Verschmutzte Luft verkürzt die Lebensdauer weltweit um durchschnittlich fast 3 Jahre, so das Ergebnis einer Studie der Universität Mainz [1]. Wissenschaftler haben mögliche Zusammenhänge zwischen der Schadstoff-Exposition und dem Auftreten von Krankheiten untersucht. Wie sie berichten, reduziert Luftverschmutzung die Lebenserwartung stärker als beispielsweise Infektionskrankheiten oder Rauchen. Die Arbeit ist in Cardiovascular Research veröffentlicht worden [1].

Dr. Thomas Münzel
„Unser Vergleich zeigt, dass Luftverschmutzung eine der Hauptursachen für vorzeitige Todesfälle und den Verlust an Lebensjahren ist. Die vorzeitige Sterbewahrscheinlichkeit wird insbesondere durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Münzel in einer Mitteilung. Er ist Direktor der Kardiologie I im Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Mitautor der Studie.
Kombination unterschiedlicher Modelle, um Effekte zu kalkulieren
Die Wissenschaftler um Prof. Dr. Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und Münzel verwendeten für ihren Vergleich ein atmosphären-chemisches Modell. Sie kombinierten die daraus stammenden Expositionsdaten mit dem Global Exposure Mortality Model (GEMM), das auf epidemiologischen Kohortenstudien basiert. Mithilfe dieser Daten wurden die Auswirkungen verschiedener Verschmutzungsquellen – darunter Feinstaub (PM2,5) und Ozon – kalkuliert.
Lelieveld und Kollegen unterschieden zwischen Emissionen natürlichen Ursprungs, etwa Waldbrände oder Wüstenstaub, und anthropogene Emissionen wie die Nutzung fossiler Brennstoffe. Basierend auf diesen Ergebnissen haben sie eine krankheitsspezifische Sterberate und den Verlust an Lebensjahren weltweit berechnet.
Luftverschmutzung verkürzt die Lebenserwartung stärker als Rauchen
Den Berechnungen zufolge führte Luftverschmutzung im Jahr 2015 weltweit zu 8,8 Millionen vorzeitigen Todesfällen. Das entspricht einer verkürzten Pro-Kopf-Lebenserwartung von 2,9 Jahren.
Verglichen damit verringert Rauchen die Lebenserwartung „nur“ um durchschnittlich 2,2 Jahre (7,2 Millionen Todesfälle), HIV (AIDS) um 0,7 Jahre (1 Million Todesfälle), parasitäre oder durch Vektoren übertragene Krankheiten wie Malaria um 0,6 Jahre (600.000 Todesfälle) und Krieg bzw. Gewalt um 0,3 Jahre.
„Luftverschmutzung übersteigt Malaria als Ursache für vorzeitigen Tod um den Faktor 19 und AIDS um den Faktor 9”, erklärt Lelieveld. Weil die Auswirkungen von Luftverschmutzung so enorm seien und weltweit Menschen davon betroffen seien, könnte man sagen, dass die Ergebnisse auf eine „Luftverschmutzungs-Pandemie“ hindeuteten.
Vor allem Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser kleiner als 2,5 μm (PM2,5) seien Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen. Denn diese Partikel könnten bis in feinste Lungenverästelungen vordringen. Ultrafeinstaub – also Teilchen, die kleiner als 0,1 μm sind – gelangen über die Lunge sofort ins Blut. Kleinstteilchen gelangen dabei auch durch die Blut-Hirnschranke ins Gehirn und könnten bestimmte Areale aktivieren, was zu akuter Blutdrucksteigerung führen könne, so Münzel.
Asien und Afrika stark betroffen
Lelievelds und Münzels Studie ist die erste Arbeit ihrer Art zu Auswirkungen von Luftverschmutzung auf die Gesundheit im Vergleich zu anderen Risikofaktoren.
So ist die durch Luftverschmutzung verursachte vorzeitige Sterblichkeit in Ostasien und Südasien am höchsten, sie liegt bei 35 bzw. 32 %. Dann folgen Afrika (11%), Europa (9%), Nord- und Südamerika (6 %) und Australien, das mit 1,5% die niedrigste Sterblichkeitsrate und die strengsten Standards zur Luftreinhaltung hat.
Die globale durchschnittliche Sterblichkeitsrate aufgrund von Luftverschmutzung wird mit durchschnittlich 120 auf 100.000 Menschen pro Jahr angegeben. In Ostasien sind es 196 pro 100.000 Einwohner und Jahr. Für Europa haben die Autoren 133 pro 100.000 Einwohner und Jahr errechnet.
Verzicht auf fossile Brennstoffe erhöht Lebenserwartung um 1 Jahr
Außerdem berichten Lelieveld und Münzel, dass sich 5,5 Millionen aller 8,8 Millionen weltweit durch Luftverschmutzung verursachten Sterbefälle pro Jahr grundsätzlich vermeiden ließen – durch den Verzicht auf fossile Brennstoffe. Solche Maßnahmen ließen die durchschnittliche Lebenserwartung weltweit um 1 Jahr steigen, schätzen die Forscher. Könnten alle anthropogenen Emissionen vermieden werden, würde die Lebenserwartung in Europa um 1,7 Jahre steigen.
Allerdings tragen nicht nur fossile Brennstoffe zur Luftverschmutzung bei, sondern auch Wald- und Buschbrände und Wüstenstaub. Rund 2 Drittel des Effekts gehen jedoch auf anthropogene Emissionen – vor allem auf die Nutzung fossiler Brennstoffe – zurück.
In Europa und Nordamerika ist neben Wärme- und Energieerzeugung der Straßenverkehr ein wichtiger Faktor für Luftverschmutzung, in Afrika und Asien dagegen die Verbrennung von Holz oder Kohle in offenen Feuern.
Die Pathomechanismen besser verstehen
Bereits im Frühjahr vergangenen Jahres hatten Münzel und Lelieveld eine Studie zu den Folgen der Luftverschmutzung in Europa veröffentlicht. Demnach sterben jedes Jahr fast 800.000 Europäer vorzeitig an Krankheiten, die in Zusammenhang mit Luftschadstoffen stehen. Solche Verunreinigungen verkürzen die Lebensdauer von Europäern im Schnitt um mehr als 2 Jahre.
„Wir verstehen mehr und mehr, dass Feinstaub in erster Linie Gefäßschäden und damit Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzrhythmus-Störungen und Herzschwäche begünstigt“, erklärt Münzel. „Daher erachten wir es als äußerst wichtig, dass Luftverschmutzung als kardiovaskulärer Risikofaktor sehr ernst genommen wird und in den Richtlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zu den Bereichen Prävention des akuten und chronischen koronaren Syndroms sowie Herzinsuffizienz ausreichend Niederschlag findet.“
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Diesen Artikel so zitieren: Mainzer Studie: Weltweit kostet die Luftverschmutzung im Schnitt 3 Lebensjahre – mehr als Rauchen oder Infektionen - Medscape - 9. Mär 2020.
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