Das Risiko für venöse Thrombembolien (VTE) ist in der Schwangerschaft 5-fach erhöht und nimmt in den ersten Wochen postpartal noch weiter zu. Welchen Frauen sollte zu einer medikamentösen VTE-Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen geraten werden?
Die Arbeitsgruppe „Women’s Health“ der Gesellschaft für Thromboseforschung und Hämostaseologie hat in einem neuen Positionspapier, vorgestellt beim GTH 2020 in Bremen, dazu Stellung bezogen [1].
Zahlreiche Risikofaktoren
„Etwa 1 bis 2 pro 1.000 Schwangere erleiden eine VTE“, berichtete PD Dr. Christina Hart vom Universitätsklinikum Regensburg. Das Risiko nimmt im Verlauf der Schwangerschaft zu und ist am höchsten in den ersten 6 Wochen postpartal. Bei 75 bis 80% der Patientinnen entwickeln sich tiefe Venenthrombosen (TVT), bei 20 bis 25% Lungenembolien (LE) oder gemischte TVT/LE.
Risikofaktoren für VTE in der Schwangerschaft oder im Wochenbett gibt es einige, darunter familiäre Disposition, Adipositas, Rauchen, künstliche Befruchtung. Den höchsten Stellenwert in der Risikobeurteilung haben angeborene Thrombophilien und Zustand nach VTE. Bei Frauen, die bereits einmal eine VTE hatten, ist das VTE-Risiko in der Schwangerschaft laut Studien rund 25-fach erhöht.
Die neuen Empfehlungen der AG „Women’s Health“ zur medikamentösen Thromboseprophylaxe bei Schwangeren, die vor der Publikation stehen, fokussieren auf die wichtigsten Risikogruppen. Berücksichtigt wurden Literaturdaten, Empfehlungen aus Leitlinien sowie die eigene Expertise der Autoren des Positionspapiers.
Prophylaxe ab VTE-Risiko von über 3 Prozent empfohlen
Die medikamentöse VTE-Prophylaxe in der Schwangerschaft und im Wochenbett werde zu einem immer größeren Thema, sagte Hart, aber es gebe dazu nur wenige Daten aus guten Studien. „Bei jeder Frau sollte das Thromboserisiko evaluiert werden, am besten vor der Schwangerschaft“, so Hart. Zudem sollten alle schwangeren Frauen über Zeichen einer VTE aufgeklärt werden, um im Fall der Fälle rechtzeitig intervenieren zu können.
Verständigt haben sich die Experten darauf, bei einem absoluten VTE-Risiko über 3% in der Schwangerschaft eine Prophylaxe mit niedermolekularen Heparinen (NMH) zu empfehlen. Bei einem solchen Risiko sei von einem klinischen Benefit auszugehen, sagte Hart.
Für die Risikoabwägung wurde die Sterberate bei einer Schwangerschafts-assoziierten VTE, rund 0,7%, in Relation zum Blutungsrisiko unter NMH gesetzt, für das vor allem Studien bei Nicht-Schwangeren herangezogen wurden. Das Risiko einer fatalen Blutung sei 2- bis 3-fach höher als das Risiko einer fatalen VTE, erklärte Hart.
Die Indikationsstellung einer medikamentösen VTE-Prophylaxe bleibt aber auch bei Überschreiten des Schwellenwerts von 3% eine individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung aller Risikofaktoren. Zudem sollte auch die Präferenz der Schwangeren erfragt werden, wird in dem Positionspapier betont. Fällt die Entscheidung für eine Prophylaxe bereits während der Schwangerschaft, sollte im ersten Trimester begonnen und die Therapie mindestens bis 6 Wochen postpartal fortgesetzt werden.
Schwangeren mit hereditärer Thrombophilie
Bei Schwangeren mit hereditärer Thrombophilie hängt das VTE-Risiko von der Ausprägung des thrombophilen Defekts ab. Bei heterozygotem Faktor V-Leiden oder Prothrombin-Genmutation (PGM) liege das absolute VTE-Risiko in einer Größenordnung von 1,2% bzw. 1,0% (ohne VTE in der Anamnese), berichtete Hart. Bei diesen Frauen werde weder in der Schwangerschaft noch im Wochenbett eine Prophylaxe empfohlen.
Kommen weitere Risikofaktoren wie eine positive VTE-Anamnese hinzu, steigt allerdings das Risiko eines VTE-Rezidivs in der Schwangerschaft auf 2,5% bis zu 7,5%, berichtete Prof. Dr. Birgit Linnemann, ebenfalls Universitätsklinikum Regensburg. Bei der Entscheidung über die Thromboseprophylaxe sei hier die Art der erstmaligen VTE relevant.
Alle Frauen mit positiver VTE-Anamnese sollten eine 6-wöchige postpartale Prophylaxe erhalten. Frauen mit idiopathischer Erst-VTE, mit VTE unter Hormoneinfluss oder in der Schwangerschaft, mit mehreren spontanen VTE-Ereignissen oder persistierenden Risikofaktoren sollten zudem bereits während der Schwangerschaft behandelt werden.
Liegt der thrombophile Defekt homozygot oder compound-heterozygot vor, betrage das VTE-Risiko 4% und mehr, bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren bis zu 14%, berichtete Hart. Eine Prophylaxe sei ratsam. Bei Frauen mit Inhibitor-Mangel (Antithrombin, Protein C, Protein S) sei die Risikovorhersage schwierig und von der genetischen Mutation und der Restenzymaktivität abhängig.
Bei schwerem Mangel, positiver Familienanamnese oder weiteren VTE-Risikofaktoren sei eine postpartale Prophylaxe empfehlenswert, in ausgewählten Fällen auch bereits in der Schwangerschaft. Empfohlen werde generell der Einsatz von NMH in prophylaktischer Dosierung (z.B. einmal täglich Enoxaparin 40 mg oder Dalteparin 5.000 IE) gegenüber der höheren intermediären Dosierung (2 x täglich).
Die Einschätzung des VTE-Risikos und die Therapieplanung sollten bei Frauen mit Kinderwunsch möglichst bereits vor Eintritt der Schwangerschaft geschehen, betonte auch Linnemann. Besonders wichtig sei die Familienplanung bei Frauen unter laufender Antikoagulation, z.B. wegen einer noch nicht abgeschlossenen VTE-Ersttherapie.
Die richtige Medikation
Orale Antikoagulanzien sind bekanntlich potentiell teratogen und in der Schwangerschaft kontraindiziert. Wenige Daten lägen bisher für NOAKs vor, berichtete Linnemann. Die Fehlbildungsrate nach NOAK-Exposition lag bei rund 5%. Frauen im gebärfähigen Alter sollten über dieses Risiko informiert und bei Kinderwunsch auf NMH umgestellt werden.
Nach Umstellung auf NMH wird während der Schwangerschaft der Einsatz intermediärer oder therapeutischer Dosierungen empfohlen. Multidose-Präparate sollte wegen der darin in der Regel enthaltenen Konservierungsmittel nicht eingesetzt werden.
Eine mögliche Alternative sei bei Frauen mit regelmäßigem Zyklus eine Fortsetzung der oralen Antikoagulation und Umstellung der Therapie nach bestätigter Schwangerschaft.
Ein Schwangerschaftsabbruch nach Exposition mit Vitamin-K-Antagonisten oder NOAKs in der frühen Schwangerschaft – bis zur 6. Woche – sei nicht gerechtfertigt, betonte Linnemann. Das Risiko für fetale Anomalien sei in dieser Phase gering.
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Diesen Artikel so zitieren: Eine individuelle Risikoabwägung: AG „Women´s Health“ gibt Empfehlungen zur Thrombose-Prophylaxe bei Schwangeren - Medscape - 5. Mär 2020.
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