Kann Luftverschmutzung zu Fehl- und Frühgeburten führen oder dem ungeborenen Baby auf andere Weise schaden? Alarmierende Studien stammen aus China, allerdings aus Regionen, in denen die Feinstaubbelastung um ein Vielfaches über den EU-Grenzwerten liegt.
Maßgeblich für die Beratung der Schwangeren in Deutschland ist dagegen, ob übliche Grenzwerte für Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenstoffdioxid oder Ozon ein Risiko für eine Schwangerschaft darstellen können. Das aktuelle Fazit aus allen vorliegenden Untersuchungen: In Mitteleuropa sind die Einflüsse von Feinstaub auf Schwangerschaft und Geburt nach derzeitiger Erkenntnislage minimal.
Effekt der Luftverschmutzung kaum von Kofaktoren zu trennen
Frühere Untersuchungen haben immer wieder einen scheinbaren Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und dem Risiko für Fehl- und Frühgeburten ergeben. Bei einer detaillierten Analyse der Methoden stellt sich jedoch häufig heraus, dass es Kovariablen waren, welche das erhöhte Fehl- und Frühgeburtsrisiko besser begründen konnten – etwa eine Kombination aus einem Leben in Regionen mit hoher Luftverschmutzung einerseits mit einer schlechten und unsicheren sozioökonomischen Situation andererseits, mit Tabakkonsum, offener Kohle- und Holzfeuerung zu Hause oder gesundheitlich belastenden Situationen am Arbeitsplatz.
Beim Feinstaub (Particulate Matter, PM) wird zwischen Staub mit einer Partikelgröße bis 10 µm (PM10) und bis 2,5 µm (PM2,5) unterschieden.
Belastungen mit Feinstaub (PM2,5 und PM10) in Deutschland und in China
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PM2,5 |
PM10 |
EU-Grenzwert für Jahresmittelwerte |
25 µg/m3 |
40 µg/m3 |
Deutschland, ländlich, Jahresmittelwerte (2017) |
>5 µg/m3 |
>10-15 µg/m3 |
Deutschland, Ballungsräume Jahresmittelwerte (2017) |
10-15 µg/m3 |
20-25 µg/m3 |
Deutschland, Innenstädte |
20-25 µg/m3 |
20-25 µg/m3 |
Innenraum mit Zigarettenrauch* |
Bis zu 600 µg/m3 |
Bis zu 700 µg/m3 |
Innenraum mit Kerzen |
Bis zu 1000 µg/m3 |
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China, mittlere städtische Belastung** |
63-130 µg/m3 |
40-100 µg/m3 |
China, hohe städtische Belastung** |
150-300 µg/m3 |
50-200 µg/m3 |
Quellen: Umweltbundesamt, De Marco C, et al: Multidiscip Respir Med (online) 22. Januar 2016, World Air Quality Project
Studie aus China – für Deutschland nicht aussagefähig
Eine Untersuchung mit über 255.000 Schwangeren aus China sorgte weltweit für Besorgnis: Die Rate an Missed Abortions, also protrahierten Fehlgeburten im 1. Trimester, steige in Regionen mit hoher Luftverschmutzung dramatisch an, so die Autoren um Prof. Dr. Liqiang Zhang, Peking. Missed abortions traten bei 6,8% aller Schwangeren auf. Beobachtet wurde eine Risiko-Erhöhung um etwa 10% bei einer PM2,5-Belastung von 63,2 µg/m3 und ein um 50% erhöhtes Risiko bei einer PM2,5-Belastung über 130,2µg/m3.
Es gibt derzeit weltweit keine weiteren Arbeitsgruppen, die sich mit einem Einfluss der Luftbelastung auf die Rate an Missed Abortions oder Fehlgeburten befassen würde. Insofern ist es nicht möglich, die Studie einzuordnen.
Zhang schreibt, dass man nicht den Einfluss der Luftverschmutzung auf Frühgeburten oder das kindliche Gewicht überprüft habe, weil das die Studiendauer verlängert hätte. Bereits im Abstract erläutern die Autoren, dass Nikotinkonsum nicht erfragt worden sei, weil Frauen in China nicht rauchten. Da aber weit mehr als 30% aller Männer in China rauchen, wäre eine Angabe zum Passivrauchen hilfreich gewesen.
Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass ebenfalls in dieser Studie eine hohe Außenluft-Belastung mit einer hohen Belastung durch Passivrauchen korrelierte. Andere Untersuchungen aus China haben einen deutlichen Zusammenhang zwischen Passivrauchen und einem erniedrigten Geburtsgewicht gefunden.
Das wichtigste Argument jedoch, um die Studie einzuordnen: Die Jahresmittelwerte für die Feinstaubbelastung liegen in Deutschland laut Umweltbundesamt auch in den Innenstädten nur wenig über 20 µg/m3. Eine dauerhafte Luftverschmutzung wie in den chinesischen Metropolen mit Jahresmittelwerten bis 130 g/m3 ist in Mitteleuropa undenkbar. Sogar im Südwesten Polens, in der Umgebung der großen Braunkohle-Kraftwerke liegt die Belastung im Winter nicht höher als 60 µg/m3.
Kinder um 30 g leichter
Zur Frage, welchen Einfluss die Feinstaubbelastung auf eine Schwangerschaft unter mitteleuropäischen Bedingungen haben kann, ist eine aktuelle Studie aus Rhode Island (USA) vielleicht hilfreicher. In der Arbeit unter Leitung von Prof. Dr. Gregory Wellenius, Brown University, Rhode Island, USA, gingen Daten und Untersuchungen von über 60.000 sorgfältig gematchten Mutter-Kind-Paaren aus ländlichen Regionen mit sehr geringer Feinstaubbelastung und aus innerstädtischen Regionen ein.
Hier wurde letztlich festgestellt, dass, ausgehend von einer Feinstaub-armen Umgebung (PM2,5 9,5 µg/m3) eine Erhöhung der Luftbelastung mit Feinstaub (PM2,5) und Kohlestaub das Risiko für Fehl- und Frühgeburten nicht erhöht. Allerdings verringert sich das Geburtsgewicht in Abhängigkeit von der PM2,5-Belastung, und zwar linear um 13 bis 16 Gramm pro 2,5 g/m3 PM2,5.
Dies würde für die Situation in Deutschland bedeuten, dass Kinder, deren Mütter sich vorwiegend in Innenstädten aufhalten, die durch Verkehr, Heizung und Industrie in Deutschland hoch belastet sind, mit einem durchschnittlichen PM2,5von 20 µg/m3, um 30 bis 40 g leichter zur Welt kommen als Kinder aus dem grünen Gürtel derselben Städte.
Eine Studie aus New York mit Daten aus fast 350.000 Schwangerschaften und Geburten hatte eine ähnliche Größenordnung festgestellt, und zwar ein um 48 g geringeres Geburtsgericht pro 10 µg/m3 mehr an PM2,5 .
Passivrauchen vergleichbar mit Innenstadt-Belastung
Wo eine hohe Feinstaub-Belastung auftritt, sind regelmäßig auch die Konzentrationen anderer Luft-Schadstoffe erhöht. Viele der oben zusammengefassten Studien liefern detaillierte Analysen von Ozon, Stickoxiden, Schwefeldioxid und Kohlendioxid. Dabei setzen sie diese Belastungen mit Effekten auf die Schwangerschaft in Korrelation. Doch die Effekte von gasförmigen Schadstoffen oder Feinstaub auf Endpunkte wie das Geburtsgewicht oder Missed Abortions lassen sich nicht isoliert betrachten.
In diesen Zusammenhang gehört auch die bereits oben erwähnte Tatsache, dass Passivrauchen zwar die Schwangerschaftsdauer nicht verkürzt, aber zu einer durchschnittlichen Verringerung des Geburtsgewichts um bis zu 60 g führt und dass das Rauchen von mehr als 10 Zigaretten täglich die ganze Schwangerschaft hindurch das Geburtsgewicht im Durchschnitt um fast 600 g verringert.
„In eigenen Untersuchungen haben wir gezeigt, dass Kinder von Raucherinnen nicht früher, aber im Durchschnitt um etwa 200 g leichter zur Welt kommen als Kinder von Nichtraucherinnen“, erläutert Prof. Dr. Marc Sütterlin, Direktor der Universitäts-Frauenklinik Mannheim, gegenüber Medscape. „Ursachen sind hier natürlich vor allem die Toxine aus dem Zigarettenrauch, zum Teil aber auch der Feinstaub aus der Raumluft“, erklärt Sütterlin.
„Natürlich gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Schadstoffbelastung für Schwangere so weit wie möglich zu reduzieren“, betont der Experte. Aber man muss sich das vor Augen halten, dass das Rauchen und das Passivrauchen, das jedes werdende Elternpaar unmittelbar im Griff hat und beeinflussen könnte, einen größeren Effekt auf das ungeborene Baby hat als jede in Mitteleuropa messbare Feinstaubbelastung.“
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Diesen Artikel so zitieren: Feinstaub und Schwangerschaft: Was man weiß, was man vermutet – und was Eltern tun können - Medscape - 24. Jan 2020.
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