Migräne bei Kindern: Vorbeugende Medikamente wirken langfristig wohl nicht besser als Placebo

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

18. Februar 2020

Eine medikamentöse Prophylaxe der Migräne wirkt langfristig bei Kindern nicht besser als Placebo. Lediglich Propranolol und Topiramat konnten in der Kurzzeit-Prophylaxe (weniger als 5 Monate) eine signifikant bessere prophylaktische Wirkung als Placebo erzielen. Das ist das Ergebnis einer Netzwerk-Metaanalyse einer internationalen Arbeitsgruppe aus Forschern von der Harvard Medical School in Boston, USA, der LMU München, der TU München und der Universität Basel, Schweiz. Sie wurden in JAMA Pediatrics publiziert [1].

 
Unsere Studie zeigt also, dass die vorbeugende pharmakologische Behandlung von pädiatrischer Migräne mit all diesen Wirkstoffen kaum effektiver als Placebo ist. Dr. Cosima Locher
 

„Unsere Studie zeigt also, dass die vorbeugende pharmakologische Behandlung von pädiatrischer Migräne mit all diesen Wirkstoffen kaum effektiver als Placebo ist“, sagt Dr. Cosima Locher von der Fakultät für Psychologie der Universität Basel, in einer Pressemitteilung. „Wir raten dazu, den Nutzen einer medikamentösen Prophylaxe sorgfältig gegen ihre potenziellen Risiken abzuwägen“, so die Schlussfolgerung der Autorengruppe.

Zahlreiche Medikamente unter der Lupe

Eine Migräne ist bei Kindern und Jugendlichen häufig, die Prävalenz nimmt mit dem Alter von 3% (3 bis 7 Jahre) auf 8 bis 23% (11 bis über 15 Jahre) zu. Die internationale Arbeitsgruppe hat nun in ihrer Metaanalyse untersucht, welche Arzneimittel in der Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen wirksam sind.

 
Wir raten dazu, den Nutzen einer medikamentösen Prophylaxe sorgfältig gegen ihre potenziellen Risiken abzuwägen. Dr. Cosima Locher und Kollegen
 

In die Netzwerk-Metaanalyse wurden 23 Studien aus den Jahren 1967 bis 2018 mit 2.217 Patienten eingeschlossen. Davon erhielt rund ein Viertel ein Placebo (n = 519), während 1.698 Patienten z.B. mit Flunarizin, Pregabalin, Topiramat, Cinnarizin, Coenzym Q10, Riboflavin, Nimodipin, 5-Hydroxytryptophan oder Pestwurz-Wurzelextrakt behandelt worden waren. Am häufigsten wurden Valproinsäure, Propranolol und Topiramat verwendet.

Keine Langzeitwirkungen im Vergleich zu Placebo

Über den Placebo-Effekt hinaus konnte für keinen der untersuchten Arzneistoffe eine signifikante Langzeitwirkung (5 bis 6 Monate oder länger) bei den Kindern und Jugendlichen gefunden werden. Nur für Propranolol und Topiramat ließen sich kurzfristige Erfolge (weniger als 5 Monate) nachweisen.

Die Ergebnisse bestätigen die Daten der CHAMP-Studie (Childhood and Adolescent Migraine Prevention), in der kein signifikanter Unterschied in der prophylaktischen Wirkung von Topiramat, Amitriptylin und Placebo bei Kindern mit Migräne gefunden worden ist.

Ausgeprägter Placebo-Effekt bei Kindern

Die Arbeitsgruppe erklärt die Ergebnisse unter anderem damit, dass bei Kindern der Placebo-Effekt besonders ausgeprägt ist. Auch In der CHAMP-Studie erfüllten 61% der Kinder unter Placebo die Kriterien für ein Ansprechen, zeigten also eine mindestens 50%ige Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit. Bei Erwachsenen lag die Placebo-Ansprechrate in Prophylaxe-Studien im Mittel bei 22%.

Um den Placebo-Effekt exakt quantifizieren zu können, sind allerdings Vergleiche mit unbehandelten Patienten nötig. Solche Gruppen gibt es jedoch in klinischen Studien selten.

Locher und ihre Kollegen weisen zudem darauf hin, dass die Aussagekraft der Metaanalyse dadurch eingeschränkt sein könne, dass 7 der untersuchten Substanzen bei weniger als 100 Patienten geprüft worden sind.

Auch Prof. Dr. Boris Zernikow, Lehrstuhl für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, der Universität Witten/Herdecke betont im begleitenden Editorial in JAMA Pediatrics, dass diese Analyse belegt, dass es keine überzeugende Evidenz für eine medikamentöse Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen gibt [2].

 
Eine medikamentöse Migräneprophylaxe bei Kindern sollte die Ausnahme und nicht die Regel sein. Prof. Dr. Boris Zernikow
 

Weil derzeit Migräneexperten weltweit eine solche Prophylaxe bei Kindern empfehlen, fordert Zernikow sie dazu auf: „Überdenken Sie Ihre Empfehlungen und korrigieren Sie Ihre Leitlinien. Eine medikamentöse Migräneprophylaxe bei Kindern sollte die Ausnahme und nicht die Regel sein. Empfehlen Sie nichtmedikamentöse Prophylaxe-Strategien und seien Sie außerordentlich vorsichtig mit neuen und modernen aber vielleicht – bei Kindern – unnötigen Therapieansätzen wie den CGRP-Antikörpern.“

Migräne sei, so Zernikow, eine lebenslang bestehende Erkrankung, auch wenn die Attacken in einigen Fällen beim Übergang ins Erwachsenenalter verschwinden. Die Kinder müssten lernen, mit ihrer Migräne richtig umzugehen. Hierzu gehöre z.B., dass sie sportlich aktiv seien, dass sie ausreichend schlafen und dass sie lernen, auf sich und die Signale ihres Körpers zu achten.

 

Kommentar

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