Schlapp, lustlos, vergesslich – viele ältere Männer halten solche Beschwerden für die Folgen eines Testosteronmangels. Ärzte sollten jedoch eine Ersatztherapie allenfalls bei sexueller Dysfunktion verschreiben, empfiehlt eine US-Fachgesellschaft in einer aktuellen Praxisleitlinie [1,2]. Die Verfasser berufen sich darin auf ein systematisches Review, wonach sonstige Altersdefizite nicht gebessert werden.
Zugelassen ist Testosteron in den USA eigentlich zur Substitution bei primärem oder sekundärem Hypogonadismus, erläutern die Review-Autoren um Dr. Susan J. Diem von der Universität Minnesota in Minneapolis. Bei dieser Indikation wird durch Störungen der Achse Hypothalamus-Hypophyse-Hoden nicht genügend Hormon produziert, etwa beim Klinefelter-Syndrom, bei Orchitis, Hypothalamus- oder Hypophysen-Tumoren, Trauma oder Bestrahlung der Hoden.
Ziel ist, die sekundären Geschlechtsmerkmale zu entwickeln oder zu erhalten. Wenn dieser klassische Hypogonadismus vorliegt, mildert ein Hormonersatz auch effektiv die begleitenden Probleme mit Libido, erektiler Funktion, Vitalität, Schlaf, Stimmung, Knochen, Muskeln oder Fettansatz.
Testosteron – ein Lifestyle-Medikament für ältere Männer?
In den vergangenen Jahren allerdings habe sich die Anwendung von Testosteron in den USA verdreifacht und übertreffe andere Länder, so Diem. Der Grund: Immer häufiger wird das Hormon älteren Männern mit niedrigem Testosteron-Spiegel verordnet, denen unspezifische Symptome wie Antriebsschwäche oder Schwierigkeiten mit Sexualität und Beweglichkeit zu schaffen machen.
„Viele Patienten fragen danach, aber die Ärzte sehen eine Testosteron-Behandlung in diesem Zusammenhang eher skeptisch“, konstatiert Prof. Dr. Robert M. McLean, Präsident des American College of Physicians ACP, in einer Mitteilung.
Inwieweit also ist die Therapie tatsächlich sinnvoll, wenn kein organisch bedingter Hypogonadismus vorliegt? Sind im Gegenteil sogar Schäden zu befürchten? Um dazu einen Praxisleitfaden mit ausreichender Evidenzgrundlage zu erstellen, hat das ACP bei Diem und Kollegen eine Literaturübersicht in Auftrag gegeben.
Daten über 30 Jahre hinweg ausgewertet
Die Wissenschaftler haben daraufhin in Datenbanken nach Studien aus den Jahren 1980 bis 2019 gesucht, die wenigstens 6 Monate lang transdermales oder intramuskuläres Testosteron mit Placebo verglichen haben. Den Qualitätsanforderungen genügten 38 randomisierte kontrollierte Studien – 16 aus den USA, 14 aus Europa, 8 aus Australien oder Asien – und 20 Langzeit-Beobachtungstudien.
Auffallend war die große Variationsbreite bei Symptomen, Komorbiditäten und beim Alter der Patienten (im Mittel 66 Jahre). Weiterhin war nicht nur der Ausgangswert des Testosterons uneinheitlich, sondern mit unterschiedlichen Methoden war auch mal die Gesamtkonzentration, mal die freie und mal die bioverfügbare Form gemessen worden.
Diagnostik und Therapie sehr unterschiedlich
Nach Angabe der Autoren wird zur Diagnose eines Hypogonadismus empfohlen, an 2 Terminen morgens bei nüchternen Patienten das Gesamttestosteron zu bestimmen.
Ein Mangelsyndrom ist so definiert, dass der Patient über mindestens 3 sexuelle Symptome berichtet und sein Gesamttestosteron unter 11,1 nmol/l (320 ng/dl) liegt. Diese Voraussetzungen erfüllten aber nur 2 der 38 Studien.
„Wir glauben, dass diese Heterogenität die Praxis widerspiegelt, vor allem in der Allgemeinmedizin, wo diese Patientengruppe in der Regel untersucht und behandelt wird“, schreiben Diem und ihre Mitarbeiter.
Mehr Lebensqualität durch mehr sexuelle Zufriedenheit?
Aufgeschlüsselt nach den einzelnen Parametern haben sie herausgefunden:
Sexualität: Insgesamt war die Testosteronbehandlung im Vergleich zu Placebo mit einer geringfügigen Besserung der sexuellen Funktion assoziiert (moderate Evidenz). Das galt zum Beispiel für die Kategorie der erektilen Funktion (schlechte Evidenz). Eine klinisch bedeutsame Zunahme registrierten die Wissenschaftler lediglich bei den Teilbereichen sexuelle Aktivität und Libido. Zur Bestimmung der Sexualfunktion wurde meist die entsprechende Subskala der Aging Males´ Symptoms rating scale (AMS) genutzt, für die erektile Funktion der 5-Item International Index of Erectile Function (IIEF-5).
Lebensqualität: In 7 Studien mit insgesamt rund 1.043 Teilnehmern war die Lebensqualität per AMS-Skala gemessen worden. Mit Testosteron hatte sich die insgesamt mäßige Beeinträchtigung ein wenig gebessert (geringe Evidenz). Dieser Effekt könnte allerdings durch einen erhöhten Punktwert auf der sexuellen Subskala bedingt sein, spekulieren die Forscher.
Subjektive und objektive Bewegungsfähigkeit: Männer mit Testosterontherapie spürten keine Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit verglichen mit Placebo (geringe Evidenz). Zur Befragung wurden meist die Short Form-36 Health Survey physical function subscale (SF-36) oder die Physical Activity Scale for the Elderly (PASE) verwendet. Objektive Messungen, vor allem mit dem 6-Minuten-Gangtest zeigten eine minimale Erhöhung der Geschwindigkeit (geringe Evidenz).
Stimmung und Vitalität: Die Behandlung ging mit einer kaum nennenswerten Besserung depressiver Symptome einher, wie sich mit Methoden wie Beck Depression Inventory (BDI) herausstellte. Ähnliches ergaben Selbstbewertungen von Fatigue oder Vitalität.
Kognition: Studien zu Testosteron bei Alzheimer-Krankheit und milden kognitiven Defiziten waren klein und wenig aussagekräftig. Größere Studien mit kognitiv normalen Männern ergaben für eine Langzeitbehandlung keinerlei Verbesserung für kognitive Funktionen wie verbales und visuell-räumliches Gedächtnis, sprachliche und Alltagsfähigkeiten. Dabei war es egal, ob die Applikation transdermal über ein Pflaster oder per intramuskuläre Injektion erfolgte. Eine Analyse der jeweils 19 Studien zu den beiden Formulierungen ließ keine signifikanten Unterschiede erkennen.
Mehr Klarheit durch die Leitlinie
Auf Basis dieser Ergebnisse hat das ACP seine Leitlinie erarbeitet. Zunächst stellt das Ärztegremium um Prof. Dr. Amir Qaseem klar: „Die Evidenz stützt nicht die Verordnung von Testosteron für Männer, die sich um die Abnahme von Energie, Vitalität, körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit Sorgen machen.” Und weiter: „Wir raten Ärzten, Männern mit altersbedingt niedrigen Werten Testosteron nur gegen eine sexuelle Dysfunktion zu verschreiben.“
Wir raten Ärzten, Männern mit altersbedingt niedrigen Werten Testosteron nur gegen eine sexuelle Dysfunktion zu verschreiben.
Die Empfehlungen im Detail:
Ärzte sollten mit Patienten erörtern, ob eine Ersatztherapie für sie in Frage kommt, und dabei Nutzen, mögliche unerwünschte Wirkungen, Kosten und persönliche Präferenzen ansprechen.
Falls die Entscheidung für eine Behandlung gefallen ist, sollten Ärzte eine intramuskuläre gegenüber einer transdermalen Formulierung bevorzugen. Das Argument des ACP: Die Kosten der Injektionen seien erheblich niedriger – bei gleicher Wirksamkeit und vergleichbaren Nachteile aber gleich.
Noch innerhalb eines Jahres und dann in regelmäßigen Abständen ist es wichtig, sich bei den Patienten nach dem Stand der sexuellen Störungen zu erkundigen und die Substitution abzubrechen, wenn positive Effekte ausgeblieben sind.
Preisersparnis bei Injektionen wird mit Nachteilen erkauft
In seinem Editorial macht Dr. E. Victor Adlin von der Universität Philadelphia allerdings darauf aufmerksam, dass viele Ärzte den ACP-Vorschlag, die intramuskuläre Applikation zu wählen, kritisch sehen [2]. Zum Beispiel deshalb, weil das Auf und Ab der Blutspiegel nach und vor den Injektionen einer Besserung im Wege stehen könnte.
Wenn diese Applikation auch mit jährlich 156 US-Dollar im Vergleich zu 2.135 US-Dollar des transdermalen Regimes wesentlich preisgünstiger ist, so erschwert doch die Unannehmlichkeit einer Spritze alle 1 bis 4 Wochen die Therapietreue.
Sind die ja eher betagten Patienten dafür auf einen Arzt angewiesen, wird die Einsparung außerdem relativiert. ACP-Präsident McLean hält dagegen: „Die meisten Männer sind imstande, sich das Testosteron selbst zu injizieren, so dass kein Besuch einer Praxis nötig ist.”
Zur Diskussion stehen darüber hinaus mögliche Risiken des Testosterons. Wie alle Autoren übereinstimmend bemängeln, sei keine der Studien von Design und Dauer auf diese Perspektive angelegt. Die Liste der Verdächtigen ist lang: kardiovaskuläre Ereignisse, Bluthochdruck, Prostatakrebs, thromboembolische Erkrankungen, PSA-Anstieg, Gynäkomastie, Hautreaktionen auf transdermale Produkte und sogar erhöhte Mortalität.
Die Risiken – bisher vernachlässigt, jetzt im Fokus
Zwar ließ sich in den wenigen verfügbaren Daten keine Information über höhere gesundheitliche Risiken finden, doch mehr Verlässlichkeit wäre von hohem Interesse. Wegen Sicherheitsbedenken hat die FDA von den Herstellern bereits eine Studie gefordert: Sie wurde TRAVERSE genannt als Kürzel für Testosterone Replacement Therapy for Assessment of Long-term Vascular Events and Efficacy ResponSE in Hypogonadal Men, ist im Mai 2018 gestartet und wird die rund 6.000 Teilnehmer über 4 Jahre beobachten.
Wie Adlin anmerkt, bestünden schon seit der Verfügbarkeit von injizierbarem Testosteron Mitte des 20. Jahrhunderts und später von Pflastern und Gels erhebliche Zweifel über die Eignung dieser Therapie für ein Phänomen, das auch unter der Bezeichnung „männliche Menopause“ kursiere. Denn die Beschwerden könnten vor allem auf chronische Krankheiten, Neben- oder Wechselwirkungen einer Polymedikation oder Fettleibigkeit zurückgehen, argumentiert der Endokrinologe.
Allzu verlockend: Versprechungen von Jugendkraft und Potenz
Doch trotz Warnungen der FDA seien viele alternde Männer verführt durch direkt an sie adressierte Werbebotschaften, Testosteron könne jugendliche Kraft und Potenz wiederherstellen. Denn zwar sinkt der Serumspiegel von Mitte 30 an durchschnittlich um 1,6% pro Jahr, ab welchem Schwellenwert jedoch Symptome auftreten, ist strittig.
Obwohl in den USA schätzungsweise fast ein Fünftel der Männer über 60, ein Drittel über 70 und die Hälfte über 80 Jahre erniedrigte Werte hat, ist doch die Prävalenz eines Mangelsyndroms selten.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Beim Sex tut sich was, aber sonst? Testosteron auf Rezept soll beim Mann Altersmalaisen lindern – ein Review mit Empfehlungen - Medscape - 27. Jan 2020.
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