„Kein Mensch braucht Milch und Milchprodukte“ – US-Forscher kritisieren im NEJM zu hohe Verzehrempfehlungen

Antje Sieb

Interessenkonflikte

17. Februar 2020

Ist viel Milch zu trinken gesund? Für gesundheitliche Vorteile eines hohen Milchkonsums gebe es keine Belege, schreiben die Harvard-Ernährungsforscher Prof. Dr. Walter Willett und Prof. Dr. David Ludwig in einem aktuellen Review im New England Journal of Medicine [1]. 3 Portionen Milch und Milchprodukte täglich werden derzeit in den USA empfohlenen – die Wissenschaftler halten 0 bis maximal 2 Portionen für angemessen.

In diesem Bereich liege auch die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), sagt Prof. Dr. Bernhard Watzl vom Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, dem Max Rubner-Institut in Karlsruhe: „Niemand braucht so viel Milch und Milchprodukte, wie es die Amerikaner empfehlen.“

Milch und stabile Knochen

Milch gilt als guter Kalziumlieferant und Kalzium als wichtig für die Knochenstabilität. Wie viele Milchprodukte man im Erwachsenenalter esse, stehe in vielen Studien aber in keinem Zusammenhang mit der Knochengesundheit, schreiben Willett und Ludwig.

Das bestätigt auch Watzl: „Zwischen Knochenstabilität und Milchverzehr gibt es keinen Zusammenhang, weder positiv noch negativ. Für Osteoporose ist es nicht entscheidend, wieviel Milch Sie trinken.“

Watzl weist allerdings darauf hin, dass eine ausreichende Versorgung mit Kalzium im Kindes- und Jugendalter wichtig sein könne für ein späteres Risiko von Knochenbrüchen. Milch und Milchprodukte seien in Deutschland wichtige Lieferanten für diesen Nährstoff und deckten die Hälfte des Kalziumbedarfes ab.

 
Niemand braucht so viel Milch und Milchprodukte, wie es die Amerikaner empfehlen. Prof. Dr. Bernhard Watzl
 

Willett und Ludwig sehen hingegen keine ausreichenden Belege dafür, dass ein hoher Milchverzehr in der Jugend das spätere Frakturrisiko senkt, und halten sogar ein erhöhtes Frakturrisiko für möglich.

Die beiden US-Wissenschaftler führen in ihrem Artikel das Paradox an, dass in Ländern mit hohem Milchverzehr teilweise das Frakturrisiko deutlich höher ist als in Ländern mit niedrigem Milchverzehr. Die Gründe dafür sind bisher unklar. Auch Willett und Ludwig schreiben, dass sich mit den vorhandenen Daten kein Kausalzusammenhang begründen lasse und andere Einflussfaktoren möglich seien.

„Das Ganze ist sehr komplex, man kann nicht nur Milchprodukte-Konsum und Hüftfrakturen gegenüberstellen“, argumentiert Watzl. Auch die Vitamin-D-Versorgung sei aufgrund der geographischen Lage in den unterschiedlichen Ländern sehr verschieden. „Und die Verwertung von Kalzium ist abhängig von einer ausreichenden Versorgung mit Vitamin D.“

Außerdem können auch genetische und zahlreiche andere Faktoren bei der Entstehung einer Osteoporose eine Rolle spielen.

Milch und Krankheiten

Ob der Verzehr von Milchprodukten einen Einfluss auf das Risiko für verschiedene Krankheiten haben könnte, wird viel diskutiert. Die Studienlage ist oft uneinheitlich – ein positiver Einfluss von Milchprodukten auf das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes lasse sich aber nicht wirklich nachweisen, schlussfolgern Willett und Ludwig.

 
Für Osteoporose ist es nicht entscheidend, wieviel Milch Sie trinken. Prof. Dr. Bernhard Watzl
 

Bei Krebserkrankungen gelten Milchprodukte teils als Schutzfaktor, teils aber auch als Risiko, bestätigt auch Watzl: „Eine hohe Menge an Milch und anderen Milchprodukten ist etwas, was man in Bezug auf das Prostatakrebsrisiko nicht empfehlen kann. Das ist aber der einzige Endpunkt, wo sehr hohe Mengen solche Effekte haben. Bei Dickdarmkrebs ist bei moderatem Verzehr ein positiver Effekt nachgewiesen.“

Wenn Milch, dann welche?

Willett und Ludwig weisen auch darauf hin, dass es wenig wissenschaftliche Evidenz dafür gebe, den Konsum von fettarmen Milchprodukten bevorzugt zu empfehlen. Watzl denkt ähnlich: „Wir haben jetzt Studien, die kommen zu dem Ergebnis, dass z.B. Gewichtsstabilisierung besser funktioniert mit Vollfett- als mit Magermilchvarianten. Das hängt möglicherweise mit der Sättigung zusammen.“

 
Eine hohe Menge an Milch und anderen Milchprodukten ist etwas, was man in Bezug auf das Prostatakrebsrisiko nicht empfehlen kann. Prof. Dr. Bernhard Watzl
 

Relevant für die Gesundheit könne möglicherweise auch sein, ob Milch und Milchprodukte aus intensiver Stallhaltung oder eher aus Weidehaltung stammten, glaubt der Karlsruher Wissenschaftler. Denn viel Gras als Futter habe einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Fettsäuren in der Milch: „Es wäre eine Empfehlung, solche Milch zu konsumieren, weil sie einen höheren Gehalt an langkettigen Omega-3 Fettsäuren hat“, erklärt Watzl.

Es geht auch ohne

Milch und Milchprodukte könnten vor allem in Regionen mit schlechter Nährstoffversorgung einen wichtigen Beitrag zur Ernährung leisten. Aber: „Alle Nährstoffe aus der Milch kann man auch aus anderen Quellen bekommen“, schreiben die Autoren des aktuellen Reviews in ihrer Zusammenfassung.

Watzl will da nicht widersprechen: „Kein Mensch braucht Milch, kein Mensch braucht Fleisch. Aber es gibt ernährungsphysiologisch auch keinen Grund, auf moderate Mengen von Milchprodukten zu verzichten.“

 
Alle Nährstoffe aus der Milch kann man auch aus anderen Quellen bekommen. Prof. Dr. Walter Willett und Prof. Dr. David Ludwig
 

Allerdings könnten auch Klimaschutz und Nachhaltigkeit Argumente für einen gemäßigten Konsum von Milch und Milchprodukten liefern. Das will auch Watzl bei zukünftigen Ernährungsempfehlungen einbezogen sehen: „Mit der Überarbeitung der Empfehlungen werden wir vermehrt Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen und das hat Konsequenzen für die Mengen.“
 

Kommentar

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