Nun also doch? Weitere Hinweise auf Populationsebene für Krebsprävention durch ASS – das sollten Onkologen wissen

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

14. Januar 2020

Handelt es sich bei Acetylsalicylsäure (ASS) doch um mehr als um ein Schmerzmittel und einen Thrombozytenaggregationshemmer? Das behaupten zumindest US-Fachgesellschaften. Sie raten allen Menschen zwischen 50 bis 59 Jahren ohne Grunderkrankungen, niedrig dosiertes Aspirin einzunehmen – auch, um Krebserkrankungen vorzubeugen. 

Zum Benefit der prophylaktischen Gabe gibt es neue Daten: Schlucken Patienten ASS mehrmals pro Monat, ist dies laut Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian (PLCO)-Studie mit einer geringeren Gesamtmortalität und einer geringeren krebsbezogenen Mortalität assoziiert. Darüber hinaus verringerte die wöchentliche Anwendung das Sterberisiko speziell bei Magen- bzw. Darmkrebs signifikant und reduzierte alle Endpunkte zur Mortalität unabhängig vom Body-Mass-Index (BMI).

 
Bislang gibt es keine klare Datenlage zum Einsatz von ASS in der Prävention und Tertiärprävention bei Krebserkrankungen. PD Dr. Georgia Schilling
 

Zu den Ergebnissen kommt ein Team um Dr. Holli A. Loomans-Kropp vom National Cancer Institute in Rockville, Maryland. Die Ergebnisse einer Post-hoc-Analyse von 146.152 Personen wurden in JAMA Network Open veröffentlicht [1].

„Bislang gibt es keine klare Datenlage zum Einsatz von ASS in der Prävention und Tertiärprävention bei Krebserkrankungen“, sagt PD Dr. Georgia Schilling zu Medscape. Sie ist Chefärztin onkologische Rehabilitation bei der Asklepios Nordseeklinik Westerland GmbH. Schilling: „Die Daten, die für das kolorektale Karzinom vorliegen, weisen zwar auf einen positiven Effekt durch die Langzeit-ASS-Einnahme hin, haben aber bislang noch keinen Einzug in die deutsche S3-Leitlinie gefunden.“

Die Expertin ergänzt: „Vielleicht ändert sich dies ja jetzt aufgrund der vorliegenden Studie, die eine beachtliche Zahl von Probanden, fast 150.000, untersucht hat und zeigen konnte, dass eine regelmäßige ASS-Einnahme von 3-mal oder häufiger pro Monat die Gesamtmortalität, die Krebsmortalität und bei einem erhöhten BMI die Mortalität für gastrointestinale und kolorektale Karzinome bei älteren Menschen über 65 Jahren senken kann.“

Dennoch gibt es Schwachpunkte: „Kritisch muss man anmerken, dass es sich um selbst-berichtete Daten der Probanden handelt, die gegebenenfalls nicht immer die Realität richtig widerspiegeln.“ Sie wünscht sich daher eine kontrollierte prospektive randomisierte Studie, um die Daten der retrospektiven Kohorten-Analyse zu verifizieren.

Unklare Ergebnisse aus früheren Studien

Zum Hintergrund: Schon lange gibt es Hinweise, dass ASS über die Hemmung der Prostaglandin-Synthese prophylaktisch gegen maligne Erkrankungen wirken könnte. Allerdings finde man widersprüchliche Hinweise aus der Literatur, schreiben Loomans-Kropp und Kollegen.

So zeigte beispielsweise die Studie Aspirin in Reducing Events in the Elderly (ASPREE), dass gesunde Erwachsene im Alter von 65 bis 70 Jahren, die täglich 100 mg verkapselte Acetylsalicylsäure einnahmen, eine höhere Gesamtmortalität hatten als Kontrollen mit Placebo (Hazard Ratio [HR] 1,14; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,01-1,29). Das lag vor allem an Krebserkrankungen. An ASPREE nahmen 19.114 Probanden teil; 9.525 erhielten Verum und 9.589 Placebo. Sie wurden im Median 4,7 Jahre nachbeobachtet.

Diese Studie widersprach anderen Arbeiten mit Hinweisen auf protektive Effekte: Epidemiologische Studien legen eine signifikante Verringerung des Risikos von gastrointestinalen Tumoren nahe.

Dazu zählen u.a. die NIH-AARP-Studie, die Nurses Health-Studie und die Health Professionals Follow-up-Studie. Der Effekt betrifft vor allem Adipositas- und Entzündungs-assoziierte Krebsarten, insbesondere Darmkrebs. Alle Ergebnisse wurden zusätzlich von einer 2010 durchgeführten Metaanalyse randomisierter klinischer Studien bestätigt.

Loomans-Kropp und Kollegen wollten daher die Frage, ob ASS protektiv wirkt, erneut aufgreifen und für eine bessere Evidenz sorgen. Ihnen ging es aber auch um die Frage, ob ASS bei übergewichtigen oder adipösen Personen möglicherweise schwächer wirkt.

Daten von knapp 150.000 Personen ausgewertet

Von der PLCO-Studie erhofften sich die Forscher neue Erkenntnisse. Zum Studiendesign: 146.152Teilnehmer im Alter von 55 bis 74 Jahren wurden randomisiert. Sie nahmen in 10 Zentren in den USA an Untersuchungen zur Krebsvorsorge teil oder wurden einem Kontrollarm ohne Prävention zugewiesen.

Loomans-Kropps spezielle Analyse nahm Teilnehmer auf, die zu Beginn der Studie 65 Jahre oder älter waren oder während der Nachbeobachtung bis zum Alter von 65 Jahren überlebten. Das durchschnittliche Alter zu Beginn der Studie lag bei 66,3 Jahren; etwas mehr als die Hälfte waren Frauen.

Bei der aktuellen Fragestellung profitierten die Forscher von einer Besonderheit. In Amerika ist die prophylaktische Einnahme von ASS weiter verbreitet als in Deutschland. So empfiehlt die US Preventive Services Task Force niedrige Dosen zur Vorbeugung sowohl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch von Darmkrebs bei Personen im Alter von 50 bis 59 Jahren mit einem durchschnittlichen Erkrankungsrisiko.

Bei Personen im Alter von 60 bis 69 Jahren sollte die ASS-Gabe dann individualisiert erfolgen. Die aktuelle Analyse basiert auf Angaben der Teilnehmer zur Einnahme von ASS.  

Signifikante Verringerung des Krebsrisikos unabhängig vom BMI

Bei einer medianen Nachbeobachtung von 12,5 Jahren (8,7 bis 16,4 Jahre) war die Gesamtmortalität um 16% (HR 0,84, 95% KI 0,80-0,88, p<0,001) geringer bei Probanden, die 1- bis 3-mal im Monat ASS einnahmen, gegenüber denjenigen, die keine ASS einnahmen.

Bei 1- bis 2-maliger Anwendung pro Woche war die Mortalität unabhängig von der Ursache ebenfalls niedriger (HR 0,86, 95% KI 0,81-0,90, p<0,001). Eine ähnliche Risikoreduktion für alle Ursachen wurde auch bei der 3- oder mehrmaligen Anwendung pro Woche beobachtet (HR 0,81, 95% KI 0,80-0,83, p<0,001).

 
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die prophylaktische ASS-Einnahme das Mortalitätsrisiko älterer Menschen reduzieren kann. Dr. Holli A. Loomans-Kropp und Kollegen
 

Die Krebsmortalität war geringer, wenn ASS 1- bis 3-mal pro Monat eingenommen wurde (HR 0,87, 95% KI 0,81-0,94, p<0,001). Eine häufigere Einnahme – 3 oder mehr Gaben pro Woche – war ebenfalls mit einer verringerten Krebsmortalität verbunden, obwohl der Effekt eher gering ausfiel (HR 0,85, 95% KI 0,81-0,88, p<0,001).

Nahmen Probanden ASS mindestens 3-mal pro Woche ein, beobachteten die Forscher eine Risikoreduktion bei der Mortalität durch gastrointestinale (HR 0,75, 95% KI 0,66-0,84, p<0,001) und kolorektale Krebserkrankungen (HR 0,71, 95% KI 0,76-0,89, p<0,001).

Eine weitere Frage konnte das Team um Loomans-Kropp ebenfalls klären: Bei der Stratifizierung aller Teilnehmer nach dem BMI-Basiswert zu Studienbeginn verringerte sich die Gesamtmortalität und die krebsbezogene Mortalität signifikant, ohne dass dieser scheinbare Schutzeffekt für übergewichtige oder adipöse Personen vermindert war.

„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die prophylaktische ASS-Einnahme das Mortalitätsrisiko älterer Menschen reduzieren kann“, schlussfolgern die Autoren.

Einschränkungen aus Sicht der Autoren

Als größtes Manko sehen sie selbst, dass Angaben zu ASS per Patientenfragebogen erfasst wurden. Vielleicht hätten Laien manche Präparate aufgrund von Handelsnamen nicht als ASS erkannt und damit nicht angegeben, meinen sie. Außerdem seien die Angaben zur Dosis begrenzt, so dass hier keine weiteren Analysen möglich sind.

„Diese Probleme könnten zusammen mit nicht erfassten Kovariaten das Fehlen einer Dosis-Wirkungs-Assoziation für das Mortalitätsrisiko in den beobachteten Daten erklären“, schreiben die Forscher. Sie vermuten auch, dass Personen ASS vielleicht aufgrund von Blutungen im Magen-Darm-Bereich vor der Studienteilnahme abgesetzt haben – und die höhere Mortalität sich auf bereits vorhandene Erkrankungen zurückführen lässt.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....