Derzeit haben Ärzte beim Systemischen Lupus erythematodes (SLE) wenig Möglichkeiten – vor allem, wenn Erstlinientherapien versagen. Umso größer sind die Erwartungen in Anifrolumab: einen Antikörper, um die Interferonwirkung zu hemmen. Er verfehlte in der TULIP-1-Studie die Endpunkte, gemessen am SLE-Responder-Index 4 (SRI4).
Jetzt hat sich das Blatt gewendet: In der TULIP-2-Studie verringerte Anifrolumab die Krankheitsaktivität im Vergleich zu Placebo signifikant – gemessen am BILAG Based Lupus Assessment (BICLA), der auf dem Aktivitätsscore der British Isles Lupus Assessment Group (BILAG) basiert.
Außerdem konnte die Glukokortikoid-Dosis unter Verum häufiger verringert werden, und der Schweregrad kutaner Symptome verringerte sich stärker. Unterschiede bei der Anzahl geschwollener und empfindlicher Gelenke und beim erneuten Aufflammen der Krankheit waren zwischen beiden Gruppen nicht signifikant.
Das berichten Forscher um Prof. Dr. Eric F. Morand vom Centre for Inflammatory Disease, Monash University, Melbourne, im New England Journal of Medicine [1].
Alles nur eine Frage des Krankheitsscores?
„Im Großen und Ganzen gibt es 2 standardisierte Endpunkte, die als gleichwertig gelten, nämlich SRI4 und BICLA“, sagt Prof. Dr. Martin Aringer zu Medscape. Er ist Bereichsleiter Rheumatologie an der Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie.
Aringer: „Eigentlich sprechen die meisten Ergebnisse der letzten Jahre dafür, dass der BICLA der bessere Endpunkt ist, auch wenn wir alle das damit verknüpfte Werkzeug wegen seiner Komplexität nicht so richtig mögen.“
Seine Einschätzung: „Der Switch von SRI zu BICLA als primärem Endpunkt ist passiert, bevor die Daten ausgewertet wurden, so dass das aus meiner Sicht wissenschaftlich in Ordnung ist. Zudem wäre auch der SRI erfüllt worden. Aus meiner Sicht ist die Studie damit ganz klar positiv.“
Was bei TULIP-1 schiefgelaufen sei, bleibe allerdings unklar. „Auch dort sahen die meisten Endpunkte vernünftig aus, seit das Problem mit den NSAR bereinigt wurde, nur der SRI bewegte sich nicht.“ Studienärzte hatten nämlich festgestellt, dass die Patienten mit SLE häufig nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) einnahmen – teilweise auch kurz vor der Anifrolumab-Gabe. Da die Forscher befürchteten, die antiinflammatorischen Eigenschaften der NSAR könnten die Effekte des Antikörpers verzerren, wurden Patienten, die NSAR nahmen, schließlich ausgeschlossen.
Aringer jedenfalls hofft nach TULIP-2 auf neue Therapien: „Wir haben gerade für den SLE ohne aktive Nierenbeteiligung nur knapp eine Hand voll zugelassener Medikamente. Der Ansatz, den gemeinsamen Typ-I-Interferon-Rezeptor zu blockieren, ist auch naturwissenschaftlich logisch, weil der Großteil der aktiven SLE-Patientinnen und -Patienten Zeichen einer Interferonaktivität (interferon signature) hat.“
Primärer Endpunkt bei der TULIP 1-Studie nicht erreicht
Zum Hintergrund: Patienten mit SLE, einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, erhalten als Erstlinientherapie Hydroxychloroquin und bei Bedarf Immunsuppressiva und niedrig dosierte Glukokortikoide.
Sollten die Arzneistoffe nicht den gewünschten Effekt zeigen, bleibt bisher nur ein gegen den B-Zell-Wachstumsfaktur BLyS/BAFF gerichteter Antikörper (Belimumab) als zugelassene Option, um überschießende Immunreaktionen zu kontrollieren.
Zwischen 60% und 80% der Erwachsenen mit SLE zeigen erhöhte Aktivität Interferon-induzierter Gene, was zur Überproduktion von Typ-I-Interferon führt. Anifrolumab, ein humanisierter, monoklonaler Antikörper, bindet an den Typ-I-Interferonrezeptor und blockiert die Aktivität von Typ-I-Interferonen wie Interferon-α und Interferon-β.
Nach einer sehr erfolgreichen Phase-2-Studie erreichte Anifrolumab in der TULIP-1-Phase-3-Studie (Treatment of Uncontrolled Lupus via the Interferon Pathway) nicht den primären Endpunkt. Hier wurden 457 Patienten mit mittelschwerem bis schwerem SLE im Verhältnis 1:2:2 randomisiert. Sie erhielten alle 4 Wochen 150 mg Anifrolumab, 300 mg Anifrolumab oder Placebo als Infusion.
Es kam nach 12 Monaten zu keiner statistisch signifikanten Verringerung der Krankheitsaktivität, gemessen anhand des SLE-Responder-Index 4 (SRI4). Beim SRI werden 3 Indizes kombiniert, nämlich der SELENA-SLE Disease Activity Index (SELENASLEDAI), das Physician Global Assessment (PGA) und der Index der British Isles Lupus Assessment Group (BICLA).
Die häufigste Nebenwirkung war Gürtelrose, die bei 5% der Patienten in der Niedrigdosisgruppe, bei 10% in der Hochdosisgruppe und bei 2% in der Placebogruppe auftrat. Die Gesamtrate an Nebenwirkungen war in allen Gruppen ähnlich.
Erfolg im 2. Anlauf
Doch bei der TULIP-2-Studie wendete sich das Blatt, wie AstraZeneca bereits Ende August in einer Pressemeldung schrieb. Damals wurden die Ergebnisse nur im Überblick veröffentlicht.
Forscher randomisierten 365 Patienten im Verhältnis 1:1. Sie erhielten alle 4 Wochen eine intravenöse Festdosis von 300 mg Anifrolumab oder Placebo. Im Unterschied zu TULIP-1 wurde die Krankheitsaktivität anhand des Composite Lupus Assessment der British Isles Lupus Assessment Group in Woche 52 bestimmt.
Der sogenannte BICLA erfordert eine Verbesserung der Krankheitsaktivität in allen Organen, verglichen mit dem Studienbeginn, und keine neu auftretenden inflammatorischen Vorgänge.
„Die Messung des Ansprechens auf die Behandlung bei SLE war sehr problematisch und stellt eine Art zweiter Durchbruch dieser Studie dar“, kommentierte Morand in der Meldung.
Es kam unter Verum zu einer statistisch signifikanten und klinisch bedeutsamen Verringerung der Krankheitsaktivität im Vergleich zu Placebo in Woche 52. Die Nebenwirkungen waren mit Daten aus TULIP-1 vergleichbar.
Details im NEJM veröffentlicht
Mitte Dezember folgte eine Veröffentlichung der detaillierten Studienergebnisse im New England Journal of Medicine. Als primären Endpunkt hatten die Forscher – wie bereits kommuniziert – ein Ansprechen anhand der BICLA-Kriterien definiert.
Hinzu kamen als sekundäre Endpunkte eine BICLA-Reaktion bei Patienten mit einer hohen Interferon-Gen-Signatur zu Studienbeginn, eine Verringerung der Glukokortikoid-Dosis, der Schweregrad bei dermaler Manifestation, die Anzahl betroffener Gelenke sowie die jährliche Rate an erneutem Aufflammen der Krankheit.
Insgesamt wurden Daten von 362 Studienteilnehmern ausgewertet. 180 erhielten Anifrolumab und 182 Placebo. Ein Ansprechen anhand der BICLA-Kriterien zeigten 47,8% in der Anifrolumab-Gruppe und 31,5% in der Placebogruppe (Differenz, 16,3 Prozentpunkte; 95%-KI 6,3-26,3; p=0,001).
Bei Patienten mit einer hohen Interferon-Gensignatur betrug der Prozentsatz mit einer Reaktion 48,0% in der Anifrolumab-Gruppe und 30,7% in der Placebogruppe; bei Patienten mit niedriger Interferon-Gensignatur waren es 46,7% versus 35,5%.
Sekundäre Endpunkte in Bezug auf die Glukokortikoid-Dosis und die Schwere der Hauterkrankung zeigten ebenfalls einen signifikanten Vorteil mit Anifrolumab.
Bezüglich der Anzahl involvierter Gelenke und der jährlichen Rate an neuerlichem Aufflammen der Krankheit gab es jedoch keinen Unterschied zu Placebo. Herpes zoster und eine Bronchitis traten bei 7,2% bzw. 12,2% der Patienten auf, die Anifrolumab erhielten. In der Anifrolumab-Gruppe gab es einen Todesfall durch Lungenentzündung.
„Die monatliche Gabe von Anifrolumab führte zu einem höheren Prozentsatz von Patienten mit einer Reaktion, definiert durch einen zusammengesetzten Endpunkt in Woche 52 als Placebo, im Gegensatz zu den Ergebnissen einer ähnlichen Phase-3-Studie mit Patienten mit SLE, die einen anderen primären Endpunkt hatten“, fassen die Autoren zusammen.
Wie gut ist gut genug?
In einem Editorial stellen Dr. Jane E. Salmon vom Weill Cornell Medical College und Dr. Timothy B. Niewold von der NYU School of Medicine, beide in New York, die Frage: „Wie gut ist gut genug?“ [2]Sie schreiben: „Die Auswahl von Endpunkten ist beim Studiendesign bei Lupus eine Herausforderung und könnte zu den scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen der TULIP-1 und TULIP-2 Studien beigetragen haben.“
SLE sei klinisch sehr heterogen; die Krankheitsaktivität manifestiere sich in bis zu 8 Organsystemen. Neben Typ-I-Interferonen seien weitere Signalwege dysreguliert. „Es wäre zu erwarten, dass der SRI und der BICLA ähnliche Ergebnisse liefern“, schreiben die Editorialisten. Genau das sei aber nicht der Fall gewesen. Wie es dazu kommen konnte – vor allem beim nahezu identischen Design der beiden TULIP-Studien – können auch sie nicht sagen.
Was bedeuten die Ergebnisse für Ärzte? „Betrachtet man die beiden Endpunkte, die Ansprechraten anhand von BICLA und SRI, die in den 3 Anifrolumab-Studien (MUSE, TULIP-1 und TULIP-2) verwendet wurden, so haben die Ergebnisse für 5 der 6 primären und wichtigsten sekundären Endpunkte das Medikament gegenüber Placebo begünstigt“, fassen Salmon und Niewold zusammen.
„Angesichts der Notwendigkeit, Patienten mit SLE neue Medikamente zur Verfügung zu stellen, hat die Lupus-Gemeinschaft Aufsichtsbehörden dazu aufgefordert, Studiendesigns in Betracht zu ziehen, die eine größere Flexibilität bei der Definition des Erfolgs erlauben“, so die Editorialisten. Vielleicht müsse man den Nutzen anhand nur eines Endpunkts, SRI oder den BCLA, bewerten, um den Nutzen zu belegen.
Langfristig hoffen Salmon und Niewold jedoch auf Biomarker, um Patienten zu erkennen, die besonders gut auf eine Therapie ansprechen.
Zulassung geplant
AstraZeneca wird eigenen Angaben zufolge nun mit Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um Patienten Anifrolumab zur Verfügung zu stellen. Sprich: Eine Zulassung wird auf den jetzt veröffentlichten Daten basieren.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Erfolg im 2. Anlauf: Neue Studie zeigt Benefit von Interferon-Antikörper Anifrolumab bei SLE – Zulassung geplant - Medscape - 16. Jan 2020.
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