HIV-Arznei oder Stuhltransplantation: Forscher testen bekannte Strategien bei Covid-19 – diese Ansätze haben Potenzial

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

11. Februar 2020

Die aktuelle Corona-Bilanz: über 43.000 Infizierte, über 1.000 Tote und über 4.000 Menschen mit erfolgreicher Genesung (Stand: 11. Februar 2020, 8 Uhr). Diese Zahlen werden vom Center for Systems Science and Engineering der John Hopkins University Baltimore ständig aktualisiert. Der Anstieg der Fallzahlen hat sich zwar verlangsamt. Es erkranken aber mehr Menschen außerhalb Chinas. Die Strategie, große Städte unter Quarantäne zu stellen, ging nur teilweise auf. Therapien oder Impfstoffe gibt es bekanntlich bislang nicht.

Doch die Forschung arbeitet auf Hochtouren. Um sich einen Überblick zu verschaffen, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Expertentreffen einberufen: Vom 11. bis zum 12. Februar 2020 diskutieren Vertreter der Wissenschaft, der Verwaltung, der Politik und der Forschungsförderung den aktuellen Stand zur Diagnostik, Therapie und Prävention.

Etablierte Wirkstoffe in neuem Licht betrachtet

Ein Blick in die Labors zeigt: Die Forscher haben mit mehreren Herausforderungen zu kämpfen. Es gibt keine etablierten Tiermodelle, um Infektionen mit 2019-nCoV und vor allem Wirkstoffe zu untersuchen. Auch gilt die Familie der Coronaviren als heterogen. Proteine sind wenig konserviert, und Hemmstoffe wirken nicht zwangsläufig bei allen Vertretern.

Doch die Zeit drängt. Deshalb arbeiten Wissenschaftler mit einer anderen Strategie. Sie untersuchen virustatische Wirkstoffe, die man von HIV, Ebola, MERS oder SARS kennt. Meist gibt es umfangreiche Daten zur Sicherheit und Verträglichkeit.

Bei klinischen Studien lässt sich die Phase 1 mit gesunden Probanden überspringen; man untersucht Pharmaka gleich in Phase 2 auf ihre Wirksamkeit gegen Infektionen mit neuartigen Coronaviren. Als Endpunkte werden nicht nur die Symptome, sondern auch die Viruslast im PCR-Test erfasst. Die wichtigsten Projekte führen wir hier auf.

Lopinavir-Ritonavir und Umifenovir

Die Fixkombination Lopinavir-Ritonavir (LPV/RTV, Kaletra®) ist in der EU zur Therapie von HIV-Infektionen bei Kindern ab 14 Tagen und bei Erwachsenen zugelassen. Beide Moleküle wirken als Protease-Inhibitoren und verhindern so die Virus-Replikation.

In China gibt es eine Studie, für die 160 Patienten mit 2019-nCoV-Infektion rekrutiert werden sollen. Details findet man im Chinese Trial Register, ID 48684. Von allen Teilnehmern erhalten 80 randomisiert Lopinavir-Ritonavir plus Interferon-α2b. Weitere 80 Personen werden konventionell, also rein symptomatisch, behandelt. Alle Teilnehmer müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Als Zeitraum zwischen den ersten Symptomen und der Aufnahme werden 10 Tage genannt.

Eine andere Studie, die in ClinicalTrials.gov unter NCT04252885 zu finden ist, untersucht die Wirkstoffkombination ebenfalls. 125 Patienten werden im Verhältnis 2:2:1 randomisiert. Sie erhalten LPV/RTV, Umifenovir (Arbidol®) oder eine symptomorientierte Standardbehandlung. Umifenovir hemmt zumindest bei Influenza die Fusion zwischen dem viralen Capsid und der Zellmembran der Zielzelle. Dies verhindert, dass Viren in Zielzellen eindringen und schützt sie vor Infektionen. Laut Handelsblatt spendet AbbVie als Hersteller Kaletra® für klinische Studien.

Umifenovir wird aber auch allein untersucht (ID 49165). Den Wirkstoff erhalten 190 Patienten, und weitere 190 werden als Kontrollen nur symptomorientiert behandelt.

Remdesivir

Auch Remdesivir (GS-5734) hat eine Vorgeschichte. Es wurde von Gilead Sciences ursprünglich als Virostatikum gegen Ebola- und Marburg-Virus-Infektionen entwickelt. Der Wirkstoff hemmt die virale RNA-Polymerase und verhindert so die Virus-Replikation in infizierten Zellen.

Bislang existieren vor allem Ergebnisse zur Wirkung gegen MERS, nämlich aus In-vitro-Tests und aus Mausstudien. Remdesivir war prophylaktisch und therapeutisch wirksamer als die Fixkombination LPV/RTV. Es hemmte die virale Replikation deutlich stärker.

Laut Wall Steet Journal plant Gilead den experimentellen Einsatz in China.

Darunavir-Cobicistat

Aus der HIV-Therapie kommt die Fixkombination Darunavir-Cobicistat (Rezolsta®, Prezcobix®). Seit 2014 gibt es eine Zulassung in der EU. Darunavir wirkt als Protease-Inhibitor. Cobicistat hemmt das Cytochrom-P450 CYP3A und verlangsamt damit die Metabolisierung von Darunavir.

Johnson & Johnson plant laut Wall Street Journal ebenfalls Untersuchungen in China. 

Steroide

Wegen deren entzündungshemmender und immunsupprimierender Wirkung interessieren sich Forscher beim 2019-nCoV auch für Steroide. Im Rahmen einer Multicenter-Studie (NCT04244591) erhalten Patienten 1:1 randomisiert entweder Methylprednisolon oder eine symptomorientierte Behandlung.

Was die Erwartungen allerdings stark dämpft: Ältere Übersichtsarbeiten zur SARS-Therapie aus dem Jahr 2006 zeigten keine klaren Effekte. Es gibt aber Hinweise auf Nebenwirkungen.

Stammzelltherapien

In China läuft außerdem eine Studie zur Therapie mit mesenchymalen Stammzellen mit 40 Patienten. 20 von ihnen erhalten 3 Stammzell-Infusionen, weitere 20 werden symptomorientiert behandelt. Die klinischen Symptome, die pulmonale Bildgebung, die Nebenwirkungen, die 28-Tage-Sterblichkeit sowie immunologische Merkmale werden während der 90-Tage-Nachbeobachtung ausgewertet.

Stammzellen sollen, so die Hypothese, pulmonale Regenerationsprozesse beschleunigen.

Stuhltransplantationen

Auch das Darm-Mikrobiom ist Thema klinischer Studien (NCT04251767). „Es besteht eine wichtige Verbindung zwischen dem Darmtrakt und dem Atemtrakt, was durch Darmkomplikationen bei Atemwegserkrankungen und umgekehrt veranschaulicht wurde“, schreiben die Autoren im Protokoll. Als Auslöser schwerer Symptome sehen sie frühere Antibiotika-Therapien mit negativen Folgen für die Darm-Mikrobiota.

Im Experiment erhalten 40 Patienten 1:1 randomisiert entweder aufbereitete Darm-Mikrobiota oder Placebo über eine Nasensonde.

Ergebnisse bald zu erwarten

Dass die Zeit drängt, zeigen auch Studienprotokolle. Viele Ergebnisse sollen bereits zwischen April und Juli 2020 veröffentlicht werden. Das geschieht über Portale wie ClinicalTrial.gov ohne Peer-Review-Verfahren. Ärzte können zeitnah mit Daten rechnen. Wie lange die 2019-nCoV-Epidemie noch dauern wird, kann derzeit niemand sagen.

 

Kommentar

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