Schadet ein PSA-Screening mehr als es nutzt? In seinem gerade vorgelegten Vorbericht gelangt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu dieser Einschätzung. Ein PSA-Screening könne zwar einige Patienten vor einer metastasierten Krebserkrankung bewahren, doch die Schäden durch Überdiagnose und Übertherapie überwiegen, schlussfolgert das Institut.
Es hatte im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht, ob Männern ohne Verdacht auf Prostatakrebs innerhalb der gesetzlichen Kassen ein Screening mittels PSA-Test angeboten werden sollte (PSA: prostataspezifisches Antigen).
„Screeningmaßnahmen können erhebliche Schäden nach sich ziehen“, erklärt IQWiG-Leiter Prof. Dr. Jürgen Windeler in einer Stellungnahme des Instituts [1]. „Beim PSA-Screening kommt es insbesondere zu einer beträchtlichen Zahl von Überdiagnosen, die an sich belastend sind, vor allem aber Übertherapien nach sich ziehen und letztlich zu schwerwiegenden und langanhaltenden Komplikationen wie Inkontinenz und Impotenz führen können. Männern ohne Verdacht auf Prostatakrebs sollte deshalb gegenwärtig innerhalb der GKV kein organisiertes Prostatakarzinom-Screening mittels PSA-Test angeboten werden“, so Windeler.
„Die vom IQWiG präsentierten Ergebnisse und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind nicht kongruent und werden von der Datenlage nicht unterstützt“, kritisieren dagegen Prof. Dr. Dr. Jens Rassweiler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), und Prof. Dr. Maurice-Stephan Michel, Generalsekretär der DGU, in einem Positionspapier.
11 Studien mit mehr als 400.000 Teilnehmern ausgewertet
Gemessen an der Neuerkrankungsrate ist das Prostatakarzinom in Deutschland mit 23% aller Krebserkrankungen die häufigste Tumorerkrankung des Mannes. Nach Schätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) wurde 2016 58.000 Männern erstmals die Diagnose Prostatakarzinom gestellt. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 72 Jahren; vor dem 45. bis 50. Lebensjahr tritt das Prostatakarzinom kaum auf. 2017 starben in Deutschland knapp 14.000 Männer an den Folgen eines Prostatakarzinoms. Das waren 3% aller in diesem Jahr gestorbenen Männer.
Für die aktuelle Nutzenbewertung hatte das IQWiG 11 randomisierte Studien mit mehr als 400.000 Männern zwischen 55 und 70 Jahren analysiert. In allen Studien war das PSA-Screening mit keinem Screening auf ein Prostatakarzinom verglichen worden. Die Nachbeobachtungszeit lag zwischen 13 und 20 Jahren.
Als Endpunkte wurden die Gesamtmortalität (4 Studien), die Prostatakarzinom-spezifische Mortalität (10 Studien), die Diagnose metastasierter Prostatakarzinome (4 Studien), Konsequenzen der Überdiagnosen (10 Studien), Konsequenzen der falsch positiven Diagnosen (6 Studien). Die Endpunkte Konsequenzen der falsch negativen Diagnosen, unerwünschte Ereignisse und gesundheitsbezogene Lebensqualität konnten nicht abgedeckt werden.
Laut IQWiG bewahrt ein Screening im Lauf von 12 Jahren 3 von 1.000 Männern, die zur Krebsfrüherkennung eingeladen werden, vor einem metastasierenden Prostatakarzinom. Über einen Zeitraum von 16 Jahren sterben damit von 1.000 Männern, die ein PSA-Screening mitgemacht haben, 3 weniger an einem Prostatakarzinoms. Die Gesamtsterblichkeit sinkt allerdings nicht.
Weil Patienten im Schnitt 72 Jahre alt sind, wenn sie an Prostatakrebs erkranken, sterben viele nicht an einem Prostatakarzinom, sondern an einer anderen Krankheit.
Doch bei mehr als 200 von 1.000 Teilnehmern der Früherkennung entsteht aufgrund eines erhöhten PSA-Werts der Verdacht, dass sie an Krebs erkrankt sein könnten, was sich aber im Nachhinein nicht bestätigt – denn die Menge des prostataspezifischen Antigens im Blut ist nicht nur beim Prostatakarzinom ist. Diese Befunde sind aber für die Männer sehr belastend, so das IQWiG.
Auch könne die zur Abklärung durchgeführte Biopsie zu Infektionen führen. Etwa 35 bis 60 von 1.000 Männern erhalten die Diagnose Prostatakarzinom, obwohl bei ihnen der Krebs nie ein Problem geworden wäre. Die folgende Krebstherapie aber könne bei diesen Männern dauerhaften Schaden anrichten.
Vorteil beim Prostatakarzinom-spezifischen Überleben
Die DGU sieht das anders. Sie weist daraufhin, dass sich beim Prostatakarzinom-spezifischen Überleben und auch bei den Diagnosen metastasierter Prostatakarzinome ein Vorteil für das PSA-Screening zeigt: „Genau das ist aber für den Patienten von großer Bedeutung. Ein Leben mit symptomatischen Metastasen und dauerhafter Systemtherapie auch mit Chemotherapien wird von den meisten Männern nicht angestrebt“, schreiben Rassweiler und Michel.
Sie stellen weiter fest: „Das Risiko von Überdiagnosen betrifft in Deutschland bei einem PSA-Cut Off Wert von 4 ng/ml einen geringen Anteil der Patienten von 0,7 bis 1,6 Prozent.“
Potenziell negative Folgen wie Ängste oder zusätzliche Untersuchungen würden vom IQWiG zwar genannt, aber nicht mithilfe von Daten quantifiziert bzw. objektiviert. So stehen z.B. für den Endpunkt gesundheitsbezogene Lebensqualität keine randomisierten Daten zur Verfügung.
„Dennoch wird die vermeintlich eingeschränkte Lebensqualität mehrfach als Argument gegen ein PSA-Screening angeführt“, heißt es in der Stellungnahme. Auch würden die Daten der ERSPC-Studie aus Finnland nicht berücksichtigt: Diese Studie habe gezeigt, dass psychische Belastung und Lebensqualität nach einer Biopsie ohne Krebsnachweis gleich seien wie bei den Patienten ohne Gewebeprobe.
Der im Vorbericht verwendete Begriff „falsch-positiv“ sei für Patienten irreführend, denn ein PSA-Wert größer 4 ng/ml sei eben kein Beweis für ein Prostatakarzinom. Ohnehin müsse der PSA-Wert mit dem behandelnden Urologen ausführlich diskutiert und durch weitere Untersuchungen ergänzt werden, argumentieren die Urologen weiter.
Vernachlässigt werde auch, dass nicht die absolute Betrachtung des PSA-Wertes im klinischen Alltag von Bedeutung sei, sondern Parameter wie die PSA-Geschwindigkeit oder verschiede PSA-Quotienten nützliche Hinweise auf das Vorliegen eines Prostatakarzinoms geben können.
Das spiegele sich auch in der S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom wider: „Diejenigen Männer, die von sich aus nach einer Früherkennung fragen, sollen ergebnisoffen über die Vor- und Nachteile aufgeklärt werden. Dabei sollen der mögliche Nutzen wie auch die Risiken (Überdiagnose und Übertherapie) in natürlichen Zahlen und auch grafisch dargestellt werden.“
Ohnehin werde für ältere Patienten (über 70 Jahre), die einen niedrigen PSA-Wert aufweisen (< 1 ng/ml), eine weitere PSA-gestützte Früherkennung nicht empfohlen.
Berufsverband: PSA-Wert das beste „Aufgreifkriterium“
Welche Bedeutung der PSA-Wert für die Prostatakarzinom-Diagnostik hat, hatte Dr. Axel Schroeder, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Urologen (BvDU) im September vergangenen in einem Interview mit dem Ärztenetzwerk (änd) Jahres betont: „Der PSA-Wert ist das beste Aufgreifkriterium, das wir zur Zeit haben. Die Gynäkologen wären froh, wenn sie für das Mammakarzinom so einen Marker hätten. Es ist ein Aufgreifkriterium, das es uns ermöglicht – bei auffälligem Verlauf der Werte mit einer zusätzlichen Gewebeprobe – frühzeitig ein Prostatakarzinom zu entdecken. Wenn man nichts sieht und nichts fühlt, ist das PSA der einzige Parameter, der Orientierung bietet. Der PSA-Wert signalisiert, ob mit der Prostata irgendetwas nicht in Ordnung ist.“
Die DGU schreibt, dass man den Vorentwurf und die daraus entstandene Vermengung von individualisierter Früherkennung und populationsbasiertem PSA-Screening mit Bedauern zur Kenntnis nehme. „Hierdurch besteht die Gefahr, dass Männer Früherkennungsuntersuchungen vermeiden und in der Konsequenz langjährige Belastungen durch Metastasen, lokale Symptome und Behandlungsfolgen durch Chemotherapien sowie die Mortalität zukünftig stark zunehmen.“
DGU wird eine ausführliche Stellungnahme einreichen
Am 20. Dezember 2018 hat der G-BA die Einleitung eines Beratungsverfahrens zur Bewertung des PSA-Screenings beschlossen. Der Abschlussbericht des IQWiG soll im September 2020 vorliegen. Im Januar 2022 soll dann im G-BA die abschließende Entscheidung fallen. Stellungnahmen zum Vorbericht nimmt das IQWiG bis zum 3. Februar 2020 entgegen.
Die DGU wird jetzt eine ausführliche Stellungnahme beim IQWiG einreichen. Sie verbindet damit die Erwartung, dass im Abschlussbericht der Nutzen einer individualisierten Prostatakarzinom-Früherkennung dargestellt wird. Gerade auch im Hinblick darauf, dass eine individuelle Früherkennung das Prostatakarzinom-bedingte Sterben reduziert und das Auftreten von Metastasen und schwerwiegenden Systemtherapien verringern kann.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Prostatakrebs: IQWiG-Vorbericht sieht beim PSA-Screening „mehr Schaden als Nutzen“ – Fachgesellschaften widersprechen - Medscape - 15. Jan 2020.
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