Nüchterne Realität: Bei Vorhofflimmern senkt Alkoholverzicht das Rezidivrisiko deutlich, doch wenige wollen mitmachen

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

30. Januar 2020

Seit mehr als 100 Jahren weiß man aus Fallberichten, dass Alkohol ein Risikofaktor für Vorhofflimmern (VHF) ist. In den 1980er und 1990er Jahren kamen Publikationen auf Basis von Patientenkohorten oder populationsbasierter Kohorten hinzu. Und jetzt gibt es auch Ergebnisse aus einer randomisierten, kontrollierten Studie.

Nach diesen aktuellen Daten verringert Alkohol-Abstinenz die Rate an Arrhythmie-Rezidiven bei regelmäßigen Trinkern mit Vorhofflimmern um rund 20 Prozentpunkte, verglichen mit Patienten, die ihr Trinkverhalten nicht ändern.

 
Die beobachtete Wirkung der Alkoholkarenz ist ähnlich stark ausgeprägt wie die Effekte der uns zur Verfügung stehenden Rhythmusmedikamente oder Rhythmusinterventionen. Prof. Dr. Gerhard Hindricks
 

Die Studie haben Dr. Aleksandr Voskoboinik vom Alfred Hospital Melbourne und Kollegen jetzt im New England Journal of Medicine publiziert [1]. Sie hatten jedoch immense Schwierigkeiten Probanden zu finden, die bereit waren, auf Drinks komplett zu verzichten – und mussten ihr Follow-up von geplanten 12 Monaten auf 6 Monate verkürzen.

„Wir haben erstmals eine methodisch hochwertige, schlüssige Studie, die belegt, dass Patienten mit Vorhofflimmern und mit damit verbundener Einschränkung der Lebensqualität erheblich von einer Reduktion der Alkoholmenge profitieren“, sagt Prof. Dr. Gerhard Hindricks zu Medscape. Er ist Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie des Herzzentrum Leipzig und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Herzstiftung.

Hindricks: „Die Kohorte bestand nur aus 140 Patienten. Aber es wurde eine wichtige Wissenslücke geschlossen.“ Er ergänzt: „Wir sprechen hier von einem erheblichen Effekt: Alles in allem ist die beobachtete Wirkung der Alkoholkarenz ähnlich stark ausgeprägt wie die Effekte der uns zur Verfügung stehenden Rhythmusmedikamente oder Rhythmusinterventionen.“

 
Es geht um Verhaltensänderungen, eine der schwierigsten Aufgaben für Menschen. Prof. Dr. Gerhard Hindricks
 

Unklar sei, ob es Veränderungen bei harten Endpunkten wie Schlaganfällen oder Herzmuskelschwäche als Folgen des Vorhofflimmerns gebe. „Das halte ich für wahrscheinlich, es muss aber genau untersucht und ggf. belegt werden“, so Hindricks.

Doch welche Botschaft steckt dahinter? „Es geht um Verhaltensänderungen, eine der schwierigsten Aufgaben für Menschen“, sagt der Experte. Um dies zu erreichen, brauche es mehr als Einsicht. Sein Appell an das Gesundheitssystem: „Wir bekommen Geld für Operationen, Herzschrittmacher oder Defibrillatoren, aber nicht für strukturierte Programme zur Begleitung dieser Patienten.“ Hier müsse sich dringend etwas ändern.

Weniger Rezidive mit Vorhofflimmern bei Abstinenz

Voskoboinik und seine Koautoren haben eine multizentrische, prospektive, offene, randomisierte, kontrollierte Studie an 6 Krankenhäusern in Australien durchgeführt.

Erwachsene, die 10 oder mehr Standardgetränke (Drinks) pro Woche konsumierten und die zu Beginn der Studie paroxysmales oder persistierendes Vorhofflimmern im Sinusrhythmus hatten, wurden im Verhältnis von 1:1 randomisiert. Sie sollten entweder ihren Alkoholkonsum einstellen oder ihr bisheriges Trinkverhalten fortsetzen. Ihrer Definition zufolge enthält 1 Standardgetränk (Drink) ca. 12 g reines Ethanol (entspricht etwa 300 ml Bier mit 5 Vol% Alkohol oder 125 ml Wein mit 12 Vol%).

Als primäre Endpunkte definierten die Forscher das Ausbleiben von Rezidiven mit Vorhofflimmern bzw. die Zeit mit Vorhofflimmern während der 6-monatigen Nachbeobachtung. Von 140 Patienten, die aufgenommen worden waren (85% Männer; mittleres Alter, 62±9 Jahre), wurden 70 der Abstinenzgruppe und 70 der Kontrollgruppe zugeordnet.

Die Patienten in der Abstinenzgruppe reduzierten ihren Alkoholkonsum von im Schnitt 16,8 auf 2,1 Standardgetränke pro Woche, also um 87,5%. Dabei erzielten 61% komplette Abstinenz.

In der Kontrollgruppe sank der Verbrauch von im Schnitt 16,4 auf 13,2 Getränke pro Woche, das entspricht eine Reduktion um 19,5%.

Nach einer 2-wöchigen Auswaschphase kam es bei 37 von 70 Patienten (53%) in der Abstinenzgruppe und bei 51 von 70 Patienten (73%) in der Kontrollgruppe zu erneutem Vorhofflimmern. In der Abstinenzgruppe verging bis zum Auftreten des 1. Rezidivs deutlich mehr Zeit als in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio: 0,55; 95%-Konfidenzintervall: 0,36 bis 0,84; p = 0,005).

Auch war die Belastung durch Vorhofflimmern während des 6-monatigen Follow-ups in der Abstinenzgruppe signifikant geringer als in der Kontrollgruppe. Hier geben die Forscher als Zeitanteil mit dieser Herzrhythmusstörung 0,5% versus 1,2% an.

Aufgrund ihrer Zahlen bewerten sie Alkoholabstinenz als geeignete Strategie gegen Rezidive mit Vorhofflimmern.

Leben ohne Alkohol – ein unrealistisches Ziel

In einem begleitenden Editorial geht Dr. Anne M. Gilli vom Department of Cardiac Sciences der University of Calgary, Kanada, auf die Problematik ein, keinen Alkohol zu konsumieren [2]: „Es ist wichtig, zu betonen, dass der Lenkungsausschuss das Studienprotokoll überarbeitet und die Nachbeobachtung von geplanten 12 Monaten auf 6 Monate verkürzt hat, da es schwierig war, Teilnehmer zu rekrutieren, die bereit waren, 12 Monate lang auf Alkohol zu verzichten“, erklärt Gillis.

 
Die aktuelle Studie stellt ein überzeugendes Argument für die Alkoholabstinenz als Teil des erfolgreichen Managements von Vorhofflimmern dar.  Dr. Anne M. Gilli
 

Der Alkoholkonsum sei sowohl in Australien als auch in anderen westlich orientierten Ländern stark in der Ernährungs- und Gesellschaftskultur verankert. „Die aktuelle Studie stellt jedoch ein überzeugendes Argument für die Alkoholabstinenz als Teil des erfolgreichen Managements von Vorhofflimmern dar“, schreibt sie weiter. Vollständige Abstinenz sei jedoch schwer zu erreichen.

Zu den Ergebnissen selbst schreibt Gillis: „Mäßiger bis starker Alkoholkonsum ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen stark mit Vorhofflimmern verbunden. Es scheint einen dosisabhängigen Effekt zu geben, wobei ein Getränk pro Tag mit einem um 8% erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assoziiert ist.“

 
Ein Getränk pro Tag ist mit einem um 8% erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assoziiert ist. Dr. Anne M. Gilli
 

Methodische Einschränkungen

„Die Ergebnisse der aktuellen Studie bestätigen, dass Alkohol ein wichtiger modifizierbarer Risikofaktor bei der Behandlung von Vorhofflimmern ist“, kommentiert die Editorialistin. Sie verweist jedoch auf mehrere Einschränkungen:

  • Die Stichprobengröße war klein.

  • Die Mehrheit der Teilnehmer waren Männer (85%).

  • Der Alkoholkonsum pro Woche zu Beginn der Studie war mäßig bis stark.

  • Die Gesamtbelastung durch Vorhofflimmern war recht gering (< 2%).

  • Die Gesamtdauer der Nachbeobachtung betrug nur 6 Monate. 

Davon ausgehend formuliert Gillis mehrere Fragen, die Voskoboinik nicht beantworten konnte:

  • Wäre Alkoholabstinenz genauso effektiv bei Patienten mit einer höheren Belastung durch Vorhofflimmern, die vermutlich eine schwerwiegendere elektrische oder strukturelle Umgestaltung des Vorhofs haben und die eine Veranlagung zu rezidivierendem Vorhofflimmern mit sich bringen?

  • Wäre eine Reduzierung des Alkoholkonsums auf ein geringeres Maß oder ein nicht täglicher Alkoholkonsum (oder beides) anstelle einer vollständigen Abstinenz wirksam, um Vorhofflimmern zu verhindern?

  • Unterscheiden sich die Reaktionen je nach Geschlecht? Subgruppenanalysen deuten darauf hin, dass Frauen möglicherweise nicht von der Alkoholabstinenz profitiert haben, aber die Studie war nicht geeignet, diese Frage zu beantworten.

  • Kann die Alkoholabstinenz langfristig aufrechterhalten werden?

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Kommentar

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