Sekundäranalyse von SPRINT: Ambitioniertes Blutdruckziel bringt bis zu 3 Jahre mehr Lebenszeit

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

5. März 2020

Die SPRINT-Studie (The Systolic Blood Pressure Intervention Trial) hat im Jahr 2015 für viel Aufsehen gesorgt. Ergab sie doch, dass sich eine starke Senkung des Blutdrucks unter den bislang gültigen Grenzwert von systolisch 140 mmHg die Gesamtmortalität bei Erwachsenen mit hohem kardiovaskulärem Risiko um bis zu 27% senken kann (Medscape berichtete). Die Studie blieb umstritten, sie führte bekanntlich in den USA zu einer Absenkung der Blutdruckziele in den Leitlinien, der sich europäische Fachgesellschaften allerdings nicht anschlossen.

Nun zeigen Dr. Muthiah Vaduganathan und Kollegen vom Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA, anhand einer neuen Analyse der SPRINT-Daten plakativ, in welchem Maße Patienten von einer aggressiven antihypertensiven Therapie profitieren könnten. Nach ihren Daten kann ein systolischer Blutdruck-Zielwert von weniger als 120 mmHg statt 140 mmHg die Lebenserwartung um 6 Monate bis 3 Jahre verlängern, je nachdem, wie alt die Behandelten sind, wenn sie mit der Therapie beginnen. Ihre Arbeit ist in JAMA Cardiology erschienen [1].

 
Die Zahlen zum Gewinn an Lebenszeit bieten eine ganz andere Motivation, die Behandlung auch durchzuziehen. Prof. Dr. Oliver Vonend
 

„Die Idee hinter der Auswertung ist, dass man als behandelnder Arzt nun greifbare Aussagen für Patenten bekommt und nicht mit Hazard Ratios argumentieren muss“, erläutert Prof. Dr. Oliver Vonend im Gespräch mit Medsacpe. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie in Wiesbaden und Vorstandsmitglied der Deutschen Hochdruckliga. Er begrüßt daher die neue SPRINT-Sekundäranalyse: „Wenn Ärzte davon sprechen, den Blutdruck zu senken, fragen sich die Patienten oft, welche Vorteile sie von der Therapie erwarten können. Die Zahlen zum Gewinn an Lebenszeit bieten eine ganz andere Motivation, die Behandlung auch durchzuziehen.“

Blutdruck-Ziele: Kein neuer Impuls

Zu den Zielwerten gefragt, erklärt der Experte, dass das absolute Ziel in seinen Augen eher sekundär ist: „Wir streiten seit Jahren über Zielwerte, haben aber nur bei der Hälfte aller Patienten 140 mmHg erreicht.“

Ihm fehlt in der Arbeit der Input für höhere Werte, wie sie in der Praxis oft gemessen werden. „Interessant zu sehen wäre der Vergleich mit höheren Blutdruckwerten gewesen“, so Vonend. Dies hätte den fassbaren Benefit einer Blutdruck-senkenden Therapie für die Praxis noch eindrucksvoller gemacht. meint er.

Denn bei der Übertragung auf die Praxis sieht der Experte 2 Probleme: „In SPRINT wurden Patienten engmaschiger begleitet als das in der Praxis möglich ist, was zu einer besseren Adhärenz führt.“ Nach Ende der Studie könne sich dies aber ändern. „Wir wissen, dass sich bei antihypertensiver Medikation die Adhärenz mit der Zeit verringert.“ Dann sehe man den Benefit vielleicht nicht.

Hinzu komme die Messmethode in der Studie. Hier hatte nämlich ein Automat, unbeobachtet im Nebenzimmer, Blutdruckmittelwerte bestimmt und kein Arzt. Das unterscheide die Messung von der üblichen „Praxis-Blutdruckmessung“. Damit habe man die Weißkittel-Hypertonie (white coat hypertension) vermeiden wollen: auch ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gelte.

Sekundäranalyse der SPRINT-Studie

Zum Hintergrund: Bekanntlich wurden in die SPRINT-Studie Erwachsene aufgenommen, die 50 Jahre oder älter waren und ein hohes kardiovaskuläres Risiko hatten, aber nicht an Diabetes erkrankt waren, und einen systolischen Blutdruck zwischen 130 und 180 mmHg hatten. Die Rekrutierung fand zwischen November 2010 und März 2013 statt. Alle Patienten wurden 1:1 randomisiert den Armen mit intensiver Blutdrucksenkung (< 120 mmHg) oder Standard-Therapie (< 140 mm Hg) zugeordnet.

Die sekundäre Datenanalyse fand von Mai 2019 bis Dezember 2019 statt. Vaduganathan und Kollegen verwendeten bei ihrer Statistik altersbasierte Methoden. Diese werden häufig in anderen Bereichen eingesetzt, beispielsweise, um langfristige Überlebensvorteile eines neuen Krebsmedikaments zu belegen.

Bei der Untersuchung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen sie nur selten zum Einsatz. Durch die Anwendung altersbasierter Methoden auf die Daten von SPRINT konnte das Team den langfristigen Nutzen einer intensiven Blutdruckkontrolle abschätzen. Insgesamt schlossen sie bei der Analyse Daten von 9.361 Erwachsene ein (mittleres Alter bei der Randomisierung, 68 Jahre). 6.029 (64,4%) waren Männer.

6 Monaten bis zu 3 Jahren Lebenszeitgewinn

Die durchschnittlichen Überlebensvorteile bei intensiver Senkung versus Standard-Ziel reichten von 6 Monaten bis zu 3 Jahren. Im Alter von 50 Jahren betrug die geschätzte Restüberlebenszeit 37,3 Jahre bei intensiver Behandlung und 34,4 Jahre bei Standardbehandlung (Differenz 2,9 Jahre, 95%-Konfidenzintervall: 0,9-5,0 Jahre, p = 0,008).

Bei 65-Jährigen waren es 24,5 Jahre versus 23,3 Jahre (Differenz 1,1 Jahre, 95%-KI: 0,1-2,1 Jahre, p = 0,03). Die absoluten Überlebensgewinne nahmen mit dem Alter ab, aber die relativen Vorteile waren konsistent (4% bis 9%).

 
Unsere Post-Hoc-Analysen von SPRINT unterstützen die Überlebensvorteile einer intensiven Blutdruckkontrolle, insbesondere bei gefährdeten Erwachsenen mittleren Alters. Dr. Muthiah Vaduganathan und Kollegen
 

„Die intensive Blutdruckkontrolle verbessert die prognostizierte Überlebenszeit um 6 Monate bis 3 Jahre bei Erwachsenen mittleren und höheren Alters mit hohem kardiovaskulärem Risiko, aber ohne Diabetes mellitus“, schreiben Vaduganathan und Kollegen. „Unsere Post-Hoc-Analysen von SPRINT unterstützen die Überlebensvorteile einer intensiven Blutdruckkontrolle, insbesondere bei gefährdeten Erwachsenen mittleren Alters.“

Einschränkungen der Studie

Für ihre Berechnungen treffen die Autoren mehrere Annahmen. Sie gehen davon aus, dass Überlebensvorteile unabhängig von der Dauer der Behandlung sind. Genau das ist aus mehreren Gründen nicht gesagt. Bei antihypertensiven Therapien sinkt im Laufe der Zeit die Bereitschaft von Patienten, Medikamente einzunehmen. Das kann an der fehlenden Einsicht liegen. Hypertonie verursacht per se keine Beschwerden. Auch Nebenwirkungen führen dazu, dass die Therapietreue sinkt.

„Obwohl diese Analysen nicht in der Lage waren, die Non-Adhärenz direkt abzuschätzen, gingen wir in unseren Modellen davon aus, dass SPRINT-Teilnehmer während der Studiendauer alle Therapien verwendet haben“, so die Autoren.

 
Wir räumen ein, dass die Schätzungen der Überlebensgewinne möglicherweise zu optimistisch sind, da die Adhärenz in der realen Welt voraussichtlich geringer sein wird als während der Studie.  Dr. Muthiah Vaduganathan und Kollegen
 

„Wir räumen ein, dass die Schätzungen der Überlebensgewinne möglicherweise zu optimistisch sind, da die Adhärenz in der realen Welt voraussichtlich geringer sein wird als während der Studie, in der Medikamente kostenlos zur Verfügung gestellt wurden.“ Der finanzielle Aspekt zeigt vor allem amerikanische Probleme. Bei uns erhalten gesetzlich Versicherte alle Präparate kostenlos oder gegen eine geringe Zuzahlung. Ein Abbruch der antihypertensiven Behandlung, aus welchem Grund auch immer, würde den Überlebensvorteil jedenfalls verringern.

Ob sich alle Aussagen verallgemeinern lassen, ist aufgrund der ausgewählten Studienpopulation ebenfalls unklar. Nicht zuletzt konnten die Forscher keine Schutz- oder Risikofaktoren auf individueller Ebene berücksichtigen. „Trotz dieser Einschränkungen erleichtert unsere neuartige, altersbasierte Methode die Abschätzung des Überlebensvorteils“, fassen die Autoren zusammen.
 

Kommentar

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