Je mehr stark verarbeitete Lebensmittel wie Fertiggerichte oder Schokoriegel auf ihrem Speiseplan standen, desto höher war bei Teilnehmern der NutriNet-Santé-Kohorte das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken [1].
Diabetesforscher Dr. Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke findet das durchaus plausibel, schränkt aber ein: „Es ist nur eine Beobachtungsstudie und die statistische Beziehung kann nicht als kausaler Beweis gewertet werden, weil die Menschen, die viele verarbeitete Lebensmittel essen, auch andere Verhaltensweisen zeigen, die das Risiko für Typ-2-Diabetes beeinflussen. Das kann man statistisch herausrechnen, aber das gelingt nicht immer ganz sauber. Deshalb braucht man zusätzlich Interventionsstudien.“

Dr. Stefan Kabisch
10 Prozent mehr Fertigpizza – 15 Prozent höheres Diabetesrisiko
Der Ernährungsepidemiologe Dr. Bernard Srour vom Deutschen Krebsforschungszentrum hat mit französischen und brasilianischen Kollegen die Ernährung von knapp 105.000 Teilnehmern der prospektiven NutriNet-Santé-Kohorte ausgewertet. Teilnehmer, die schon bei Aufnahme in die Studie an Diabetes litten, wurden aus der Auswertung ausgeschlossen.
Während der im Mittel 6 Jahre dauernden Follow-Up-Periode erkrankten 821 Teilnehmer neu an Typ-2-Diabetes. Dabei war das Risiko mit zunehmendem Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel statistisch signifikant erhöht. So erhöhten 10% mehr an Fertigpizza und Co das Diabetesrisiko um etwa 15%, berechneten die Wissenschaftler.
Das sei eine durchaus bedeutsame Steigerung, erklärt Kabisch. „In der deutschen Bevölkerung haben wir etwa einen Anteil von zehn Prozent, die einen Diabetes haben. Dieser Anteil würde sich um 15% steigern, das wären dann 11,5%. Das betrifft eine ganze Menge Menschen, weil das keine seltene Erkrankung ist.“
Im Schnitt 17 Prozent stark verarbeitete Lebensmittel
Die Teilnehmer der Kohortenstudie, die zu etwa 80% aus Frauen bestanden, hätten sich dabei sogar vergleichsweise gesund ernährt, schreiben die Autoren. Sie füllten mehrfach Fragebogen aus, in denen sie eintragen sollten, was sie innerhalb der letzten 24 Stunden gegessen hatten.
Daraus berechneten die Autoren den durchschnittlichen Anteil von stark verarbeiteten Lebensmitteln an ihrer Ernährung. Der lag innerhalb der Gesamtgruppe bei rund 17%. Den größten Teil davon machten Süßigkeiten wie Schokolade, abgepackte Kekse oder Kuchen aus. In der Gruppe mit dem höchsten Verzehr lag der Anteil der stark verarbeiteten Speisen bei 30%.
Die Autoren berechneten den Anteil der verarbeiteten Lebensmittel an der Ernährung allerdings nach Gewicht anstatt wie sonst häufig üblich nach Kalorien. Damit wollten sie mit Süßstoff gesüßte Getränke mit einbeziehen, die wenig Kalorien haben.
Dieses Vorgehen hat aber auch Nachteile, glaubt Kabisch. Denn die Nahrungsmenge könne bei gleicher Kalorienzahl sehr stark schwanken, je nachdem, was genau einzelne Versuchspersonen essen: „Das ist sicher ein Kritikpunkt. Ich kann ganz viel Gemüse essen, das sehr viel wiegt, und habe dann ganz andere Mengen als bei anderen Lebensmitteln.”
Damit würde die gleiche Fertigpizza bei einem Gemüseesser einen viel geringeren Anteil am gesamten Nahrungsgewicht einnehmen als bei jemandem, der Lebensmittel mit höherer Kaloriendichte bevorzugt.
Genaue Ursache unklar
Die Wissenschaftler nutzten in der vorliegenden Studie die sogenannte NOVA-Klassifizierung. Lebensmittel der am stärksten verarbeiteten Stufe NOVA 4 haben danach diverse Industrieprozesse durchlaufen und enthalten in der Regel Zutaten, die in der heimischen Küche eher nicht zum Einsatz kommen, etwa industrielle Süßungsmittel wie Invertzuckersirup, Geschmacksverstärker, Farbstoffe oder Hilfsstoffe wie Emulgatoren.
Was allerdings für die möglichen negativen Wirkungen der stark verarbeiteten Lebensmittel verantwortlich sein könnte, kann bisher niemand genau sagen. „Man müsste die Zusatzstoffe alle einzeln untersuchen. Das kann man mit Beobachtungsstudien nicht und die Interventionsstudien, die man dazu bräuchte, die gibt es kaum“, bedauert Kabisch.
Zum Teil lassen sich Effekte möglicherweise dadurch erklären, dass bereits bekannte Risikofaktoren wie Softdrinks ebenfalls zu den stark verarbeiteten Lebensmitteln gehören oder dass Schutzfaktoren wie Ballaststoffe in Fertigmahlzeiten seltener vorkommen. Das könne allerdings nicht komplett die berechnete Wirkung erklären, schreiben die Autoren.
Auch Gewichtszunahme wurde in einer Interventionsstudie (wie Medscape berichtete) bereits mit stark verarbeiteten Lebensmitteln in Verbindung gebracht. Ein höheres Körpergewicht gilt ebenfalls als Risikofaktor für Typ-2-Diabetes.
Die Autoren vermuten allerdings, dass noch weitere Inhaltsstoffe oder Eigenschaften der stark verarbeiteten Lebensmittel eine Rolle spielen. Wegen der meist langen Haltbarkeit könnten mehr Stoffe aus Verpackungsmaterial in stark verarbeiteten Lebensmitteln und Getränken zu finden sein. „Menschen, die mehr Softdrinks trinken, trinken diese oft aus Plastikflaschen, da könnten Weichmacher eine Rolle spielen“, erläutert Kabisch.
Lieber selbst kochen
International wird bereits häufig empfohlen, Fertiggerichte und Co nach Möglichkeit zu meiden. Dabei hat sich die Wissenschaft allerdings bisher auf keine einheitliche Definition von stark verarbeiteten Lebensmitteln geeinigt.
Die NOVA-Klassifizierung ist nur eine der Möglichkeiten, den Verarbeitungsgrad zu definieren. „Die Beweislage ist so, dass man stark verarbeitete Lebensmittel meiden sollte. Das kann aber schwierig sein, weil das nicht immer klar erkennbar ist, ob ein Lebensmittel in diese Kategorie gehört.“
In der Regel ist selbst kochen und zubereiten die beste Möglichkeit, hochverarbeitete Industrielebensmittel zu meiden. Kabisch bezweifelt allerdings, dass das immer praktikabel ist: „Man kann nicht erwarten, dass jeder wieder selbst Brot backt und Joghurt anrührt, da ist auch die Industrie gefragt, wieder mehr Wert auf naturbelassenere Lebensmittel zu legen.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: 10 Prozent mehr Fertigpizza – 15 Prozent höheres Diabetes-Risiko: Ein Zusammenhang ist da, doch was steckt dahinter? - Medscape - 13. Jan 2020.
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