Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat bei seinem Meeting vom 27. bis zum 30. Januar 2020 insgesamt 15 Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, darunter die erste orale GLP-1-Therapie bei Typ-2-Diabetes und die erste Anfallsprophylaxe bei akuter hepatischer Porphyrie, einer seltenen Erkrankung mit unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten [1].
Therapie der akuten hepatischen Porphyrie
Der Ausschuss empfahl eine Zulassung für GivlaariTM (Givosiran), der ersten Therapie der akuten hepatischen Porphyrie bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren.
Die akute hepatische Porphyrie ist eine seltene erbliche Erkrankung. In Europa leidet einer von 100.000 Menschen daran. Den Patienten fehlen aufgrund genetischer Defekte Enzyme im Häm-Stoffwechsel. Es kommt zur Anhäufung von Porphyrinen in toxischer Menge. Das führt zu Anfällen mit schweren Bauchschmerzen und Erbrechen. Störungen des Nervensystems wie Anfälle, Depressionen und Angstzustände kommen hinzu. Die Erkrankung kann tödlich enden, falls während eines Anfalls die Atemmuskulatur gelähmt wird.
Derzeit ist intravenös verabreichtes Hämin, eine aus menschlichem Blut gewonnene Häm-Formulierung, die einzige zugelassene Therapie bei Anfällen. Sie zeigt prophylaktisch aber keine Wirksamkeit. Schmerzmittel und Antiemetika werden bei Bedarf zur Kontrolle der Symptome eingesetzt.
Der neue Wirkstoff Givosiran besteht aus einem kurzen, synthetischen Strang genetischen Materials (small interfering RNA), mit dessen HIlfe ein früher Schritt der Häm-Produktion blockiert wird. Dadurch wird die Akkumulation toxischer Metaboliten verhindert.
Der Nutzen und die Sicherheit von Givosiran wurden in einer klinischen Studie der Phase 3 nachgewiesen. Daran nahmen 94 Patienten teil, welche in den letzten 6 Monaten mindestens 2 Attacken erlitten hatten. „Die Daten aus der Studie zeigten, dass die Behandlung zu einer signifikanten Verringerung der jährlichen Attacken, weniger Schmerzen und einer verbesserten Lebensqualität führte“, schreibt der CHMP.
Da GivlaariTM Versorgungslücken schließt, profitierte der Hersteller von PRIME, einer Plattform der EMA für neue, innovative Medikamente. Durch den intensiven Dialog zwischen der Behörde und dem Konzern war es möglich, das Präparat innerhalb von nur 150 Tagen zu bewerten.
Orale GLP-1-Therapie bei Typ-2-Diabetes
Eine positive Empfehlung sprach der CHMP ebenfalls für Rybelsus® (Semaglutid) zur Behandlung von Erwachsenen mit unzureichend kontrolliertem Typ-2-Diabetes aus – als Ergänzung zu Lebensstil-Interventionen.
Es ist die erste orale Therapie mit einem Glukagon-ähnlichen Peptid (GLP-1)-Rezeptor-Agonisten. Semaglutid wirkt auf dieselbe Weise wie das Inkretin-Hormon GLP-1: Es senkt den Blutzuckerspiegel, indem es die Insulinsekretion der Bauchspeicheldrüse anregt und die Sekretion von Glukagon senkt, wenn der Blutzuckerspiegel hoch ist.
Die Sicherheit und Wirksamkeit wurden in 8 klinischen Studien untersucht, an denen Patienten mit verschiedenen Stadien der Erkrankung teilnahmen. In 3 dieser Studien wurde Semaglutid mit einem Placebo verglichen. Beim Entwicklungsprogramm wurde das Pharmakon entweder allein eingesetzt, zur Standardbehandlung hinzugefügt oder mit einer Injektionsbehandlung seiner Klasse (einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten) verglichen.
Am häufigsten wurden gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall beobachtet. Eine Hypoglykämie kann bei der Anwendung in Kombination mit Insulin oder Sulfonylharnstoff auftreten.
Weitere Zulassungsempfehlungen im Überblick
Vaxchora®, ein rekombinanter oral zu applizierenden Lebendimpfstoff zur Cholera-Prophylaxe;
Liumjev (Insulin lispro) zur Behandlung von Diabetes mellitus bei Erwachsenen;
Nilemdo (Bempedoinsäure) und Nustendi (Bempedoinsäure plus Ezetimib) zur Behandlung der primären Hypercholesterinämie und der gemischten Dyslipidämie. Bempedoinsäure wirkt als Inhibitor der ATP-Citrat-Lyase (ACL), und Ezetimib hemmt die Resorption des Cholesterins im Dünndarm.
Nubeqa® (Darolutamid), ein Antiandrogen zur Behandlung von Prostatakrebs;
StaquisTM (Crisaborole), ein nichtsteroidaler antiinflammatorischer Wirkstoff zur Behandlung der atopischen Dermatitis;
RuxienceTM (Rituximab), ein Biosimilar, das bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom, bei chronischer lymphatischer Leukämie, bei rheumatoider Arthritis, bei Granulomatose mit Polyangiitis, bei mikroskopischer Polyangiitis sowie bei Pemphigus vulgaris eingesetzt werden kann.
Der CHMP empfahl auch Zulassungen für 4 Generika:
Azacitidin betapharm (Azacitidin) und Azacitidin Mylan (Azacitidin) bei myelodysplastischen Syndromen, bei chronischer myelomonozytärer Leukämie und bei akuter myeloischer Leukämie. Chemisch handelt es sich um ein synthetisches Nukleosid.
Arsentrioxid Mylan (Arsentrioxid), eine Arsenverbindung zur Behandlung der akuten promyelozytären Leukämie;
Cinacalcet Accordpharma (Cinacalcet) zur Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus, des Parathyreoidkarzinoms und des primären Hyperparathyreoidismus. Cinacalcet moduliert kalziumsensitive Rezeptoren in der Nebenschilddrüse.
Positive Gutachten gab es für 2 Hybrid-Medikamente:
Budesonid/Formoterol Teva Pharma B.V. (Budesonid/Formoterol-Fumarat-Dihydrat) bei Asthma und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung;
Trepulmix (Treprostinil-Natrium) bei chronisch-thromboembolischer pulmonaler Hypertonie.
Die Hybridanwendungen beruhen zum Teil auf den Ergebnissen präklinischer und klinischer Tests eines bereits zugelassenen Referenzprodukts und zum Teil auf neuen Daten.
Erweiterung bestehender Zulassungen
Ein positives Votum gab es für die Erweiterung der Indikation bei Ameluz® (5-Aminolävulinsäure) zur photodynamischen Therapie aktinischer Keratosen, MabThera® (Rituximab) zur Krebsimmuntherapie, Rezolsta® (Darunavir/Cobicistat) bei HIV-Infektionen, Suliqua® (Insulin glargin/Lixisenatid) bei Typ-2-Diabetes, Tybost® (Cobicistat) bei HIV-Infektionen und Venclyxto® (ein Bcl-2-Hemmer) bei verschiedenen Leukämien.
Rücknahme von Anträgen
Der Antrag auf eine Erstzulassung für Idhifa® (Enasidenib) wurde zurückgezogen. Dieses Arzneimittel war für die Behandlung von akuter myeloischer Leukämie bestimmt. Außerdem wurde der Antrag zur Erweiterung der Anwendung von Keytruda® (Pembrolizumab) zur Behandlung von Speiseröhrenkrebs widerrufen.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: 15 neue Zulassungen empfohlen, darunter das erste orale GLP-1-Analogon bei Typ-2-Diabetes - Medscape - 31. Jan 2020.
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