Eben erst hat die Honorarkommission für ambulante ärztliche Vergütung (KOMV) dargelegt, dass es nicht zu empfehlen ist, die Abrechnungssysteme der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten (PKV) vollständig zu harmonisieren (wie Medscape berichtete). Damit könnte auch die Bürgerversicherung praktisch vom Tisch sein. Nun legt die Bertelsmann Stiftung in Sachen einheitlicher Krankenversicherung mit eigenen Berechnungen nach: Eine GKV für alle würde zu sinkenden Kassenbeiträge führen – und zwar „je nach Szenario um 0,6 bis 0,2 Prozentpunkte“.
So hat es die Bertelsmann-Stiftung in ihrer jüngsten Studie „Geteilter Krankenversicherungsmarkt“ errechnet [1]. Wenn sich die Privatversicherten nicht mehr dem solidarischen Risikoausgleich entzögen, könnten in einer gemeinsamen GKV jährlich bis zu 145 Euro an Beiträgen je Mitglied eingespart werden, ergab die Studie. Würden die Honorarverluste der Ärzte wegen des PKV-Wegfalls gegengerechnet, so betrüge die jährliche Einsparung je Versicherten immer noch 48 Euro.
Es geht um Solidarität
Die Gründe liegen auf der Hand. PKV-Versicherte verdienen durchschnittlich 56% mehr als GKV-Versicherte und zahlen deshalb entsprechend höhere Beiträge. Zudem sind PKV-Versicherte gesünder. „Unter ihnen ist der Anteil mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr mit 17 Prozent deutlich geringer als bei GKV-Versicherten (23 Prozent)“, teilt die Stiftung mit.
„Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Pflegebedürftigkeit finden sich unter gesetzlich Versicherten wesentlich häufiger als bei Privatversicherten.“ PKV-Versicherte brächten also nicht nur mehr Geld, sie kosten auch weniger. Ihre finanzielle und gesundheitliche Stärke könnte allen Krankenversicherten in Deutschland dienen, meint die Bertelsmann Stiftung. Die Rede ist von Solidarität. Aber davon ist die Krankenversicherungslandschaft weit entfernt.
„Der durchschnittliche GKV-Versicherte zahlt jedes Jahr mehr als nötig, damit sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können. Das ist der Preis dafür, dass sich Deutschland als einziges Land in Europa ein duales Krankenversicherungssystem leistet“, sagt der Gesundheitsexperte der Stiftung, Stefan Etgeton.
„Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen“, kommentiert Brigitte Mohn, Vorstand der Stiftung. „Die Aufspaltung der Krankenversicherung in einen gesetzlichen und einen privaten Zweig wird diesem Solidaranspruch nicht gerecht und schwächt den sozialen Zusammenhalt.“
Kritik von Fachärzten: „Politik gegen die Ärzteschaft“
Die Kritik an solchen Aussagen der Stiftung lässt nicht lange auf sich warten. „Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung und insbesondere die hier nun vorliegende Studie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bekanntwerden des Ergebnisses der Kommission für ein modernes Vergütungssystem (KOMV) zeigen, dass man in Gütersloh mit allen Mitteln versucht, Politik insbesondere gegen die Ärzteschaft und deren Recht auf eine freie Gebührenordnung zu machen“, erklärt Lars Lindemann, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverbandes der Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa e.V.).
Denke man an die verfassungsrechtlichen Gründe, die die KOMV gegen die Zusammenlegung der Honorarsysteme aus PKV und GKV zitiert, sieht der SpiFa keine Zukunft für eine gemeinsame Versicherung.
Kritik von der BÄK: „Zahlenspielerei“ – „ideologische Mottenkiste“
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhard, spricht im Hinblick auf die Studie von einem „Griff in die ideologische Mottenkiste“ und verweist ebenfalls auf die KOMV-Studie. Die aufgerufene Einsparung durch eine Zusammenlegung der PKV und GKV nennt er „zweifelhafte Zahlenspielereien, mit denen erneut Forderungen nach der Einführung einer Einheitsversicherung auf die politische Agenda gedrückt werden sollen.“
Zudem könnten niemals die 9 Millionen Privatversicherten „ad hoc in die GKV überführt werden“, so Reinhardt. Gar nicht thematisiert habe die Studie zudem „die über viele Jahre aufgebauten Alterungsrückstellungen der Privatversicherten, die bei einem solchen Szenario komplett entfallen würden“.
Hypothetischer Charakter der Bertelsmann-Studie
Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sieht angesichts der Studie 3 denkbare Szenarien, die allerdings wenig verbessern würden: Entweder man zahle nur die Therapien, die nachweislich wirken – dann falle die PKV als Innovationsmotor aus. Oder es würden alle Leistungen bezahlt – das wäre allerdings unbezahlbar. Oder es werde, wie in England, zwar alles bezahlt, aber nicht immer und für jeden – es würde also rationiert.
Etgeton unterdessen betont den hypothetischen Charakter der Bertelsmann-Studie. „Uns ging es darum, das Potenzial zu berechnen“, so Etgeton zu Medscape. „Und das kann man nur, wenn man von fiktiven Annahmen ausgeht.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Bertelsmann Studie: Ohne PKV würde es für alle viel billiger – Ärzteverbände widersprechen vehement - Medscape - 18. Feb 2020.
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