Man kann vor dem Altern also doch – zumindest zu einem gewissen Teil – quasi davonlaufen: Durch ein halbjähriges Ausdauertraining für einen Langstreckenlauf lassen sich bestimmte Blutgefäße im Körper verjüngen, so eine aktuelle britische Studie. Bei den gesunden Probanden war nach einem Training für den London Marathon und der erfolgreichen Teilnahme an dem Lauf-Event die Steifigkeit und der Blutdruck im peripheren und mittleren Bereich der Aorta deutlich reduziert [1].
Aus Alt wird Jung – durch Ausdauersport
„Diese Studie betont die wichtige Rolle des Lebensstils bei der Beeinflussung des Alterungsprozesses – vor allem, da es nie zu spät zu sein scheint, um Effekte zu erzielen, wie wir bei den älteren langsameren Läufern gesehen haben“, schreiben die Autoren um Dr. Anish N. Bhuva, Institute of Cardiovascular Science, University College London, United Kingdom im Journal of the American College of Cardiology (JACC).

Prof. Dr. Martin Halle
Am meisten profitierten nämlich die Arterien von älteren und langsameren Läufern. Das sei nicht weiter verwunderlich, meint Prof. Dr. Martin Halle, Ärztlicher Direktor der Präventiven Sportmedizin und Sportkardiologie des Universitätsklinikums rechts der Isar der TU München. „Erwartungsgemäß ergab die Eingangsuntersuchung bei den älteren Teilnehmer eine weiter fortgeschrittene Gefäßsteifigkeit – daher war der deutlichere Effekt des Trainings bei diesen älteren Marathon-Teilnehmern auch so zu erwarten“, erklärt Halle im Gespräch mit Medscape.
„Die Studie zeigt insgesamt, dass die Effekte des Ausdauertrainings relativ schnell passieren“, so Halle weiter. Nach nur 17-wöchigem Training wurden deutliche strukturelle Veränderungen der Aortenwand offensichtlich, die die Elastizität verbessern – das sei bemerkenswert und sicherlich ein Argument, um mehr Menschen zum Ausdauersport zu motivieren.
Mehr Elastizität für die Gefäße
Mit dem Alter der Arterien nimmt auch ihre Elastizität ab. Durch die zunehmende Steifigkeit der Gefäße wiederum steigt der Pulsdruck; die Blutdruckamplitude also. Diese altersbedingten Vorgänge steigern selbst ohne atherosklerotische Veränderungen das Risiko für Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie Demenz.
Aus vorherigen Studien weiß man, dass die Gefäße von Athleten, die ihren Sport ein Leben lang aus üben, elastischer bleiben als die von Nicht-Sportlern – und dass sich ein überwachtes aerobes Training über einen relativ kurzen Zeitraum von 3 Monaten positiv auf Blutdruck und Elastizität auswirken kann. Ob ein nicht überwachtes Lauftraining für einen Marathon, wie es im realen Leben häufig durchgeführt wird, einen ebensolchen Verjüngungs-Effekt erzielen kann, war bislang unklar.
„Arterielles Alter“ per Kernspin berechnet
Um genau zu untersuchen, inwiefern sich ein erstmaliges Marathon-Training auf den Blutdruck und die Gefäße auswirkt, haben die Autoren 337 untrainierte gesunde Probanden im Alter von 21 bis 69 Jahren (Durchschnittsalter 37 Jahre) rekrutiert.
Sie durchliefen eine 17-wöchige individuell gestaltete Trainingsphase für den London Marathon: Die Probanden folgten einem Trainingsplan für Marathon-Anfänger, mit mindestens 3 Läufen und einem Laufpensum von 6 bis 13 Meilen pro Woche (9,5 bis 21km). Ziel des Trainings war die erfolgreiche Marathon-Teilnahme, nicht die Verbesserung der kardiovaskulären Fitness, betonen die Autoren.
Vor dem Trainingsstart wurden die Probanden einer kardiovaskulären Kernspintomografie (Kardio-MRT) unterzogen, um die Steifigkeit der Aorta in unterschiedlichen Bereichen (zentraler, mittlerer, peripherer Bereich) zu messen. Ebenso wurde der Blutdruck der Aorta gemessen.
Die gleichen Messungen wurden bei den 138 „Finishern“ rund 2 Wochen nach der erfolgreichen Teilnahme an dem Langstreckenlauf vorgenommen. Auf diese Weise errechneten Bhuva und Kollegen das „arterielle Alter“ der Teilnehmer.
Die Studienteilnehmer waren nie zuvor einen Marathon gelaufen und hatten weder Bluthochdruck noch Übergewicht.
Marathon statt Blutdrucksenker
Die durchschnittlich erzielte Marathon-Zeit betrug 5,4 Stunden bei den Frauen und 4,5 Stunden bei den Männern. 2 Wochen nach Beendigung des Laufs war der Blutdruck der Marathon-Absolventen um durchschnittlich 4 mmHg gefallen. „Das entspricht in etwa der bei einer Erstlinientherapie erzielten Blutdrucksenkung“, schreiben die Autoren.
Es sei also für Hypertoniker durchaus möglich, durch ein solches Ausdauertraining auf ein Medikament zu verzichten, bestätigt Halle. Dies könne ebenfalls eine Motivation sein, um Sport zu treiben.
Außerdem wirkte sich das Training signifikant auf die Steifigkeit der Aorta im peripheren und mittleren Bereich aus. „Die Studie bestätigt sehr schön, dass Training die Elastizität in diesen Bereichen wiederherstellen kann, aber der ganz zentrale Bereich der Aorta blieb auch in dieser Studie wie zu erwarten unbeeinflusst“, so der Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin.
Umgerechnet bedeute die durch das Lauftraining wiedererlangte Elastizität eine Gefäßverjüngung von knapp 4 Jahren, schreiben die Autoren. Zudem sei bei einer elastischeren Aorta der Druck auf den linken Ventrikel und das Gehirn geringer, ergänzt Halle. Durch die Blutdrucksenkung reduzierten sich zudem das Schlaganfallrisiko sowie das Risiko einer Herzinsuffizienz.
Implementieren bleibt schwierig
Die Erhaltung der Elastizität großer Gefäße zum Schutz vor Bluthochdruck und anderen Herz-Kreislauf-Problemen sei ein Behandlungsziel von allerhöchster Priorität, schreibt Dr. Julio A. Chirinos, Pererman Center for Advanced Medicine, Philadelphia, USA, in einem Editorial zur Studie mit dem Titel „Der Lauf gegen das arterielle Altern“ [2].
Jedoch gebe es aktuell keine pharmakologischen Wege, um dieses Ziel zu verfolgen. Daher müsse man den britischen Wissenschaftlern und deren Probanden „gratulieren zu dieser Partnerschaft, um ein wichtiges Problem genau und mit modernsten Methoden in einem innovativen Setting zu untersuchen“.
Trotz der auch in dieser Studie offensichtlichen positiven Auswirkungen des Sports auf die Gesundheit sei Bewegung immer noch „zu wenig praktiziert und im größeren Stil schwierig zu implementieren, sowohl im klinischen Setting als auch in der Bevölkerung“, moniert Chirinos.
Studie bestätigt: Moderater Ausdauersport schützt Herz und Gefäße
Die insgesamt eher langsamen Marathon-Zeiten der Studienteilnehmer zeigen deutlich, dass die strukturellen Veränderungen nicht an eine Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit geknüpft waren, erklärt Halle. Die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2 max) als Indikator der Leistungsfähigkeit habe sich nämlich bei den Teilnehmern kaum signifikant verbessert. Eine VO2 max von 35, wie sie bei den Studienteilnehmern zu Trainingsbeginn vorlag, entspreche etwa der des Bevölkerungsdurchschnitts – also bilde die Studie tatsächliche Lebensbedingungen ab, sagt Halle.
Wichtig sei es, den Patienten zu kommunizieren, dass sich ein moderates Training für die Teilnahme an einem Langstreckenlauf – egal, ob über 10 Kilometer, 20 Kilometer oder die Marathondistanz von 42,195 Kilometern – auf das Herz-Kreislauf-System eindeutig positiv auswirke. „Ein solches Training kann jeder gesunde Mensch schaffen“, so Halles Einschätzung. „Wenn die Botschaft lautet: ‚Nach 6 Monaten zeigen sich strukturelle Veränderungen, die 4 Jahre jünger machen‘, ist das eine tolle Motivation.“
Lediglich bei Läufern, die durch intensivstes Training Top-Zeiten von unter 3 Stunden anpeilen, seien unter Umständen Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems zu befürchten.
Obwohl die britische Studie mit gesunden Probanden durchgeführt wurde, empfiehlt Halle ein solches Training auch Hypertonikern, die durch ein solches Training, wie in der Studie offensichtlich wurde, sogar eventuell auf einen ihrer Blutdrucksenker verzichten könnten. Wichtig sei aber, dass sie, wenn sie ein solches Training starteten, zunächst bis auf weiteres die normale Dosis ihrer Blutdrucksenker weiter konsequent nähmen.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Laufen als „Jungbrunnen“: In Studie mit Marathon-Neulingen verjüngte das regelmäßige Training die Gefäße um 4 Jahre - Medscape - 27. Jan 2020.
Kommentar