiger Nahrungsmittelallergien (7%, speziell Eiallergien) auf als in der Kontrollgruppe (5%; adjustiertes RR: 1,47). Allerdings muss man an dieser Stelle hinzufügen, dass weniger als ein Drittel der Nahrungsmittelallergien nach dem Goldstandard (u.a. mit oralen Provokationstests) diagnostiziert wurden.

„Entgegen der Hypothese, dass Emollients die Hautbarriere stärken und somit eine epikutane Sensibilisierung und Nahrungsmittelallergien verhindern, könnte die Verwendung der Emollients die Übertragung und Aufnahme von Nahrungsmittelallergenen verbessern“, schreiben dazu Prof. Dr. Kirsten P. Perrett und Dr. Rachel L. Peters vom Murdoch Children’s Research Institute an der Universität von Melbourne, Australien, in einem begleitenden Kommentar [3].

Mit Badeöl gegen Neurodermitis – die PreventADALL-Studie

In der zweiten Lancet-Studie fanden die Autoren um Dr. Håvard Ove Skjerven vom Oslo University Hospital in Norwegen zwar keine Sicherheitsbedenken hinsichtlich ihrer Intervention. Weniger Ekzeme verzeichneten sie aber durch die hier praktizierte Hautbehandlung auch nicht.

Die Studie Preventing Atopic Dermatitis and ALLergies in childhood (PreventADALL) ist eine bevölkerungsbasierte randomisierte Studie, die in Norwegen und Schweden durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 2.397 Neugeborene (53% Jungen, 47% Mädchen) auf 4 Gruppen (1:1:1:1) randomisiert:

  1. Kontrolle: keine spezielle Beratung zur Hautpflege (außer der Empfehlung, die nationalen Richtlinien für die Säuglingsernährung zu befolgen)

  2. Hautintervention: Eltern in dieser Gruppe sollten ihre Babys ab einem Alter von 2 Wochen mindestens 4-mal pro Woche mit einem öligen Badezusatz (mit Paraffinum liquidum und Trilaureth-4 Phosphat) baden und anschließend das Gesicht mit einer Hautpflegecreme eincremen.

  3.  Nahrungsmittelintervention: Bei den Kindern dieser Gruppe wurden übliche Nahrungsmittelallergene (Erdnuss, Milch, Weizen und Ei) im Alter zwischen 12 Wochen und 16 Wochen eingeführt.

  4.  kombinierte Haut- und Nahrungsmittelintervention

Als primärer Endpunkt diente die Diagnose einer atopischen Dermatitis im Alter von 12 Monaten.

Ist ein öliger Badezusatz eine adäquate Pflege?

Wie bereits Chalmers und Mitarbeiter so musste auch das Team um Skjerven die fehlende Wirkung der zusätzlichen Hautpflege konstatieren. So trat bei 8% der Säuglinge in der Kontrollgruppe, 11% in der Hautinterventionsgruppe, 9% in der Nahrungsmittelinterventionsgruppe und bei 5% der Babys in der kombinierten Interventionsgruppe eine atopische Dermatitis auf. Die primäre Hypothese, dass die Haut-(oder Nahrungsmittel-)Intervention die atopische Dermatitis reduzieren könnte, wurde damit nicht bestätigt.

 
Ein einfacher, öliger Badezusatz und eine Gesichtscreme ist keine adäquate Pflege für die anspruchsvolle Haut der Säuglinge. PD Dr. Martin Hartmann
 

Hartmann sieht jedoch die hier gewählte Behandlungsstrategie kritisch. „Ein einfacher, öliger Badezusatz und eine Gesichtscreme ist keine adäquate Pflege für die anspruchsvolle Haut der Säuglinge“, sagt er. Gleichzeitig könnte das hier vorgesehene, häufige Baden der Babys die Haut sogar noch zusätzlich austrocknen.

Der etwas deutlicher ausgeprägte Effekt der kombinierten Intervention könnte, so Perrett und Peters, eine zufällige Entdeckung darstellen oder darauf hindeuten, dass mehrere Präventionsstrategien synergistisch wirken. Die möglichen additiven Effekte würden auch noch weiter untersucht, wenn die Kinder 36 Monate alt sind, schreiben sie.

Compliance der Eltern war „suboptimal“

Ad acta legen möchten die beiden Kommentatorinnen die Präventionsstrategie trotz der aktuellen Studienergebnisse nicht. „Das Fehlen einer präventiven Wirkung auf die atopische Dermatitis könnte mit der Art, der Häufigkeit der Anwendung und dem Zeitpunkt des Beginns der Emollient-Anwendung zusammenhängen“, schreiben sie.

Sie berichten von vielversprechenden Ergebnissen einer weiteren Pilotstudie mit einem Ceramid-haltigen Emollient, das 2-mal täglich von Geburt an bei Hochrisiko-Kindern angewendet wird. Deren Ergebnisse würden derzeit in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie (Prevention of Eczema by a Barrier Lipid Equilibrium Strategy – PEBBLES) überprüft.

 
Welchen Wert haben die veröffentlichten Studienergebnisse, wenn drei Viertel der Eltern die Haut ihrer Kinder gar nicht erst regelmäßig entsprechend der Vorgaben behandelt haben? PD Dr. Martin Hartmann
 

Doch selbst wenn die Ergebnisse der PEBBLES-Studie vielversprechender ausfallen sollten, legten gerade die Erfahrungen aus der PreventADALL-Studie nahe, dass eine solch intensive, 2-mal tägliche Behandlung die Handhabung in der Praxis stark einschränken könnte, so Perrett und Peters.

Denn die Compliance bei den Eltern sei in der PreventADALL-Studie „suboptimal“ ausgefallen. Tatsächlich hatten nur 27% der Teilnehmer in der Hautinterventionsgruppe und 32% in der Nahrungsmittelinterventionsgruppe – laut einem wöchentlich auszufüllendem elektronischem Tagebuch – das Protokoll vollständig eingehalten. Das sei ebenfalls ein wichtiges Ergebnis der Studie so die Kommentatorinnen. Denn solche Interventionen stehen und fallen mit der Compliance der Eltern.

Für Hartmann stellt sich hier allerdings noch eine weitere Frage: „Welchen Wert haben die veröffentlichten Studienergebnisse, wenn drei Viertel der Eltern die Haut ihrer Kinder gar nicht erst regelmäßig entsprechend der Vorgaben behandelt haben?“

In der britischen Studie wurde zwar eine deutlich höhere Compliance festgehalten (88%, 82% bzw. 74% nach 3, 6 bzw. 12 Monaten). „Diese Angaben stammen allerdings aus telefonischen Selbstauskünften der Eltern“, erklärt Hartmann. Ein Umstand der erfahrungsgemäß leicht zu Verzerrungen (reporting bias) führen kann.

 

Kommentar

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