„Gefährliche Liebschaften“: Mit der Zahl der Sexualpartner steigt auch das Krebsrisiko 

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

14. Februar 2020

Mit sexuell übertragbaren Infektionen (Sexually Transmitted Infections, STI) befassen sich unzählige Publikationen. Meist geht es um Jugendliche oder junge Erwachsene, um deren Risiko, um Prävention, Therapien oder um Resistenzen von Arzneistoffen. Eine Frage haben Forscher bislang kaum beantwortet: Stehen STI langfristig mit mehr Krebs oder mit sonstigen chronischen Erkrankungen in Verbindung?

Jetzt liefert eine Arbeit in BMJ Sexual & Reproductive Health neue Erkenntnisse [1]. Demnach sind 10 oder mehr Sexualpartner im Laufe des Lebens bei Frauen mit einem um 91% und bei Männern mit einem um 69% erhöhten Krebsrisiko assoziiert. Als Vergleich dienten Personen mit maximal einem Sexualpartner während des gesamten Lebens.

„Zur Feststellung der Kausalität sind allerdings Längsschnittuntersuchung erforderlich“, relativieren die Autoren um Dr. Dr. Igor Grabovac von der Medizinischen Universität Wien. Dennoch sehen sie in ihren Erkenntnissen Potenziale für die Praxis. Die Frage zur Zahl an Sexualpartnern könne Krebs-Früherkennungsprogramme ergänzen, indem sie dazu beitrage, Risikopersonen zu identifizieren. Doch dazu sei erst mehr Forschung erforderlich, um herauszufinden, ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang bestehe.

HPV, HIV, Hepatitis und Krebs: Bislang nur einzelne Fakten

Dass STI langfristig negative Folgen für die Gesundheit haben, ist nicht neu. Bei 19% bis 46% aller sexuell aktiven Frauen findet man Infektionen mit dem humanen Papillomavirus (HPV). Fast alle Fälle von Gebärmutterhalskrebs können auf HPV zurückgeführt werden. Das Virus wird aber auch bei Krebserkrankungen von Männern, etwa Mundhöhlen-, Penis- oder Analkarzinomen, als möglicher Auslöser gesehen.

Andere Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhoe erhöhen nachweislich das Risiko für Prostatakrebs – zumindest in einer Studie bei schwarzen Männern. Und Hepatitis B beziehungsweise Hepatitis C – beide auch sexuell übertragbar – werden mit einem höheren Risiko für hepatozelluläre Karzinome in Verbindung gebracht. Bei einer AIDS-Symptomatik sind das Kaposi-Sarkom sowie verschiedene Lymphome von Bedeutung. Doch haben bislang solche Studien immer nur ein bestimmtes Krankheitsbild untersucht, heißt es im Artikel.

Eignet sich die Zahl an Sexualpartnern als Risiko-Indikator?

„Es ist plausibel, dass eine größere Anzahl von Sexualpartnern im Leben älterer Erwachsener das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Geschlechtskrankheit zu erkranken, erhöht und in der Folge das Risiko, im späteren Leben gesundheitliche Komplikationen zu entwickeln“, so Grabovac und seine Koautoren.

Sie vermuten: „Da Geschlechtskrankheiten oft nicht diagnostiziert werden, könnte die Anzahl der Sexualpartner ein stellvertretendes Maß für das sexuelle Risikoverhalten darstellen.“

 
Da Geschlechtskrankheiten oft nicht diagnostiziert werden, könnte die Anzahl der Sexualpartner ein stellvertretendes Maß für das sexuelle Risikoverhalten darstellen. Dr. Dr. Igor Grabovac
 

Ältere Studien zur Assoziation der Zahl von Sexualpartnern mit dem Krebsrisiko hätten keine klaren Ergebnisse gebracht, schreiben sie. Bei einer Stichprobe schwarzer Männer, die 25 oder mehr Sexualpartner angaben, wurde eine um das 2,8-Fache höhere Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose festgestellt als bei 5 oder weniger Partnern.

Im Gegensatz dazu fand eine Studie mit kanadischen Männern, dass sich das Prostatakrebs-Risiko bei mehr als 20 Sexualpartnern im Leben sogar verringert, gemessen an Personen mit wenigen Kontakten.

Daten von knapp 6.000 Teilnehmern ausgewertet

Um die vorhandenen Wissenslücken zu schließen, haben die Forscher nun Daten der English Longitudinal Study of Ageing (ELSA), einer landesweiten, repräsentativen Studie mit älteren Erwachsenen ab 50, ausgewertet.

In den Jahren 2012/13 wurden alle Teilnehmer gefragt, wie viele Sexualpartner sie hatten. Vollständige Daten lagen bei 5.722 von 7.079 Personen vor. Das waren 2.537 Männer und 3.185 Frauen. Anschließend wurden die Kategorien 0 bis 1, 2 bis 4, 5 bis 9 oder 10 und mehr Sexualpartner gebildet.

Alle Teilnehmer bewerteten während der Studie ihren eigenen Gesundheitszustand und gaben Leiden wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen an. Das Alter, die ethnische Zugehörigkeit, der Familienstand, das Haushaltseinkommen, depressive Symptome und Lebensstil-Faktoren wie Alkohol oder Nikotin wurden bei der Basisbefragung erfasst.  

Das Durchschnittsalter lag bei 64 bis 65 Jahren (Männer/Frauen). Viele Teilnehmer waren verheiratet oder lebten in eheähnlicher Gemeinschaft (73,6% der Männer, 60,6% der Frauen), waren Nichtraucher (85,5% der Männer, 86,9% der Frauen), tranken regelmäßig Alkohol (84,0% der Männer, 69,9% der Frauen) und waren mindestens einmal pro Woche sportlich aktiv (80,2% der Männer, 74,8% der Frauen).

Von den Männern gaben 28,5% an, in ihrem Leben 0 bis 1 Sexualpartner gehabt zu haben, 29,0% hatten zwischen 2 und 4 Partner, 20,2% 5 bis 9 Partner und 22,2% hatten 10 oder mehr Partner. Bei den Frauen betrugen die entsprechenden Zahlen 40,8% (0 bis 1), 35,5% (2 bis 4), 15,8% (5 bis 9) und 7,8% (10 oder mehr).

Risiko um bis zu 91% erhöht

Bei der Analyse aller Daten ergab sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl der Sexualpartner im Leben und dem Risiko einer Krebsdiagnose bei beiden Geschlechtern:

  • Im Vergleich zu Frauen, die 0 bis 1 Sexualpartner angaben, war die Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose bei Frauen mit 10 oder mehr Sexualpartnern um 91% höher.

  • Bei den Männern mit 2 bis 4 Sexualpartnern war die Wahrscheinlichkeit um 57% höher als bei Männern mit 0 bis 1 Sexualpartner.

  • Bei Männern, die 10 oder mehr Sexualpartner angaben, waren es 69% mehr, gemessen an der Gruppe mit 0 bis 1 Sexualpartner.

Während die Zahl der Sexualpartner bei Männern nicht mit sonstigen chronischen Leiden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zusammenhang gebracht werden konnte, gab es bei Frauen signifikante Assoziationen: Studienteilnehmerinnen, die 5 bis 9 oder 10 und mehr Sexualpartner hatten, litten um 64% wahrscheinlicher an chronischen Erkrankungen (beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen) als Personen in der Gruppe mit 0 bis 1 Sexualpartnern.

Eine Erklärung für den geschlechtsspezifischen Unterschied sei jedoch schwierig, kommentieren die Autoren, vor allem angesichts der Tatsache, dass Männer mehr Sexualpartner hätten, Frauen aber häufiger zum Arzt gingen.

Stärken und Schwächen der Arbeit

Als Stärken nennen die Autoren die Größe ihrer Kohorte. Allerdings handelt es sich um eine Beobachtungsstudie, die keine Kausalität belegen kann. Und Angaben per Fragebogen sind häufig nicht korrekt. „Dennoch stimmen unsere Ergebnisse mit denen früherer Studien überein (…)“, so die Forscher. Details, um welche Krebserkrankungen es sich handelt, können sie nicht nennen.
 

Kommentar

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