Adipositas-Chirurgie hat bei Jugendlichen positive Wirkungen auf Gewicht und körperliche Verfassung – dafür gibt es eine zunehmende Evidenz. Doch geht es den Patienten dadurch auch seelisch besser?
Nein, sagt eine neue Studie im Lancet Child & Adolescent Health, die operierte und nicht-operierte junge Patienten vergleicht [1]: Vor der Operation bestehende seelische Symptome bildeten sich trotz Gewichtsabnahme in beiden Gruppen nicht wesentlich zurück. Allerdings verbesserte sich in der OP-Gruppe das Selbstwertgefühl.
Patienten sind häufig psychisch belastet
Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ist ein weltweit zunehmendes Problem. Verhaltens- und Pharmakotherapie zeigen bei vielen Patienten keine guten Effekte. Zunehmend werden daher bariatrische Operationen wie die Herstellung eines Schlauchmagens oder ein Magen-Bypass angewandt.
„Viele Betroffene haben aber auch seelische Symptome“, schreiben die Autoren der Studie um Dr. Kajsa Järvholm von der Abteilung Kindliche Adipositas im Universitätskrankhaus Malmö, „doch es ist wenig darüber bekannt, inwiefern eine Adipositas-OP diese beeinflusst.“
Die Studie vergleicht 81 adipöse Jugendliche (13 bis 18 Jahre, durchschnittlicher BMI: 45), die sich einer OP unterzogen, mit 80 adipösen Jugendlichen (durchschnittlicher BMI: 42), die eine herkömmliche Behandlung erhielten. Die Zuteilung zu den Gruppen war nicht zufällig, sondern durch die Entscheidung der Betroffenen bedingt. Beide Gruppen waren gematcht hinsichtlich Alter, Geschlecht und BMI – einem 15-Jährigen mit BMI 41 in der Interventionsgruppe entsprach also eine ähnliche Person in der Kontrollgruppe.
Die seelischen Beschwerden wurden mit validierten Fragebögen (u.a. Rosenberg Self-Esteem RSE und Mood Adjective Checklist MACL) erhoben – einmal vor, 1 Jahr, 2 Jahre und 5 Jahre nach der OP. Zudem wurde erfasst, ob die Patienten sich zu diesen Zeitpunkten wegen einer psychiatrischen Diagnose in Behandlung befanden oder Psychopharmaka nahmen.
Einnahme von Psychopharmaka steigt sogar an
Es fanden sich kaum Hinweise darauf, dass eine OP dazu führt, dass seelische Probleme abnehmen. Zu Beginn zeigten sich beide Gruppen belasteter als der Durchschnitt der Bevölkerung: 20% der OP- und 15% der Kontrollgruppe erhielten Psychopharmaka (verglichen mit 2% in der Normalbevölkerung).
5 Jahre später war dieser Anteil noch weiter angestiegen, ohne signifikante Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Ähnliches zeigte sich bei der fachärztlichen psychischen Behandlung. Hier wurde die OP-Gruppe 5 Jahre nach der OP sogar häufiger behandelt (36% der Teilnehmer vs 21% in der Kontrollgruppe). 23% wurden nach der OP erstmalig behandelt. „Beides kann aber auch dadurch bedingt sein, dass diese Gruppe durch die OP insgesamt enger medizinisch betreut wurde“, schreiben die Autoren.
Einen kleinen Vorteil hatte die OP-Gruppe bei der Entwicklung des Selbstwertes. Dieser verbesserte sich von 19 vor der OP auf 22 (auf einer Skala bis 30) 5 Jahre danach. Auch „binge eating“ trat etwas seltener auf als vorher.
Das Gesamtbefinden verbesserte sich aber nicht: 72% der OP-Gruppe zeigten vor der OP und ebenso 5 Jahre danach einen Wert unterhalb des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung. 13% hatten sich gegenüber der Zeit vor der OP sogar noch verschlechtert. „Es scheint, als ob bariatrische Operationen nicht dazu führen, dass sich auch seelische Symptome verbessern“, resümieren die Autoren. Notwendig sei daher, die Patienten auch nach der OP durch ein multiprofessionelles Team psychisch zu unterstützen.
Arbeit und Partnerschaft sind entscheidend
Prof. Dr. Johannes Hebebrand, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am LVR-Klinikum Essen, wundert es nicht, dass eine OP so wenig Einfluss auf das psychische Befinden hat: „Entsprechende Hinweise finden sich bereits mehrfach in der Literatur.“ Auch nach seiner Erfahrung sind adipöse Jugendliche häufig psychisch belastet.
„Es stellt sich aber die Frage, wie viel es letztlich aussagt, ob jemand in psychischer Behandlung ist oder Medikamente nimmt“, sagt der Psychiater. Viel entscheidender seien gerade im Jugend- und jungen Erwachsenenalter „handfeste“ Fakten, „etwa ob es den Betroffenen gelingt, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden beziehungsweise eine Partnerschaft einzugehen“.
Seine Klinik setzt daher einen Schwerpunkt darin, die jungen Menschen (mit oder ohne Operation) dabei frühzeitig zu unterstützen. „Denn wenn Sie beides nicht haben, sieht es meist auch mit dem psychischen Befinden nicht gut aus.“
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Diesen Artikel so zitieren: Die Kilos schwinden, die seelische Last nicht: Adipositas-OP hat bei Jugendlichen kaum positive Effekte auf die Psyche - Medscape - 6. Feb 2020.
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