Jeder 5. Klinik-Arzt erwägt hinzuwerfen: Was der Marburger Bund gegen zunehmenden Stress und Bürokratie tun will

Bettina Micka

Interessenkonflikte

28. Januar 2020

Berlin – „Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe“, sagt ein Sprichwort. Und auch bei Klinik-Ärzten scheint es zuzutreffen, denn um ihre Gesundheit ist es nicht gerade zum Besten bestellt. Überstunden, Personalmangel und steigender Zeitdruck setzen ihnen zu. Und einen nicht unwesentlichen Anteil am Ärzte-Stress hat die stetig wachsende Bürokratie. Zu diesem Ergebnis kommt der MB-Monitor 2019, der nun auf einer Pressekonferenz vorgestellt worden ist [1].

Dr. Susanne Johna

Für seine Analyse hat der Marburger Bund (MB) im Herbst 2019 rund 6.500 angestellte Ärzte befragt. 90% der Befragten arbeiten in öffentlichen, privaten oder kirchlichen Krankenhäusern, 5% in ambulanten Einrichtungen. Die Umfrage findet alle 2 Jahre statt.

Arbeitszeit: Wunsch und Wirklichkeit

Wie die Befragung ergab, klaffen bei der Anzahl der wöchentlichen Arbeitsstunden Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. „Der Trend zur Teilzeit ist ungebrochen“, sagte Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes. 59% der Befragten wollen am liebsten zwischen 30 und 39 Stunden pro Woche arbeiten – und zwar möglichst so, dass sie einen freien Tag in der Woche haben. Tatsächlich liegen aber fast 2 Drittel der befragten Ärzte mit ihrer Arbeitszeit über der maximal zulässigen Grenze von 48 Stunden.

 
Der Trend zur Teilzeit ist ungebrochen. Dr. Susanne Johna
 

Durchschnittlich leisten die Klinikärzte 7 Überstunden pro Woche. Hochgerechnet ergeben sich so 65 Millionen Überstunden, die Ärzte pro Jahr in Krankenhäusern leisten. „Das ist eine schockierende Zahl, das ist inakzeptabel“, kommentierte Johna.

Und nicht nur, dass die Ärzte oft weit mehr arbeiten, als sie eigentlich wollen – 26% erhalten für ihre Mehrarbeit weder Freizeitausgleich noch eine Vergütung. Und wenn sie die Wahl haben? „Die meisten hätten gerne einen Freizeitausgleich. Das zeigt ganz deutlich den Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance“, betonte die 1. Vorsitzende des MB.

Dr. Andreas Botzlar

Ein erster Schritt dazu: „Wir wollen eine Begrenzung der Bereitschaftsdienste auf 4 pro Monat“, sagte Johna. Derzeit leisten 29% der Ärzte mehr als 4 solcher Präsenzdienste in der Nacht und am Wochenende. Nacht- und Wochenend-Dienste seien aber die Faktoren, die sich am stärksten negativ auf die soziale Teilhabe auswirkten, betonte Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des MB.

„Man muss konstatieren, dass die Konfektionsgröße Regelarbeitsplatz den Mitarbeitern nicht mehr passt und deswegen anders geschneidert werden muss“, so Botzlar. Dieses Problem versuche der MB vor allem über die Reduzierung der Dienste, die über die wöchentliche Regelarbeitszeit hinausgehen, anzugehen.

Um an der Schraube Arbeitszeit zu drehen, sieht der MB als wesentliche Voraussetzung, dass die Arbeitszeit flächendeckend elektronisch erfasst wird. Bisher ist das nur bei 44% der Klinikärzte der Fall. 26% dokumentieren ihre Arbeitsstunden handschriftlich, weitere 30% gar nicht. Der MB fordert daher in den laufenden Tarifverhandlungen, die Arbeitszeit für alle elektronisch zu erfassen – so wie es auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus diesem Jahr vorsieht.

Erdrückende Bürokratie

Als ein erheblicher „Zeitfresser“ im Klinikalltag konnte die Umfrage wieder einmal die Bürokratie dingfest machen. Mehr als jeder Dritte verbringt durchschnittlich über 4 Stunden pro Tag mit Verwaltungstätigkeiten. „Wie binden hier die Ärzte an den Schreibtisch, anstatt sie in der Patientenversorgung zu haben“, beklagte Johna.

Patienten wie Ärzte wünschten sich aber mehr Zeit für die Patientenversorgung. Bisher steht der Arzt immer am Ende der „Arbeitskette“. „Wenn kein Personal da ist, das die Arbeit übernimmt, macht es im Zweifelsfall der Arzt“, konstatierte Johna.

 
Wir wollen eine Begrenzung der Bereitschaftsdienste auf 4 pro Monat. Dr. Andreas Botzlar
 

Für Abhilfe könnten eine anwenderfreundlichere IT-Ausstattung und Schreibdienste oder Stationssekretariate schaffen, die die Dokumentation übernehmen. Auch die Ärzte selbst sehen in der Delegation von Aufgaben Potenzial. Derzeit fühlen sich 77% durch andere Berufsgruppen nicht ausreichend entlastet.

Vor allem müsse die Überbürokratisierung der Krankenhäuser gestoppt werden: „Wir brauchen eine Generalinventur, bei der unnötige Vorgaben identifiziert und danach ersatzlos gestrichen werden. Hier ist die Politik gefordert, der Regulierungswut der Krankenhäuser nicht mehr länger nachzugeben“, so Johna.

Immerhin: Eine bessere Arbeitsteilung mit anderen Berufsgruppen könnte klappen. Dafür spricht ein weiteres Ergebnis der Umfrage: 73% der Ärzte bewerten die Zusammenarbeit mit der Pflege als gut bis sehr gut.

Psychische und physische Gesundheit in Gefahr

Eine Entlastung der Klinikärzte ist dringend geboten. Das belegen die Erkenntnisse der Umfrage zur Gesundheit der Ärzte. Um die ist es nämlich nicht gut bestellt. 49% fühlen sich häufig überlastet und 10 % der Befragten gehen sogar ständig über ihren Grenzen. 60% verzichten täglich oder mehrmals pro Woche auf ihre Pausen.

„Wer ständig über seine Grenzen geht, wird oft selbst krank“, mahnte Johna. Tatsächlich fühlen sich 74% der Klinikärzte durch die hohe Arbeitsbelastung in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, etwa in Form von Schlafstörungen und Müdigkeit. „Unsere Burnout-Seminare sind immer gut besucht oder überbucht“, wusste die MB-Vorsitzende zu berichten.

Der Zeitdruck führt dazu, dass nur 27% der Ärzte nach eigenen Angaben auf ihre Gesundheit achten. Dabei wären sie nach dem Genfer Gelöbnis, der modernen Form des Hippokratischen Eides, dazu eigentlich sogar verpflichtet, wie Johna anmerkte.

Nicht zuletzt leidet auch das Privatleben unter der Arbeitsbelastung, wie 75% der Umfrageteilnehmer angaben. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass mehr als jeder 5. Befragte erwägt, seine ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben. In einem Freitextfeld der Befragung antwortete etwa ein Arzt auf die Frage nach den Gründen: „Weil es wichtiger geworden ist, gewinnbringend zu arbeiten als wirklich menschlich zu helfen und zu heilen.“

Mehr ärztliches Personal ist nötig – wie kann das funktionieren?

Bürokratieabbau und Verlagerung auf andere Berufsgruppen könnte Klinik-Ärzte entlasten. Doch das würde vermutlich nicht ausreichen, räumte Botzlar gegenüber Medscape ein. Es würden dennoch mehr Ärzte gebraucht. Das habe auch damit zu tun, dass die nachwachsende Generation weniger arbeiten wolle. „Natürlich machen wir mit der Limitierung der Dienste pro Nase letztendlich eine Art Mindestbesetzung durch die Hintertür“, sagte er.

 
Wie binden hier die Ärzte an den Schreibtisch, anstatt sie in der Patientenversorgung zu haben. Dr. Susanne Johna
 

Krankenhäusern würden mit erheblichem Aufwand nach möglichen Einsparungsmöglichkeiten fahnden und versuchen „auch noch den letzten Tropfen aus der Zitrone zu quetschen“. Die Verwaltungskosten dafür würden dabei aber nicht selten die Einsparungen weit übertreffen. Hier gäbe es also Einsparpotenzial.

Und der Reformbedarf geht aus Sicht des MB noch weiter: „Das DRG-Vergütungssystem – das ist unsere feste Überzeugung – hat ausgedient. Es muss dringend abgelöst werden durch ein sinnvolles Vergütungssystem, das es ermöglicht, das Personal so zu besetzen, wie es zur Patientenversorgung nötig ist“, betonte Johna.

 
Das DRG-Vergütungssystem – das ist unsere feste Überzeugung – hat ausgedient. Dr. Susanne Johna
 

Die aktuellen Ergebnisse des MB-Monitor könnten jedenfalls den Forderungen des MB bei den aktuellen Tarifverhandlungen mit den Uni-Kliniken Nachdruck verleihen.
 

Kommentar

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