Schwangeren Frauen sollten einer neuen im Fachblatt British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Studie zufolge nach Möglichkeit keine Makrolide verordnet werden [1]. Denn im Vergleich zu Penicillinen erhöhen diese Antibiotika offenbar das Risiko kindlicher Fehlbildungen.
Diesen Schluss zieht ein Team um Heng Fan und Dr. Leah Li vom Great Ormond Street Institute of Child Health am University College London aus den Daten von mehr als 240.000 Kindern, die zwischen 1990 und 2016 in Großbritannien zur Welt gekommen sind.
Vor allem das kindliche Herz scheint gefährdet
Makrolide, die im ersten Trimester der Schwangerschaft verordnet werden, erhöhen der Beobachtungsstudie zufolge das Risiko für sämtliche Malformationen des Ungeborenen, insbesondere jedoch das Risiko für Fehlbildungen des kindlichen Herzens. Im zweiten und dritten Semester geht die Einnahme von Makroliden demnach vor allem mit einem erhöhten Auftreten genitaler Malformationen einher.
Makrolid-Antibiotika, zu denen unter anderem die Wirkstoffe Erythromycin, Clarithromycin und Azithromycin gehören, sollten daher während der Schwangerschaft besonders vorsichtig eingesetzt werden, raten der Erstautor der Studie, Fan, und seine Kollegen.
Solange neuere Daten nicht andere Ergebnisse hervorbringen, sollten Ärzte bei entsprechender Indikation schwangeren Frauen vorzugsweise ein Penicillin-Präparat oder – bei einer nachgewiesenen Penicillin-Allergie – ein anderes Antibiotikum verordnen, schreiben die Londoner Mediziner.
Auch Antibiotika-Verzicht kann für das Ungeborene riskant sein
„Antibiotika werden, wie alle Arzneimittel, in der Schwangerschaft nur mit größter Vorsicht verordnet – und zwar immer dann, wenn eine Infektion durch Bakterien vorliegt, die die Mutter oder das ungeborene Kind direkt schädigen kann“, kommentiert der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF), Dr. Christian Albring, gegenüber Medscape. Infektionen der Harnwege oder der Vagina etwa könnten zu einem vorzeitigen Blasensprung führen oder eine Frühgeburt fördern. „Hier auf ein Antibiotikum zu verzichten, würde in vielen Fällen das ungeborene Baby gefährden“, betont der in Hannover niedergelassene Gynäkologe.
Laut einer Bewertung von Makroliden durch das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (Embryotox) wirkten Makrolid-Antibiotika auf den Embryo nicht schädigend, sagt Albring. Die Daten aus Großbritannien stellten insofern eine neue Situation dar, die einer gründlichen Bewertung bedürfe.
„Die Möglichkeit, dass auch die Gesamtsituation, die zu der Makrolid-Verordnung geführt hat, das Risiko für das Kind erhöht hat, ist nicht auszuschließen. Auch dies muss noch erörtert werden“, gibt Albring zu bedenken.
Auch bei Embryotox selbst gibt man sich zunächst noch zurückhaltend. „Wir schauen uns die Studie gerade gründlich an und bewerten sie vor dem Hintergrund weiterer, bereits publizierter Studien“, schreibt die Embryotox-Leiterin, Dr. Katarina Dathe vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité auf eine Anfrage von Medscape. Bis dahin bittet sie noch um Geduld.
Gehirn der Kinder bleibt durch Makrolide offenbar unbeeinflusst
Fan und seine Kollegen griffen für ihre Kohortenstudie auf die Daten von 104.605 Kindern zurück, deren Mütter in der Schwangerschaft entweder eine Monotherapie mit Erythromycin, Clarithromycin oder Azithromycin oder aber eine Penicillin-Monotherapie erhalten hatten. Als Vergleichsgruppe dienten zum einen 53.735 Geschwister dieser Kinder und zum anderen 82.314 Kinder, deren Mütter ein entsprechendes Antibiotikum kurz vor der Empfängnis eingenommen hatten.
Die Wissenschaftler analysierten nicht nur das Risiko kindlicher Fehlbildungen durch Makrolide bei der Geburt, sondern – in einem Beobachtungszeitraum von knapp 6 Jahren – auch das von Zerebralparesen, Epilepsien, ADHS und autistischen Störungen. Für diese Erkrankungen, die auf ein Problem bei der Gehirnentwicklung hindeuten würden, fand sich jedoch keine signifikant erhöhte Gefahr durch die Einnahme der Antibiotika.
Anders sah es bei den Malformationen anderer Organe aus. Insgesamt stießen die Forscher bei 186 von 8.632 Kindern, deren Mütter zu irgendeinem Zeitpunkt der Schwangerschaft Makrolide eingenommen hatten, auf Fehlbildungen sowie bei 1.666 von 95.973 Kindern, deren Müttern man Penicillin verordnet hatte.
Vermehrt Fehlbildungen der Genitalien
Unter Berücksichtigung weiterer möglicher Einflussfaktoren errechneten die Forscher, dass – bei einer Einnahme der Antibiotika im ersten Trimester – pro 1.000 Kinder 28 (bei Makroliden) beziehungsweise 18 (bei Penicillinen) mit größeren Fehlbildungen zur Welt kommen. Besonders deutlich erhöht ist das Risiko von Makroliden hinsichtlich kardiovaskulärer Malformationen (11 Fälle gegenüber 7 bei Penicillin pro 1.000 Kinder).
Im zweiten oder dritten Trimester der Mutter hingegen konnte das Team um Fan kein derart erhöhtes Risiko mehr ausmachen. Makrolide, die zu irgendeinem Zeitpunkt der Schwangerschaft eingenommen worden waren, führten allerdings bei 5 von 1.000 Kindern zu Fehlbildungen der Genitalien. Bei der Einnahme eines Penicillins waren es 3 von 1.000 Kindern, die mit solchen Malformationen zur Welt kamen.
Fehlbildungsrisiko in absoluten Zahlen eher gering
Auch Fan und seine Kollegen betonen, dass es sich bei ihrer Analyse lediglich um eine Beobachtungsstudie handele, aus der man noch keine kausalen Schlüsse ziehen dürfe. Zudem habe man nicht eindeutig ermitteln können, ob die untersuchten Mütter die Antibiotika zu Zeitpunkten der Schwangerschaft eingenommen hätten, von denen bekannt sei, dass es sich um kritische Phasen bei der Entwicklung organspezifischer Malformationen oder Störungen des Nervensystems handele, schreiben die Forscher.
Da ihre Ergebnisse jedoch auch bei unterschiedlichen Analysemethoden weitgehend unverändert geblieben seien, geht das Team um Fan derzeit davon aus, dass die Resultate auch weiteren Überprüfungen standhalten werden.
Sollten die gefundenen Zusammenhänge tatsächlich kausaler Art sein, rechnen die Wissenschaftler damit, dass auf 1.000 Kinder, deren Mütter im ersten Drittel der Schwangerschaft mit einem Makrolid anstatt mit Penicillin behandelt wurden, 4 Kinder aus diesem Grund mit einer kardiovaskulären Fehlbildung zur Welt kommen werden.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Makrolide nur mit Bedacht in der Schwangerschaft eingesetzt werden sollten“, schlussfolgern Fan und sein Team. Bis weitere Forschungsergebnisse vorliegen, sei es daher besser, wenn möglich auf ein anderes Antibiotikum auszuweichen.
Gleichzeitig raten sie Schwangeren dazu, Antibiotika nicht voreilig abzusetzen und stets Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten. Das Risiko für die beobachteten Fehlbildungen sei vergleichsweise gering, betonen die Forscher. Unbehandelte Infektionen, so warnen sie in Übereinstimmung mit BVF-Präsident Albring, stellten eine deutlich größere Gefahr für das ungeborene Baby dar.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Cave Makrolide in der Schwangerschaft? Studie findet erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen - Medscape - 2. Mär 2020.
Kommentar