Stressulkus-Prophylaxe bei Intensivpatienten: H2-Blocker oder PPI? Was die bislang größte Studie dazu sagt

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

21. Januar 2020

Belfast – Die bislang größte randomisierte Studie in der Intensivmedizin, die PEPTIC-Studie, ergab, dass bei beatmeten Patienten eine Stressulkus-Prophylaxe mit Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) mit einer 90-Tage-Krankenhaussterblichkeit von 18,3% assoziiert war, bei einer Prophylaxe mit Histamin-H2-Rezeptorantagonisten mit einer solchen Sterblichkeit von 17,5%. Der Unterschied war nicht signifikant.

Dr. Paul J. Young, Intensive Care Unit, Wellington Hospital, Wellington, Neuseeland, stellte die Ergebnisse beim Critical Care Reviews (CCR)-Meeting 2020 in Belfast vor und publizierte sie parallel in JAMA [1,2]. Das Ergebnis relativieren die Autoren in JAMA selbst mit dem Hinweis: „Die Interpretation der Studie kann jedoch durch das Crossover der Therapiestrategien begrenzt sein.“

In der Studie wurde ein Cluster-randomisiertes Crossover-Design verwendet – das bedeutet, dass die 50 daran beteiligten Intensivstationen in 5 Ländern randomisiert waren und nicht die einzelnen Patienten.

Prophylaxestrategie am Patienten ausrichten

PD Dr. Morten Hylander Møller, Abteilung für Innere Medizin, Reichshospital, Kopenhagen (Dänemark), beglückwünschte als Diskutant beim CCR-Meeting die Autoren zu dieser pragmatischen Studie. Er bezeichnete sie als „phantastische Studie von hoher Qualität“. Sie habe eine klinisch wichtige Frage mit für den Patienten wichtigen Outcomes untersucht und zu konsistenten Ergebnissen geführt. Die hohe Patientenzahl und die realistische Größe des Effekts waren weitere Pluspunkte auf seiner Liste.

Kritikpunkte sind seiner Meinung nach das offene Design und die kurze Dauer der Stressulkus-Prophylaxe mit weniger als 3 Tagen. Auch das geplante und ungeplante Crossover sah er als problematisch an, denn es „verdünnt die Ergebnisse“. Die Ergebnisse seien jedoch im Vergleich zu anderen Studien robust.

Die große Frage sei aber, wie man nun in der Praxis vorgehen solle. Die niedrige absolute Risikoreduktion führe zu einer hohen Number to Treat bzw. Number to Harm.

Bei einer Stressulkus-Prophylaxe mit PPI sei im Vergleich zu H2-Blocker das Risiko für eine Pneumonie und das Sterberisiko leicht erhöht, das Risiko für gastrointestinale Blutungen gesenkt. Bei Behandlung mit H2-Blockern im Vergleich zu PPI sei es gerade umgekehrt. Seine Empfehlung lautete daher, dass man sich nach dem Patienten richten solle.

Eine Reihe von Fragen sei auch noch offen, beispielsweise die Rolle der enteralen Ernährung und weiterer Risikofaktoren, die Langzeitwirkungen sowie die Kosten.

Optimale Stressulkusprophylaxe unklar

Im begleitenden Editorial im JAMA weisen PD Dr. Todd W. Rice, Division of Allergy, Pulmonary, and Critical Care Medicine, Vanderbilt University Medical Center, Nashville, Tennessee (USA), und seine Kollegen ebenfalls darauf hin, dass die Schlussfolgerung aus diesen Daten nicht so einfach sei [3]. Dies sei insbesondere durch das pragmatische Design mit einem erheblichen Crossover der Therapien bedingt: „20 Prozent der Patienten in der H2-Blocker-Gruppe hatten einen PPI zur Stressulkus-Prophylaxe erhalten.“

 
Das offene Crossover-Cluster-Design … lässt den Kliniker im Unklaren über den besten Weg zur Optimierung der Stressulkus-Prophylaxe beim einzelnen schwer kranken Patienten. PD Dr. Todd W. Rice
 

Darüber hinaus war ein Ausgangspunkt der Studie, die Nachteile von PPI zu untersuchen. Der Nutzen der H2-Blocker war keine Fragestellung. Dies könnte auch zu einem Bias beigetragen haben.

Die Schlussfolgerung der Editorialisten lautete: „Das offene Crossover-Cluster-Design mit unvollständigen Daten zur Therapie des einzelnen Patienten erschwert die Interpretation der Daten und lässt den Kliniker im Unklaren über den besten Weg zur Optimierung der Stressulkus-Prophylaxe beim einzelnen schwer kranken Patienten.“

PPI oder H2-Blocker zur Stressulkus-Prophylaxe auf Intensiv?

Etwa 2,5% der Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden, entwickeln eine obere gastrointestinale Blutung. Um dies zu vermeiden, erhalten etwa 70% eine Stressulkus-Prophylaxe, häufig mit Protonenpumpen-Inhibitoren, aber auch mit Histamin-H2-Rezeptorantagonisten. Diese werden je nach Präferenz der Klinik und des behandelnden Arztes eingesetzt.

PPI sollen zwar gastrointestinale Blutungen besser als H2-Blocker reduzieren, aber gleichzeitig mit einem höheren Risiko für eine Pneumonie und für eine Infektion mit Clostridioides difficile assoziiert sein. Zudem wirken sie immunsuppressiv, die klinische Bedeutung dieses Effekts ist bislang aber unklar.

Die Wirkung der unterschiedlichen Prophylaxe-Strategien auf die Sterblichkeit war bisher noch nicht in ausreichend gepowerten Studien an Intensivpatienten untersucht worden.

PEPTIC-Studie mit 27.000 Teilnehmern

Daher wurden nun in der PEPTIC-Studie (Proton Pump Inhibitors vs Histamine-2 Receptor Blockers for Ulcer Prophylaxis Treatment in the Intensive Care Unit) der Effekt von PPI und H2-Inhibitoren bei beatmeten Intensivpatienten auf die Krankenhaussterblichkeit innerhalb von 90 Tagen verglichen.

An der offenen Cluster-randomisierten Crossover-Studie nahmen in 5 Ländern 50 Intensivstationen mit 26.982 mechanisch beatmeten Patienten teil. In der Cluster-Studie waren die 50 Intensivstationen randomisiert, nicht jedoch die einzelnen Patienten.

Die Intensivstationen wurden randomisiert auf 2 Gruppen: Die eine Gruppe von Stationen wendete bei Verordnung einer Stressulkus-Prophylaxe standardmäßig über 6 Monate PPI an, gefolgt von 6 Monaten H2-Inhibitor, die andere 6 Monate H2-Inhibitor gefolgt von 6 Monaten PPI.

Letztendlich entschied aber der behandelnde Arzt, welche Therapie der Patient erhielt. Trat eine gastrointestinale Blutung auf, wurde diese mit einem PPI behandelt.

Die Prophylaxe dauerte so lange, bis der Patient von der Intensivstation entlassen wurde, bis eine klinisch bedeutsame gastrointestinale Blutung auftrat, bis der Arzt das Ende der Prophylaxe anordnete oder bis der Patient starb.

Primärer Endpunkt war die Krankenhaussterblichkeit innerhalb von 90 Tagen nach der Aufnahme auf die Intensivstation.

Zu den sekundären Endpunkten gehörten gastrointestinale Blutungen, Infektionen mit C. difficile sowie Liegedauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus.

Ähnliche Sterblichkeit mit beiden Therapiestrategien

Zwischen August 2016 und Januar 2019 wurden 26.982 Patienten auf 50 Intensivstationen in Australien, Kanada, England, Irland und Neuseeland in die Studie aufgenommen. Für die Auswertung wurden die Daten von 26.828 Patienten berücksichtigt, von denen 13.436 der PPI-Gruppe und 13.392 der H2-Blocker-Gruppe zugeordnet worden waren. Sie waren im Mittel 38 Jahre alt. 36,1% waren Frauen. 32,9% kamen nach einer elektiven Operation und 18,4% nach einem Notfalleingriff auf die Intensivstation.

Von den Patienten, die der PPI-Intensivstation-Gruppe zugeordnet worden waren, erhielten 82,5% einen PPI, 4,1% einen H2-Blocker, 1,9% PPI plus H2-Blocker sowie 11,5% keine StressulkusProphylaxe.

In der H2-Blocker-Gruppe erhielten 63,6% einen H2-Blocker, 20,1% einen PPI, 5,1% PPI plus H2-Blocker und 11,2% keine Prophylaxe.

In der PPI-Gruppe starben 18,3% der Patienten, in der H2-Blocker-Gruppe waren es 17,5% (Risk Ratio [RR] 1,05, 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,00-1,10). Die absolute Risikodifferenz betrug 0,93 Prozentpunkte (95%-KI 0,01-1,88 Prozentpunkte, p=0,054). Die Ergebnisse des primären Endpunkts erwiesen sich bei unterschiedlichen Analysemethoden als robust.

Auch bei den sekundären und tertiären Endpunkten gab es wenig Unterschiede (Tab. 1).

Tab. 1: Primäre, sekundäre und tertiäre Endpunkte in der PEPTIC-Studie

Endpunkt

PPI

H2-Blocker

RR (95%-KI)

Absolute Risiko-differenz

p-Wert

NNT/NNH

Krankenhaussterblichkeit bis Tag 90

18,3%

17,5%

1,05 (1,00-1,10)

0,92

0,054

125

Gastrointestinale Blutungen

1,3%

1,8%

0,73 (0,57-0,92)

-0,51

0,009

200

C.-difficile-Infektion

0,30%

0,43%

0,74 (0,51-1,09)

-0,11

0,13

769

Tage auf Intensivstation (Median)

3,6

3,3

 

 

0,83

 

Tage im Krankenhaus (Median)

12,2

12,0

 

 

0,66

 

Zeit bis zur Extubation

48,0

48,0

 

 

0,43

 

 

Die geringe absolute Risikoreduktion bedingt nach Aussage von Møller eine hohe Number Needed to Treat (NNT)  bzw. Number Needed to Harm (NNH).

 

Kommentar

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