Belfast – „Bei Patienten mit septischem Schock verbessert eine intravenöse Behandlung mit Vitamin C, Hydrocortison und Thiamin im Vergleich zu Hydrocortison allein weder das Überleben noch die Häufigkeit einer Vasopressorgabe über 7 Tage signifikant. Dies deutet darauf hin, dass i.v. Vitamin C plus Thiamin die Resolution des septischen Schocks im Vergleich zur alleinigen Gabe von Hydrocortison nicht beschleunigt.“
Diese Schlussfolgerung zieht Dr. Tomoko Fujii, Australian and New Zealand Intensive Care Research Centre, Monash University, Melbourne, Australien, aus den aktuellen Ergebnissen der VITAMINS-Studie, die er beim Critical Care Reviews Meeting in Belfast vorgestellt und parallel online im JAMA publiziert hat [1,2].
Warum Vitamine bei Sepsis?
Patienten mit septischem Schock haben signifikant niedrigere Vitamin-C- und auch Thiamin-Spiegel als nicht septische Patienten. 2017 hatten Prof. Dr. Paul E. Marik, Leiter der Division of Pulmonary and Critical Care Medicine, Eastern Virginia Medical School, Norfolk, USA, und Kollegen in einer retrospektiven monozentrischen Studie mit 94 Patienten gezeigt, dass bei intravenöser Gabe von hochdosiertem Vitamin C, Thiamin und Hydrocortison bei Patienten mit septischem Schock weniger Vasopressoren gegeben werden mussten und die Krankenhaussterblichkeit geringer war.
VITAMINS-Studie
Daher verglichen Fujii und ihre Kollegen in der internationalen, offenen, randomisierten VITAMINS-Studie (The vitamin C, hydrocortisone and thiamine in patients with septic shock trial) den Effekt des Vitamin-Cocktails plus Hydrocortison im Vergleich zu Hydrocortison allein bei Patienten mit septischem Schock.
107 Patienten der Interventionsgruppe erhielten Vitamin C (1,5 g i.v. alle 6 h), Hydrocortison (50 mg i.v. alle 6 h) und Thiamin (200 mg i.v. alle 12 h), die 104 Patienten der Kontrollgruppe wurden mit Hydrocortison (50 mg i.v. alle 6 h) behandelt. Die Behandlung dauerte maximal 10 Tage oder bis zum Ende der Vasopressorgabe oder bis zur Entlassung von der Intensivstation.
Primärer Endpunkt war die Zeit, in der der Patient innerhalb der ersten 7 Tage (168 Stunden) nach Randomisierung am Leben war und keine Vasopressoren benötigte. Zu den sekundären Endpunkten gehörte u.a. die 28-Tage- und die 90-Tage-Sterblichkeit, die Sterblichkeit auf der Intensivstation und im Krankenhaus.
Keine Unterschiede im primären und den sekundären Endpunkten
Der primäre Endpunkt zwischen den beiden Gruppen unterschied sich nicht signifikant: Die Überlebenszeit und die Zeit ohne Vasopressorgabe betrug in der Verumgruppe 122,1 Stunden, in der Kontrollgruppe 124,6 Stunden (p = 0,83). Auch in 9 von 10 sekundären Endpunkten konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gesehen werden.
Nebenwirkungen waren selten, in der Verumgruppe kam es zu je einem Fall von Flüssigkeitsüberladung und Hyperglykämie, in der Kontrollgruppe zu einer gastrointestinalen Blutung.
Kaum positive Ergebnisse zum Vitamincocktail bei Sepsis
Im begleitenden Editorial im JAMA weist Dr. Andre C. Kalil, Division of Infectious Diseases, Department of Internal Medicine, University of Nebraska Medical Center, Omaha, USA, darauf hin, dass Vitamin C allein oder in Kombination nun in 8 randomisierten kontrollierten Studien und 6 Beobachtungsstudien bei Sepsis oder septischem Schock untersucht worden ist.
Die 8 randomisierten Studien mit insgesamt 633 Patienten hätten keinen signifikanten Effekt auf die Sterblichkeit gezeigt. Auch 5 der 6 Beobachtungsstudien mit insgesamt 1.545 Patienten hätten keine Assoziation zwischen Vitamin-C-Gabe und verbessertem Überleben bei Sepsis ergeben.
Dennoch sei eine ganze Reihe weiterer Studien geplant oder liefen derzeit noch. „Betrachtet man die verfügbare Evidenz aus bisher vorliegenden Studien mit mehr als 2.000 Patienten, ist das klinische ‚Equipoise‘ für die Aufnahme weiterer Patienten in Sepsisstudien mit Gaben von hochdosiertem Vitamin C nicht ausreichend“, so Kalil.
Seiner Meinung nach sollte primär versucht werden, möglichst rasch eine adäquate Antibiotikatherapie zu beginnen. Verschiedene Studien hätten gezeigt, „dass jede Stunde Verzögerung bis zum Beginn der Antibiotikagabe das Sterberisiko um 7,5 bis 10% erhöht“.
Die Ergebnisse der VITAMINS-Studie und anderer Untersuchungen lieferten keine Grundlage für eine Behandlung mit hochdosiertem Vitamin C bei Sepsis. Würde diese Therapie trotzdem durchgeführt, könnte dies unliebsame Folgen haben. So könnten hierfür Gelder abgezogen werden, die für die Erforschung von Sepsis-Mechanismen, neuen diagnostischen Möglichkeiten und Therapien fehlen würden. Die Behandlung würde falsche Hoffnungen bei Patienten, ihren Familien und den behandelten Ärzten wecken und möglicherweise lebensrettende Therapien wie eine rasche Antibiotikagabe verzögern.
Studie scheiterte, weil falsch geplant
Ganz anderer Meinung ist jedoch Malik, der in Belfast die VITAMINS-Studie kommentierte. Er sagte, die Studie sei so geplant worden, dass sie scheitern musste. Entscheidend für die Wirksamkeit des Cocktails sei der Applikationszeitpunkt der ersten Dosis, der innerhalb von 6 Stunden nach der ersten Präsentation des Patienten liegen müsse. Idealerweise erfolge die Gabe zusammen mit der ersten Antibiotikadosis.
Nach Mariks Berechnungen habe es aber mehr als 32 Stunden gedauert, bis die Patienten in der VITAMINS-Studie die erste Vitamingabe erhalten hatten. „32 Stunden zu warten ist nicht akzeptabel. Die Studie war zum Scheitern verurteilt.“ Außerdem spiele die Flüssigkeitsmenge eine große Rolle, hierzu fänden sich jedoch keine Angaben in der Studie.
Fujii wies in ihrer Entgegnung darauf hin, dass die Vitamin-Gabe im Mittel 9 bis 12 Stunden nach Diagnose des septischen Schocks erfolgt sei. Die Daten zum Flüssigkeitsvolumen würden derzeit ausgewertet und dann publiziert.
Marik ist davon überzeugt, dass sich 50% der derzeit 11 Mio. weltweiten jährlichen Sepsis-Todesfälle verhindern ließen. Hierzu sei u.a. eine frühe Diagnose, frühe Gabe der richtigen Antibiotika in der korrekten Dosis, früher Einsatz von Noradrenalin, das metabolische Resuscitation-Protokoll aus Steroiden, Vitamin C und Thiamin, ein multidisziplinärer Therapieansatz und eine State-of-the-Art Supportivbehandlung erforderlich.
Er zeigte sich als glühender Verfechter der Vitamin-Gabe, denn sie sei – so zeige seine große Erfahrung – wirksam, ohne Nebenwirkungen und sehr kostengünstig. Aber sie müsse innerhalb von 6 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome beginnen.
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Diesen Artikel so zitieren: Septischer Schock: Vitamin-C-Gabe versagt erneut in Studie – doch dies überzeugt manche seiner Anhänger nicht - Medscape - 21. Jan 2020.
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