Eine Senkung des Blutdrucks in den Normbereich schützt das Gehirn vor kognitivem Abbau – dafür gab es bereits Belege. Nun hat eine Metaanalyse außerdem nachgewiesen: Bei älteren Menschen geht eine antihypertensive Behandlung selbst dann mit einem verringerten Demenzrisiko einher, wenn der Blutdruck weiterhin nicht optimal eingestellt ist.
Fast jeder Zweite im Alter über 60 Jahre hat erhöhten Blutdruck, erinnert die Deutsche Gesellschaft für Neurologie DGN in einer Mitteilung zur aktuellen Studie. Und Prof. Dr. Richard Dodel, DGN-Experte für dementielle Erkrankungen, kommentiert: „Wir wissen nun, dass diese Menschen durch die medikamentöse Blutdrucksenkung nicht nur ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verringern können, sondern auch das Risiko, später an Demenz zu erkranken. Dieses Präventionspotenzial sollte unbedingt ausgeschöpft werden.“
Strenge Blutdruckkontrolle hält das Gedächtnis fit
Wichtige Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Blutdruck und Hirnleistung habe schon die 2019 publizierte SPRINT MIND-Studie gebracht, erläutern Dr. Jie Ding von den National Institutes of Health in Baltimore und seine Kollegen. Demnach mindert eine strengere Blutdruckkontrolle – unter 120 mmHg statt lediglich unter 140 mmHg – das Risiko einer Kombination von kognitiven Störungen signifikant, nämlich von leichten Beeinträchtigungen und Demenz.
Andere Studien kamen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen, zudem variierten Methoden und Teilnehmer erheblich, was zuverlässige Schlussfolgerungen erschwerte. Vor allem fehlten Belege, ob bestimmte Medikamente einer Demenz eventuell besser vorbeugen als andere.
Um solche Resultate nachzuliefern, wählte das Team aus der Datenbank PubMed 6 große prospektive Kohortenstudien aus, darunter so bekannte wie die Framingham-Herz-Studie, die Honolulu-Asia-Aging-Studie, die Rotterdam-Studie und die Drei-Städte-Studie.
Die zwischen 1987 und 2008 erhobenen Daten stammten aus Frankreich, Island, den Niederlanden und den USA. Die insgesamt knapp über 31.000 Teilnehmer waren zu Beginn über 55 Jahre alt – im Mittel 60 bis 77 – und nicht an Demenz erkrankt. Viele hatten jedoch andere altersbedingte Erkrankungen, was die Situation in der Allgemeinmedizin widerspiegelt, wie die Autoren anmerken.
33% bis 62% des Studienkollektivs nahmen blutdrucksenkende Medikamente. Je nachdem ob ihre Werte unter oder über 140/90 mmHg lagen, wurden sie in 2 etwa gleich große Gruppen stratifiziert. Dabei gehörten zu den Normotikern sowohl jene, die von vornherein keine Therapie brauchten, als auch jene, deren ursprünglich erhöhte Werte dank Antihypertensiva ein günstiges Niveau erreicht hatten.
In puncto Hirnschutz schenken sich die Medikamente wenig
Während der medianen Beobachtungszeit von 7 bis 22 Jahren entwickelte sich bei insgesamt 3.728 Personen eine Demenz, davon bei 1.741 eine Alzheimer-Demenz. Für die Gruppe mit Bluthochdruck galt: Im Vergleich zu unbehandelten Patienten war das Risiko für Demenz allgemein bei behandelten signifikant um 12% geringer (HR: 0,88) und speziell für Alzheimer um 16% (HR: 0,84).
Dabei machte es keinen Unterschied, welche der 5 großen Arzneimittelgruppen sie verwendeten, ob ACE-Hemmer, Diuretika, Sartane, Betablocker oder Kalzium-Antagonisten. „Diese Daten ergänzen die jüngsten WHO-Richtlinien zur Senkung des Demenzrisikos und sind ein Hinweis darauf, dass primär die Blutdrucksenkung und nicht ein bestimmtes Antihypertonikum für den Hirnschutz sorgt“, schreiben Dr. Ruth Peters von der Universität Sydney und ein Kollege in ihrem Lancet-Kommentar.
Jüngere Menschen mit ApoE-Risikogen profitieren besonders
In Übereinstimmung damit waren bei Teilnehmern mit normalem Blutdruck die Risiken für allgemeine und für Alzheimer-Demenz unabhängig davon, ob sie diese Medikamente einnahmen oder nicht.
Statistisch sind nach DGN-Angaben 50% bis 70% der Demenzpatienten dem Typ Alzheimer und 15% bis 25% der vaskulären Form zuzuordnen. In Deutschland leben damit zur Zeit etwa 1,2 Millionen Menschen, jährlich kommt es zu schätzungsweise 244.000 Neuerkrankungen.
Besonders präventiv wirkte eine Behandlung bei Personen, bei denen gleichzeitig eine Hypertonie und das Allel APOE ε4 vorlag, der bedeutsamste genetische Risikofaktor für Alzheimer: Im Vergleich zu Hochdruckpatienten ohne Therapie war ihr Demenzrisiko sogar um 23% verringert (HR: 0,77).
Auch speziell für Alzheimer bestand ein geringeres Risiko, wenn auch nicht signifikant (HR: 0,82). Trägern von APOE ε4 mit Normaldruck brachte eine Medikation kognitiv keinen Gewinn.
Blutdrucksenkung nützt – selbst wenn sie unvollkommen ist
Ebenso profitieren innerhalb der Hochdruckgruppe jüngere Teilnehmer offenbar stärker von Antihypertensiva als ältere. Zum Beispiel betrug bei einem Alter unter 75 Jahre die HR für Demenz 0,79, über 75 Jahre 0,91. Das heißt: Die Blutdrucktherapie senkte das Demenzrisiko bei den unter 75-Jährigen um 21% , bei den über 75-Jährigen dagegen nur noch um 9%. Bei normalem Blutdruck waren die HRs für Demenz und Alzheimer in allen Altersgruppen ähnlich, egal ob der normale Blutdruck per se bestand, oder durch eine antihypertensive Therapie erzielt worden war.
„Unsere Analysen legen nahe, dass selbst eine relative Senkung innerhalb eines hypertensiven Bereichs Personen mit hohem Blutdruck zugute kommt“, betonen die Autoren. Klinische Leitlinien für die Behandlung der Hypertonie sollten künftig die positive Wirkung von Blutdruckmitteln auf das Demenzrisiko berücksichtigen, schlagen sie vor.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Jeder mmHg weniger kommt offenbar der Hirnleistung zugute – selbst wenn die Werte weiterhin nicht optimal sind - Medscape - 13. Feb 2020.
Kommentar