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Coronavirus im Wartezimmer? „Das ist ja eine Massenhysterie!” Ein Hausarzt erzählt vom Umgang mit dem Risiko in der Praxis

Claudia Gottschling

Interessenkonflikte

4. März 2020

Weil sich das Coronavirus in Deutschland immer mehr ausbreitet, werden auch Hausärzte künftig eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Doch mit welchen Problemen müssen sie sich derzeit rumschlagen? Sind die offiziellen Empfehlungen praktikabel und fühlen sich die Ärzte gut informiert? Werden sie bereits überrannt von verängstigten Patienten? Und haben sie Angst, sich selbst anzustecken?

Dr. Jakob Berger

Diese und weitere Fragen zur Erstversorgung stellte Medscape Dr. Jakob Berger, der zusammen mit seinem Sohn eine große Hausarztpraxis in Herbertshofen bei Augsburg führt. Er schildert hier seine persönlichen Erfahrungen zur Coronavirus-Epidemie. Er hat sich aber als Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes von Schwaben auch mit vielen Kollegen ausgetauscht. Zumindest Berger lässt sich bisher nicht aus der Ruhe bringen …

Medscape: Wie wirkt sich die Coronavirus-Angst bei Ihnen im Praxis-Alltag aus?

Dr. Berger: Wir merken noch nicht viel davon, die Reaktionen halten sich sehr in Grenzen. Einige wenige Patienten haben wegen der Coronaviren angerufen.

Medscape: Und die wollten dann vorbeikommen?

Dr. Berger: Nein, sie wollten nur Auskünfte.

Medscape: Leiten Sie die Leute dann weiter ans Gesundheitsamt?

Dr. Berger: Bisher nicht. Da waren keine dabei, bei denen von der Anamnese her ein hochgradiger Verdacht einer Coronavirus-Infektion bestanden hätte. Die würde ich dann an die Telefonnummer 116 117 des kassenärztlichen Notdiensts weiterleiten. Wenn jemand sehr wahrscheinlich mit dem Virus infiziert sein könnte, dann wird man immer einen Abstrich anstreben.

Medscape: Machen Sie den dann bei sich in der Praxis oder würden Sie zu dem Patienten fahren?

Dr. Berger: Ja, natürlich könnte auch ich zu dem Patienten fahren. Aber man soll den Abstrich ja nur mit Schutzanzug und Gesichtsmaske machen, und wenn diese nicht zur Verfügung stehen, dann sollte man die Patienten an den kassenärztlichen Notdienst verweisen. Dort wird organisiert, dass Kollegen mit Schutzanzug und dem Bereitschaftsdienst-Auto zu den Verdachtsfällen nach Hause kommen und dort die Tests machen.

Medscape: Haben Sie das Gefühl, dass Ärzte von ihren Verbänden und der Politik gut informiert werden, was zu tun ist?

Dr. Berger: Von der Politik nicht so sehr, vom Robert Koch-Institut und den Verbänden schon. Die Politiker machen zwar viele Konferenzen, aber eine planvolle Vorgehensweise habe ich bisher nicht entdecken können. Aber der Hausärzteverband hat genau ausgewiesen, wie sich die Kollegen verhalten sollen. Von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) gibt es Richtlinien und von der KV auch.

 
Die Politiker machen zwar viele Konferenzen, aber eine planvolle Vorgehensweise habe ich bisher nicht entdecken können. Dr. Jakob Berger
 

Medscape: Wie schätzen Sie denn die Lage ein?

Dr. Berger: Das ist ja eine Massenhysterie. Ich sehe die Sache nicht so dramatisch. Es sterben in Deutschland in manchen Jahren mehr als 25.000 Menschen an der Grippe, die mindestens genauso gefährlich sein kann. Und trotzdem lassen sich nur 25 Prozent der Menschen dagegen impfen. Das scheint keinen so richtig zu interessieren.

Man sollte die Leute dazu aufrufen, nicht in Panik zu verfallen und den gesunden Menschenverstand einzuschalten. Und sich den Anweisungen entsprechend bei einem begründeten Verdacht einer Coronavirus-Infektion nicht in eine Praxis zu begeben, sondern anzurufen.

Medscape: Bei Ihnen kommen ja jetzt auch wahrscheinlich zurzeit viele Leute mit Erkältungssymptomen in die Praxis. Sind Sie da nicht ein bisschen nervös, dass doch einer mit COVID-19 dabei ist, der dann möglicherweise ältere Leute in Ihrer Praxis anstecken könnte?

Dr. Berger: Nein, überhaupt nicht. Wenn jemand kommt und sagt, er hat Fieber, wird er sowieso gleich in einen extra Raum gesetzt, damit er nicht im Wartezimmer seine Viren herumspuckt. Das mache ich schon immer so. Aber es gibt ja keine klinischen Anzeichen, mit denen man unterscheiden kann, ob es sich um eine Erkältung, eine Grippe oder eine Infektion mit dem Coronavirus handelt. Allerdings muss ich sagen, dass man eine Grippe schon relativ gut erkennen kann, weil sie nämlich von einer Stunde auf die andere mit Gliederschmerzen beginnt. Das ist sehr typisch und ist mir von COVID-19 so nicht bekannt.

Medscape: Würden Sie aufgrund der aktuellen Ereignisse nun eher zu einem Test greifen, um herauszufinden, ob der Patient eine Influenza- oder Coronavirus-Infektion hat?

Dr. Berger: Nur wenn ich einen ganz begründeten Verdacht hätte, dass er aus den 4 betroffenen Ländern China, Korea, Italien oder Iran kommt oder mit Personen von dort Kontakt hatte. Dann würde ich natürlich schon einen Abstrich machen. Sonst nicht. Da würde ich ja mit meiner Arbeit nicht mehr fertig werden.

Medscape: Aber womöglich wird sich die nächsten Wochen die Rückverfolgbarkeit einer Infektion und die Abgrenzbarkeit der Risikoregionen stark verwässern. Was machen Sie dann?

Dr. Berger: Dann wird es ja wärmer, und dann sollen die Viren nicht mehr so aggressiv sein, weil sie im Trockenen und Warmen nicht so gut überleben können. Wir sollten akzeptieren, dass es Sars-CoV-2 nun dauerhaft beim Menschen gibt. Dieses Virus wird uns noch längere Zeit beschäftigen. Bis es eine Impfung gibt, wird es sicher noch ein Jahr dauern. Also wird man sich an die Krankheit COVID-19 genauso gewöhnen müssen wie an die Grippe.

 
Man wird sich an die Krankheit Covid-19 genauso gewöhnen müssen wie an die Grippe. Dr. Jakob Berger
 

Medscape: Für den Fall, dass sich das Virus nun doch noch bis ins Frühjahr hinein sehr stark in Deutschland ausbreitet, werden in Ihrem Extra-Wartezimmer womöglich doch Patienten mit einer Erkältung oder Grippe und einer Coronavirus-Infektion nebeneinander auf der Bank sitzen. Könnten Sie dann mehrmals am Tag aus Ihrer Schutzkleidung rein und raus schlüpfen, oder wie stellen Sie sich das Prozedere in der Praxis vor?

Dr. Berger: Ich habe gar keine Schutzkleidung und es gibt derzeit anscheinend keine mehr. Wahrscheinlich würde ich dann auch keine anziehen. Ich bin da nicht so ängstlich. Aber es gibt schon einige Kollegen, die da nervöser sind und die sich von der Regierung im Stich gelassen fühlen. Sie fragen sich, wo sie die jetzt noch herbekommen sollen. Wir haben als Hausärzteverband zum Ausdruck gebracht, dass die Staatsregierung Schutzkleidung zur Verfügung stellen muss.

Medscape: Sind Sie enttäuscht, dass Ärzte vom Staat bisher keine Ausrüstung für die Behandlung von Coronavirus-Infizierten zur Verfügung gestellt bekommen? 

Dr. Berger: Es ist eigentlich Aufgabe jedes einzelnen Arztes solche Schutzkleidung vorzuhalten. Allerdings kann man in Zeiten einer Epidemie von uns nicht verlangen, dass wir einen großen Satz von Schutzanzügen in unserer Praxis vorrätig haben. Wir haben sowas vorher nie gebraucht. Außerdem kann ich die nur einmal benutzen. Da müsste ich einen ganzen Schrank voll haben.

Also sollte schon die öffentliche Hand dafür sorgen, dass Nachschub kommt. Aber, wie gesagt, im Großen und Ganzen halte ich von der Schutzkleidung eh nicht so viel. Ich habe ständig mit Grippekranken zu tun, da laufe ich auch nicht im Schutzanzug rum.

Medscape: Haben Sie denn von Kollegen mitbekommen, dass die in ihrer Hausarztpraxis Schutzanzüge tragen?

Dr. Berger: Nein, ich kenne keinen.

Medscape: Haben Sie das Vertrauen, dass die deutschen Ärzte und Kliniken vorbereitet sind, falls es Ausmaße wie jetzt zum Beispiel in Norditalien annimmt?

Dr. Berger: Ich denke, dass wir besser als Italien vorbereitet sind.

Medscape: Haben Sie denn Angst, sich selbst anzustecken?

Dr. Berger: Nein, ich war seit meinem 3. Lebensjahr keine Stunde krank. Ich denke, man sollte den gesunden Menschenverstand walten lassen und die Sache nicht überdramatisieren. Wenn ich sehe, wie die Lebensmittelläden leergekauft werden, dann beginnt für mich die Massenhysterie. Ich habe schon viele Leute getroffen, die sagen: Ich kann das Wort "Corona" nicht mehr hören.

 
Ich denke, man sollte den gesunden Menschenverstand walten lassen und die Sache nicht überdramatisieren. Dr. Jakob Berger
 

Medscape: Die Videos im Internet von überfüllten chinesischen Krankenhäusern und die Todesopfer unter dem Pflegepersonal und den Ärzten beunruhigen Sie nicht?

Dr. Berger: Nein. Wenn man die Zahlen in Relation setzt und rechnet, dass bei einem Milliardenvolk nun 3.000 an einer Coronavirus-Infektion gestorben sind und wir als 80 Millionen Volk jedes Jahr bis zu 25.000 Grippetote zu beklagen haben, dann sehe ich das noch nicht so dramatisch. Man soll es nicht verharmlosen, bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, aber man muss die Epidemie ins richtige Verhältnis setzen.

Medscape: Es mangelt noch sehr an Wissen über das langfristige Verhalten des Virus und auch die Folgen der COVID-19-Erkrankung ...

Dr. Berger: Ja, sicher. Man kennt das Virus noch zu wenig und auch die Krankheitsverläufe. Aber solange die meisten Infizierten überhaupt keine Krankheitserscheinungen haben, betrachte ich das Sars-CoV-2 nicht als gefährlicher als die Grippe. Da wissen wir auch jedes Jahr nicht, wie gefährlich es in der nächsten Saison sein wird.

Medscape: Wie beraten Sie denn chronisch Kranke in ihrer Praxis hinsichtlich der für sie erhöhten Risiken durch eine Coronavirus-Infektion?

Dr. Berger: Die sollen zu Hause bleiben und mit möglichst wenig Menschen Kontakt haben. Das gilt aber auch in den Hochphasen von normalen Erkältungskrankheiten und der Grippe. Für COPD-Patienten etwa, ist jede Exazerbation potenziell eine Katastrophe. Aber die sind zumindest meist gegen Grippe und Pneumokokken geimpft.

Medscape: Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Patienten nun wieder vermehrt nach Impfungen fragen?

Dr. Berger: Ich habe so viel ich konnte, gegen Grippe geimpft. Aber die hartnäckigen Impfverweigerer lassen sich auch nicht durch so eine Epidemie beeindrucken.
 

Kommentar

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