Berlin – Ab Mitte des Jahres sollen Ärzte in Nordrhein-Westfalen (NRW) eine ganz besondere Form des Konsils eingehen können. Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister des Landes, will zum 1. Juli 2020 die Pilotphase des virtuellen Krankenhauses in NRW an den Start bringen.
Im Kern ist das virtuelle Krankenhaus eine digitale Plattform, die das medizinische Fachwissen, das in medizinischen Spitzenzentren des Landes verfügbar ist, auch Ärzten im ganzen Land zugänglich machen soll – später auch den Patienten.
Das virtuelle Krankenhaus NRW soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass noch mehr Menschen im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland am medizinischen Fortschritt teilhaben.
Digitalisierung fördert leitliniengerechte Antibiotika-Gabe
Dass die Idee funktionieren kann, habe das 4-jährige Projekt TELnet@NRW gezeigt. Das berichtete Prof. Dr. Thomas Ittel, Vorstandsvorsitzender der Uniklinik RWTH Aachen auf dem Jahreskongress des Bundesverbandes Managed Care (BMC) in Berlin [1].
TELnet@NRW verbindet die Ärzte aus 2 Arztnetzen und 17 Krankenhäusern per Audio-Video-Konferenz mit den erfahrenen Fachärzten, Oberärzten und Intensivpflegekräften der Universitätskliniken Münster und Aachen. Das Projekt beschränkt sich auf die Behandlung von Patienten mit Infektionskrankheiten und Sepsis-Patienten, die intensivmedizinisch versorgt werden.
Ziel des Projektes ist es erstens, trotz des Projektcharakters ein telemedizinisches Netzwerk dauerhaft auf die Beine zu stellen. Zweitens sollen die Sektorengrenzen überwunden werden. Und schließlich soll Telnet@NRW den Anteil der leitlinienkonformen Antibiotika- und Sepsistherapie erhöhen. So sollten bei unkomplizierten Atemwegserkrankungen möglichst keine Antibiotika mehr verschrieben werden. Das Projekt läuft noch bis Februar dieses Jahres.
Das Projekt sei ein Erfolg, hieß es auf dem BMC-Kongress. „Wir zählen bisher mehr als 150.000 eingeschlossene Patienten“, sagte Ittel. Deren Ärzte wurden in rund 10.500 Teleintensiv-Visiten beraten. „Wir konnten zum Beispiel die Verschreibung von Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegserkrankungen senken“, berichtete Ittel.
Kein Wunder: Denn „die Chance, gemäß der Vorgabe der Leitlinien behandelt zu werden, ist in der Interventionsgruppe über 30 Prozent höher als in der Kontrollgruppe.“ Dieser Effekt sei maßgeblich durch die Telekonsile der behandelnden Ärzte erzielt worden, erklärte der Chef der Aachener Uni-Klinik.
Höchste Expertise verfügbar machen
Das virtuelle Krankenhaus könne nun auf die Erfahrungen aus dem TELnet-Projekt aufbauen. Per Mausklick soll das Fachwissen den 43.000 Ärzten in den 7 Unikliniken und 344 Krankenhäusern zur Verfügung stehen, sowie den 34.000 niedergelassenen Ärzten im Land.
In 3 Phasen soll das virtuelle Krankenhaus wachsen:
Zunächst sollen Telekonsile, elektronische Visiten und Videosprechstunden sowie eine elektronische „Spezialistensuche“ eingerichtet werden.
In Phase 2 sollen sowohl Ärzte als auch Patienten über die Telemedizin beraten sowie Leitlinien und digitale Behandlungspfade integriert werden.
In der 3. Phase sollen auch Patienten persönliche Zugänge zu dem System erhalten, um zum Beispiel mit ihren Ärzten zu kommunizieren oder ihre Apps mit dem System zu koppeln.
Fax und Telefon haben ausgedient
Allerdings bedürfe es erheblicher Umstellungen, um den Erfolg des Projektes auch auf das virtuelle Krankenhaus zu übertragen. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es zwar viele Leistungswillige gibt. Aber wir brauchen mehr, und zwar virtuelle Transformation der Prozesse“, so Ittel, „Fax und Telefon haben ausgedient.“ Dann könne das virtuelle Krankenhaus tragfähige Strukturen schaffen, die die Versorgung verändern könnten.
Ein Gründungsausschuss legt derzeit fest, auf welche Fachbereiche sich das virtuelle Krankenhaus zunächst konzentrieren wird. Voraussetzung für einen guten Start sei die Beschränkung auf „wenige, gut evaluierbare Indikationen“, meint Ittel. „Denn wenn wir fokussieren, haben wir mehr Kraft, um das Projekt zu erklären.“
Nach dem Willen des Ministers Laumann soll das virtuelle Klinikum in den Krankenhausplan des Landes aufgenommen und über die Krankenkassen finanziert werden. Entsprechend wird es, wie jedes andere Krankenhaus auch, mit den Kassen verhandeln.
Dirk Ruiss, Leiter der NRW-Landesvertretung des Ersatzklassenverbandes (vdek), sagte: „Die Entwicklung hin zur Digitalisierung ist ein Fakt. Und wenn man sich in diese neue Welt begibt, dann tauchen neben Haftungs- und Beteiligungsfragen eben auch die Fragen der Finanzierung auf.“
„Noch ist unklar, wie man zum Beispiel die Televisite bezahlt“, erläuterte Lutz Stroppe, ehemaliger Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf dem BMC-Kongress. Zunächst aber gebe der Eigentümer das Geld – pro Jahr fördert das Land das Projekt mit 2 Millionen Euro.
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Diesen Artikel so zitieren: Virtuelles Krankenhaus in NRW: Digitale Plattform soll medizinisches Wissen aus Spitzenzentren im ganzen Land verfügbar machen - Medscape - 29. Jan 2020.
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