Erstmals wurden jetzt Flavonole, die Bestandteile vieler Obst-, Gemüse- und Teesorten sind, mit einem deutlich geringeren Risiko für die Entwicklung von Alzheimer-Demenz (AD) in Verbindung gebracht. Eine entsprechende Studie wurde in der Zeitschrift Neurology veröffentlicht [1]. Einige Experten fordern jedoch eine gesunde Skepsis bei der Interpretation der Ergebnisse.
Forscher des Rush University Medical Center in Chicago, USA, haben festgestellt, dass bei Menschen, die über die höchste Konzentration der Flavonole Kaempferol, Isorhamnetin und Myricetin in ihrer Ernährung berichteten, die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Morbus Alzheimer erkrankten, um 48% niedriger war als bei denen, die die niedrigsten Mengen dieser Nahrungsbestandteile zu sich nahmen.
Grünkohl, Bohnen, Spinat, Äpfel, Olivenöl und Tomatensauce gehören zu den Quellen, die am reichsten an diesen Flavonolen sind. „Essen Sie Obst und Gemüse, insbesondere grünes Blattgemüse, und trinken Sie hin und wieder etwas Tee. Eine gesunde Ernährung, die verschiedene Obst- und Gemüsesorten enthält, ist entscheidend für die weitere Gesundheit, vor allem für die Hirngesundheit“, sagte Studienleiter Dr. Thomas M. Holland vom Rush Institute for Healthy Aging gegenüber Medscape Medical News.
Neue Forschung
Es ist bekannt, dass eine Reihe von Flavonoiden, einschließlich der Flavonole, antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften haben. Frühere Forschungen haben die Gesamtaufnahme von Flavonoiden mit einem geringeren Risiko für Alzheimer Verbindung gebracht.
Zum Beispiel berichteten die Forscher der Nurses' Health Study über bessere kognitive Werte bei Frauen mit höherem Flavonoid-Konsum. Darüber hinaus bringen Tierstudien eine höhere Flavonolzufuhr mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung einer Demenz in Verbindung. Bislang wurden aber die potenziellen kognitiven Vorteile der Flavonole beim Menschen kaum erforscht.
Um diese Forschungslücke zu schließen, untersuchten Holland und sein Team 921 Teilnehmer des laufenden Rush Memory and Aging Project (MAP), das 1997 begonnen hat und Senioren, die in der Gegend von Chicago leben, einschließt. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 81 Jahre und alle waren zu Beginn der Studie demenzfrei.
Die Mehrheit (75%) der Studienteilnehmer waren Frauen. Alle Teilnehmer unterzogen sich jährlichen neurologischen Tests. Validierte Fragebögen zur Häufigkeit von verwendeten Nahrungsmitteln wurden verwendet, um die Ernährung der Probanden zu beurteilen.
Insgesamt 220 Teilnehmer entwickelten über eine durchschnittliche Nachbeobachtungszeit von 6 Jahren eine Alzheimer-Erkrankung. Nachdem die Daten auf Alter, Geschlecht, Bildung, ApoE 4,4 und ApoE 3,4 (sie werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht, an Alzheimer zu erkranken), kognitive Aktivität im höheren Alter und körperliche Aktivität adjustiert waren, zeigte sich, dass diejenigen, die im höchsten Quintil der Flavonol-Aufnahme lagen, ein 48% geringeres Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung aufwiesen als Personen, deren Aufnahme im untersten Quintil lag.
3 von 4 einzelnen Flavonolen wurden mit einer Verringerung des Alzheimer-Risikos in Verbindung gebracht. Im Vergleich zu Personen im untersten Quintil der Flavonol-Aufnahme zeigten beispielsweise diejenigen, die die höchsten Level von Kämpferol konsumierten, eine 50%ige Risikoreduktion. Die hohe Aufnahme von Isorhamnetin und Myricetin war jeweils mit einer 38%igen Risikoreduktion verbunden.
Lediglich die ernährungsbedingte Aufnahme von Quercetin war nicht mit einem wesentlich reduzierten Risiko für eine Alzheimer-Erkrankung verbunden.
Top-Quellen für Flavonole
Grünkohl, Bohnen, Tee, Spinat und Brokkoli waren die Hauptnahrungsquellen für Kaempferol. Tee, Wein, Grünkohl, Orangen und Tomaten führten die Liste für Myricetin an. Birnen, Olivenöl, Wein und Tomatensauce wurden mit der höchsten Aufnahme von Isorhamnetin in Verbindung gebracht. Die wichtigsten Quellen für Quercetin waren Tomaten, Grünkohl, Äpfel und Tee.
„Diese Liste ist jedoch nicht vollständig“, sagt Holland. Die gesamten Flavonol-Quellen umfassen mehr als 30 verschiedene Obst- und Gemüsesorten sowie Getränke wie Tee, die positiv mit einem verringerten Risiko für eine Alzheimer-Demenz assoziiert werden, merkt er an.
„In unserer Studie wurde aufgrund des Gesamtkonsums das Flavonoid-Profil von Schwarztees verwendet. Dennoch hat auch grüner Tee eine solide Flavonol-Konzentration“, sagt er.
Weitere Einflussfaktoren
Die Wissenschaftler führten eine Reihe von Anpassungen durch, um andere potenzielle Beteiligte an ihren Ergebnissen auszuschließen. Sie fanden z.B. heraus, dass die Zufuhr von Vitamin E, gesättigten Fetten, Folat, Leutin und Omega-3-Fettsäuren die Beurteilung des Alzheimer-Risikos nicht wesentlich änderte.
Sie stellten zudem fest, dass Komorbiditäten wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall keinen merklichen Einfluss auf die Ergebnisse hatten. Ebenso zeigte die Analyse, dass ein höherer Body-Mass-Index und eine Depression das Alzheimer-Risiko nicht erhöhten.
Die einzige statistisch signifikante Veränderung der Wirkung zeigte sich beim Geschlecht. Die Gesamtaufnahme von Flavonolen war bei Männern (Quintil 5 [Q5] vs Q1: Hazard Ratio: 0,24; 95%-Konfidenzintervall: 0,08-0,76) stärker als bei Frauen (Q5 vs Q1: HR: 0,59; 95%-KI, 0,35-0,99).
Nur ein Teil des Puzzles
„In dieser gesellschaftsbasierten prospektiven Studie an älteren Menschen fanden wir Hinweise darauf, dass eine höhere Flavonol-Aufnahme über die Nahrung, insbesondere Kaempferol und Isorhamnetin, vor der Entwicklung einer Alzheimer-Demenz schützen könnte. Die Assoziationen waren unabhängig von vielen Ernährungs- und Lebensstilfaktoren und kardiovaskulären Erkrankungen“, schreiben die Forscher.
Holland sagt, die Assoziation von Flavonolen mit einem verringertem Alzheimer-Risiko habe ihn nicht überrascht. „Ich war jedoch angenehm überrascht, dass die prozentuale Reduktion des Risikos so stark war“, sagt er. „Es ist allgemein bekannt, dass die in diesen Lebensmitteln enthaltenen Vitamine und Mineralien wichtig sind. Aber wir verstehen jetzt, dass es die gesamte Zusammensetzung der Lebensmittel ist, einschließlich der bioaktiven Stoffe, wie z.B. Flavonole, die diese Lebensmittel so nützlich machen.“ Die Forscher betonen aber, dass die Ergebnisse nur Assoziationen sind und keine Kausalzusammenhänge belegen.
Die aktuellen Ergebnisse bauen auf einer früheren Studie auf, die ebenfalls von Forschern der Rush-Universität durchgeführt wurde und in der Kaempferol in grünem Blattgemüse mit einer langsameren Rate des kognitiven Verfalls in Verbindung gebracht worden war.
Die Hauptautorin dieser Studie war Dr. Martha Clare Morris, die auch Hollands Mentorin ist. Sie führte eine 2015 veröffentlichte Studie durch, die die MIND-Diät (eine Mischung aus der mediterranen Ernährung und der DASH-Diät zur Blutdrucksenkung, Dietary Approaches to Stop Hypertension) mit einem geringeren Risiko für kognitive Beeinträchtigungen in Verbindung brachte.
„Meine Forschung ist ein Teil des Ernährungspuzzles“, sagt Holland, „wobei die Ernährung ein großer Bestandteil eines gesunden Lebensstils ist zu dem auch, aber nicht nur körperliche, soziale und kognitiv stimulierende Aktivität, guter Schlaf und Stressabbau gehören.“
In Zukunft wollen Holland und seine Kollegen ihre Ergebnisse durch andere prospektive Kohortenstudien bestätigen, die eine vielfältigere Studienpopulation aufweisen. Darüber hinaus wäre eine klinische Studie zur Feststellung der Wirkung „recht wertvoll und informativ“, sagt er.
Obwohl die Forscher glauben, dass die antioxidative und entzündungshemmende Wirkung von Flavonolen hinter der Verringerung des Alzheimer-Risikos steckt, „ist es unerlässlich zu klären, über welche spezifischen biologischen Mechanismen Flavonole in unserem Körper wirken“, betont Holland.
Skepsis angebracht – die „kleinen Dinge des Lebens“
Dr. Thomas Vidic, Neurologe an der Elkhart Clinic in Indiana und Fellow der American Academy of Neurology, kommentiert die Ergebnisse für Medscape Medical News und bezeichnete die Forschung als gute „Konzeptstudie“.
„Es gibt viele Einschränkungen, wie in dem Artikel dargelegt“, fügt er hinzu. „Aber das Gesamt-Thema stimmt sehr gut mit der Botschaft überein, die wir seit Jahren vermitteln – richtig essen und sich bewegen. Da pharmazeutische Optionen zur Prävention von Alzheimer derzeit nicht realisierbar sind, müssen wir die ‚kleinen Dinge des Lebens‘ richtig machen.“
Auch Dr. Gunter Kuhnle, Professor für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Universität Reading, Großbritannien, kommentiert die Studie: „Die Wirkungsweise von Flavonolen ist nicht bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass die beobachteten Assoziationen einfach auf ein Ernährungsmuster zurückzuführen sind, das reich an bestimmten Lebensmitteln und Gemüse ist,“
„Eine Risikoreduktion von fast 50 Prozent ist natürlich beeindruckend, aber es gibt derzeit keine Daten, die darauf hindeuten, dass Flavonole als Verbindung eine solche Wirkung haben könnten“, gibt Kuhnle zu bedenken. Es sei wichtig, zu berücksichtigen, dass auch andere Ernährungskomponenten zu den in der Arbeit beobachteten Vorteilen beigetragen haben könnten.
„Es gilt der Ratschlag, dass Bewegung und eine gesunde, an Gemüse reiche Ernährung wahrscheinlich das Risiko einer Alzheimer-Krankheit zusammen mit anderen Gesundheitsproblemen reduziert“, sagt Prof. Dr. David Curtis, vom University College London, in einer Veröffentlichung. „Aber auf der Grundlage dieser Studie würde ich die Menschen nicht dazu drängen, mehr Tee zu trinken oder mehr Grünkohl zu essen.“
„Demenz stellt ein riesiges Problem für die öffentliche Gesundheit dar“, fügt er hinzu, „und es ist wichtig, dass angemessene Mittel für die Weiterverfolgung vielversprechender Erkenntnisse wie dieser bereitgestellt werden.“
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Hüter des Geistes: Flavonole aus Obst, Gemüse und Tee könnten vor Alzheimer schützen - Medscape - 7. Feb 2020.
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