Bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern (nvVHF) und Erhaltungsdialyse stellt die Antikoagulation Ärzte vor große Herausforderungen. Denn trotz der hohen Prävalenz dieser Herzrhythmusstörung bei Dialysepatienten waren diese routinemäßig von Studien mit Vitamin-K-Antagonisten, aber auch direkten oralen Antikoagulanzien, (DOAK) ausgeschlossen. Folglich geben Leitlinien kaum Hinweise, was in der Praxis zu einer großen Variabilität der Therapie geführt hat.
Intuitiv könnten Ärzte dazu tendieren, aufgrund des hohen Schlaganfallrisikos auch Dialysepateinten orale Antikoagulanzien zu verordnen. Andererseits sollten bei diesen erhöhte Blutungsraten, vor allem das Risiko eines hämorrhagischen Schlaganfalls, berücksichtigt werden.
Diesen gordischen Knoten versuchen Forscher um Dr. Toshiki Kuno von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, Mount Sinai Beth Israel, New York, USA, zu zerschlagen [1]. In einer Metaanalyse fanden sie heraus, dass orale Antikoagulanzien bei Patienten mit Vorhofflimmern an der Langzeitdialyse nicht mit einem verringerten Risiko für Thromboembolien assoziiert waren.
Der Vitamin-K-Antagonist Warfarin sowie die DOAK Dabigatran und Rivaroxaban waren mit einem signifikant höheren Blutungsrisiko im Vergleich zu Apixaban oder zu Patienten ohne Antikoagulation assoziiert. „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der oralen Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflimmern an der Langzeitdialyse rechtfertigt die Validierung in randomisierten klinischen Studien“, schreiben die Autoren.
„Die Arbeit bietet einen aktuellen Überblick über Antikoagulationsstrategien zur Schlaganfallprävention und über die Risiken dieser Medikamente bei Dialysepatienten mit nvVHF“, schreiben Dr. Ron Wald vom St. Michael’s Hospital an der University of Toronto, Kanada, und Kollegen in einem begleitenden Editorial [2]. „Durch die Einbeziehung neuer Studien mit direkten oralen Antikoagulanzien erhält der Leser einen wichtigen Einblick in die Erfahrungen mit diesen Medikamenten in der Dialysepopulation.“
Ihr Kritikpunkt: „Obwohl das erweiterte Wissen zu begrüßen ist, bleibt die grundlegendste Frage unbeantwortet: Kann die orale Antikoagulation thromboembolische Ereignisse reduzieren, bei gleichzeitig akzeptablem Blutungsrisiko?“
Metaanalyse mit mehr als 70.000 Patienten
Für ihre Metaanalyse suchten Kuno und seine Koautoren in MEDLINE und EMBASE nach Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener antikoagulativer Pharmakotherapien bei Patienten mit Vorhofflimmern in der Langzeitdialyse. Erfasst wurden alle Veröffentlichungen bis zum 10. Juni 2019. Dabei sollten Informationen zu ischämischen Schlaganfällen und/oder systemischen Thromboembolien, zur Gesamtmortalität und zu schweren Blutungen als Endpunkten vorliegen.
Eingeschlossen wurden 16 Beobachtungsstudien mit 71.877 Patienten. Nur 2 Studien untersuchten direkte orale Antikoagulanzien. Die Daten für Dabigatran und Rivaroxaban beschränkten sich dabei auf größere Blutungsereignisse. Die Ergebnisse im Überblick:
Im Vergleich zu keiner antikoagulativen Therapie waren Apixaban und Warfarin nicht mit einer signifikanten Abnahme des Risikos ischämischer Schlaganfällen bzw. von systemischen Thromboembolien assoziiert (Apixaban 5 mg, Hazard Ratio: 0,59; 95%-Konfidenzintervall: 0,30-1,17; Apixaban 2,5 mg; HR: 1,00; 95%-KI: 0,52-1,93; Warfarin, HR: 0,91; 95%-KI: 0,72-1,16).
Apixaban (5 mg) war aber mit einem signifikant geringeren Sterberisiko verbunden (vs Warfarin, HR: 0,65; 95%-KI: 0,45-0,93; vs Apixaban 2,5 mg, HR: 0,62; 95%-KI: 0,42-0,90; vs kein Antikoagulans, HR: 0,61; 95%-KI: 0,41-0,90).
Warfarin war mit einem signifikant höheren Risiko für schwere Blutungen assoziiert als Apixaban 5 mg/2,5 mg bzw. kein Antikoagulans (vs Apixaban 5 mg, HR: 1,41; 95%-KI: 1,07-1,88; vs Apixaban 2,5 mg, HR: 1,40; 95%-KI: 1,07- 1,82; vs kein Antikoagulans, HR: 1,31; 95%-KI: 1,15-1,50).
Dabigatran und Rivaroxaban waren ebenfalls mit einem signifikant höheren Risiko für schwere Blutungen verbunden als Apixaban und kein Antikoagulans.
Offene Fragen bleiben
Wald und seine Kollegen loben im Editorial die „umfassende Übersicht“ der verfügbaren Studien. Sie geben aber folgendes zu bedenken: „Die aktuelle Metaanalyse erinnert ernüchternd daran, dass Klinikern bei der Entscheidung, ob und wie sie Dialysepatienten mit nvVHF antikoagulieren sollen, nur eine geringe Evidenzbasis zur Verfügung steht.“
Obwohl Kohortenstudien zwar im Vergleich zu klinischen Studien die Realität im Alltag besser abbilden, gebe es hier Schwierigkeiten aufgrund unklarer Indikationen. „Die Entscheidung eines Arztes, eine orale Antikoagulation zu initiieren, könnte auch durch seine subjektive Wahrnehmung des Risikos thromboembolischer Ereignisse zustande kommen und den tatsächlichen Nutzen verzerren“, so die Editorialisten.
Auch Empfehlungen könnten die Wahl der Pharmakotherapien beeinflussen. So sprach sich die US Food and Drug Administration (FDA) bei Dialysepatienten mit nvVHF für Apixaban aus. Prompt schnellten die Verordnungszahlen nach oben.
Unklar sei, inwieweit bei Studien Werte im Zielbereich des International Normalized Ratio (INR) erreicht worden wären, so Wald und Kollegen. Dies sei aber wichtig, um zu klären, wie lange sich Patienten im therapeutischen Fenster befunden hätten.
Darüber hinaus hätten eingeschlossene Arbeiten wichtige Störfaktoren wie die gleichzeitige Anwendung von Thrombozytenfunktionshemmern und Medikamenten, welche die Pharmakokinetik verändern, nicht berücksichtigt.
Und nicht zuletzt könnten sich die Definitionen für kritische Ereignisse wie Schlaganfall und Blutungen sowohl innerhalb der Kohorten als auch zwischen den Studien unterschieden haben. „Die Abhängigkeit von diagnostischen Codes führt wahrscheinlich zu einer gewissen Fehlklassifizierung der wichtigsten Ergebnisse“, befürchten die Kommentatoren.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Problemfall Vorhofflimmern bei Dialyse-Patienten: Vor und Nachteile oraler Antikoagulationsstrategien - Medscape - 23. Jan 2020.
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