Ganz Italien ist abgeriegelt, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zu stoppen. Laut CSSE-Daten haben sich derzeit 10.149 Menschen infiziert und 631 sind gestorben. Einige Krankenhäuser befinden sich am Rande des Zusammenbruchs – vor allem über Social Media gelangen Meldungen in die Welt. Und ein Allgemeinmediziner in Florenz berichtet im Gespräch mit der britischen Ausgabe von Medscape über sein Leben in der Sperrzone.
Eine Klinik im Coronavirus-Ausnahmezustand
Erschreckende Einblicke in das tatsächliche Ausmaß gibt Dr. Daniele Macchini, chirurgischer Assistenzarzt der Klinik Gavazzini in Bergamo. Sein Bericht erschien zunächst auf Facebook, wurde aber von vielen Medien mittlerweile übersetzt und übernommen.
„Ich habe erstaunt verfolgt, wie das Krankenhaus während der vergangenen Woche umstrukturiert wurde“, schreibt Macchini. „Die Stationen leerten sich langsam, nichtdringliche Tätigkeiten wurden unterbrochen, die Intensivstation geräumt, um mehr Platz für entsprechende Betten zu haben.“
Mittlerweile sei die Situation dramatisch, dokumentiert der Arzt weiter. „Der Krieg ist losgebrochen und die Schlachten sind erbarmungslos, Tag und Nacht. Die Leute kommen reihenweise ins Krankenhaus“, 15 bis 20 pro Tag zusätzlich. „Die Diagnose ist immer dieselbe: Lungenentzündung.“ Typischerweise finde man eine hohe Körpertemperatur, Husten und Kurzatmigkeit.
Es gebe keine Unterteilung mehr nach Chirurgen, Urologen und Orthopäden. „Jedes Beatmungsgerät wird zu Gold. Beatmungsplätze in Operationssälen werden zu Intensivpflegeplätzen, die es bisher nicht gab“, so Macchini.
Er berichtet auch von der Erschöpfung der Teams: „Es gibt keine Schichten mehr, keine Stunden. Das soziale Leben ist für uns ausgesetzt.“
Bald Patienten auf dem Messegelände?
Ähnliche Nachrichten kommen aus Städten Norditaliens. In einer Halle vor dem Klinikum in Brescia testen Ärzte Patienten auf Infektionen; es gibt nur noch Pritschen. Und am Mailänder Krankenhaus Luigi Sacco wurde neben der Infektiologie die gesamte Chirurgie für COVID-19-Patienten freigeräumt. Vor Ort fehlen Virologen, Internisten, Pneumologen und Pflegekräfte.
Prof. Dr. Massimo Galli, dortiger Chefarzt für Infektionskrankheiten berichtet im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, man denke darüber nach, Patienten in Containern oder in Pavillons auf dem Mailänder Messegelände unterzubringen. „Wer meint, die Sache mit dem Coronavirus werde übertrieben, der soll bitte in unsere Abteilung kommen“, sagt Galli.
Engpässe in der hausärztlichen Versorgung
Auch ländliche Gebiete sind stark von der COVID-19-Epidemie betroffen. Berichte kommen etwa aus dem Grödnertal in Südtirol: Nur noch 2 von 6 Hausärzten sind im Dienst; die anderen befinden sich in Quarantäne oder werden stationär behandelt. Ursache war wohl ein Taxifahrer, der behandelt, aber zu spät auf SARS-CoV-2 getestet worden ist. Und viele Patienten sind nicht mobil genug, um in die nächste Praxis zu fahren, unabhängig von Coronaviren.
Leben in der Sperrzone
Angesichts dieser Hiobsbotschaften darf man eine weitere Gruppe im Krisengebiet nicht vergessen: gesunde Menschen, die aufgrund von Ausnahmeregelungen in Quarantäne sind. Zu ihnen gehört Dr. Stephen Kerr, ein in Großbritannien ausgebildeter Allgemeinmediziner, der seit 21 Jahren in Florenz praktiziert und dessen Frau Italienerin ist. Er sprach mit Medscape News UK über das Leben in der Sperrzone. Lesen Sie hier das Interview:

Dr. Stephen Kerr
Medscape: Wie hat man in Italien auf die Ausweitung der Sperrzone reagiert?
Kerr: Die Ausdehnung dieser „roten Zone“ von Norditalien auf ganz Italien war eine kleine Überraschung, und ich denke, dass viele Menschen jetzt noch mehr in Panik geraten werden. Plötzlich ist das Thema zu Hause angekommen, und es betrifft alle.
Medscape: Ist einer Ihrer Patienten positiv auf das Coronavirus getestet worden?
Kerr: Viele von ihnen sind nach Hause abgereist, darunter amerikanische Touristen, amerikanische Studenten. Touristen haben ihren Aufenthalt abgebrochen, sind nach Hause gefahren, und dann die amerikanischen Studenten, Tausende und Abertausende von ihnen, ihre Studien-Programme wurden geschlossen. Mehr oder weniger alle sind abgereist.
Medscape: Haben Sie Zugang zu allen Schutzausrüstungen und Materialien, die Sie brauchten?
Kerr: Ja, aber jetzt sind Dinge wie Masken und andere Ausrüstungsgegenstände ausverkauft. Das ist schwierig.
Medscape: Haben die italienischen Behörden schon früh genug die richtigen Schritte unternommen?
Kerr: Ich denke schon. Ich glaube, sie haben eine Menge Leute getestet. Sie haben also diese wirklich hohen Zahlen an Infizierten. Ich bin sicher, wenn anderen Länder wie Deutschland und Frankreich das Gleiche täten würden sie wahrscheinlich auch eine ganze Menge Patienten identifizieren. Ich glaube nicht, dass italienische Behörden später [für ihr Vorgehen] kritisiert werden könnten.
Medscape: Einige Experten vermuten, dass die Situation in Großbritannien jetzt so ist, wie sie vor ein paar Wochen in Italien war. Erscheint Ihnen das richtig?
Kerr: Ja. Ich bin kein Epidemiologe für Infektionskrankheiten, aber ich denke, es geht den gleichen Weg.
Medscape: Wie ist es, wenn man von Sperrmaßnahmen betroffen ist?
Kerr: Es ist erst der erste Tag. Die Straßen sind leer. Man benötigt Dokumente, wenn man von einer Stadt in eine andere reist, wenn man arbeiten muss oder wenn es einen anderen ganz bestimmten Grund gibt, zu reisen. [Dr. Kerr hat keine Hausbesuche angeboten; dies ist nicht Teil seiner ärztlichen Tätigkeit.]
Medscape: Wie ist das Alltagsleben?
Kerr: Wichtig ist, dass Sie an einem Ort bleiben. Sie benutzen Ihre lokalen Supermärkte in Ihrer eigenen Stadt, und das ist kein Problem. Wenn Sie sich entscheiden, irgendwo in ein großes Einkaufszentrum zu gehen, dann wird es irgendwann Einschränkungen geben, kann ich mir vorstellen.
Medsacpe: Was wäre Ihre Botschaft an die Ärzte, die in ähnliche Situationen geraten wie Sie? Gibt es Vorbereitungen, von denen Sie sich wünschen, dass Sie sie getroffen hätten?
Kerr: Im Nachhinein würde ich nichts anders machen. Die Regeln hier lauten, dass jemand mit Fieber und grippeähnlichen Symptomen nicht in die Arztpraxis gehen soll. Rufen Sie den Arzt an. Und dann sagt er: „Hören Sie zu, es ist besser, wenn Sie nicht in die Praxis kommen und alle anderen anstecken. Rufen Sie die Hotline der Regierung an. Dort wird man entscheiden, jemanden rauszuschicken, Sie abzuholen, Sie herzubringen und einen Abstrich machen zu lassen.“
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt, adaptiert und erweitert.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: COVID-19-Krise in Italien: Zu wenige Ärzte, Bettenmangel, zu viele Patienten – Augenzeugen berichten vom Arbeiten am Anschlag - Medscape - 11. Mär 2020.
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